Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


Скачать книгу

geübt haben. Die Viehpreise waren in Hellas in der Zeit von Solon bis zu den Perserkriegen wohl auf das 10-20fache, Getreide anscheinend nur auf das 3fache gestiegen (Vieh war über See nicht transportabel). Gegen das 6. Jahrh. stieg dann Getreide bis Ende des 5. Jahrh. – zuerst infolge Volkszunahme, dann auch infolge der Unsicherheit der Kriegszeiten – auf das 4fache, – wovon aber der attische Getreidebau nur in der Zeit zwischen Sphakteria und dem Beginn des dekeleischen Krieges profitieren konnte. Von Viehwirtschaft aber ist speziell in Attika immer nur Kleinviehzucht (und, seitens des Adels, Pferdezucht) von Erheblichkeit gewesen. Nach dem dekeleischen Kriege war der Ruin des Hoplitenstandes ein so gründlicher, daß eine wirkliche Erholung davon nie wieder eingetreten ist. Daß die δικασταὶ κατὰ δήμους (s.o.) jetzt wieder stadtsässige Richter geworden sind, zeigt die Abnahme der sozialen und politischen Schwerkraft der Bauern: das Soldheer ist an Bedeutung gestiegen. –

      Was wir über den Anbau wissen, ist nur, daß nach Demosthenes Attika 355 aus dem Reiche Leukons im Pontosgebiet allein etwa 400000 Medimnen importierte, dagegen nach den eleusinischen Abgaberechnungen 315/8 seinerseits etwa 400000 Medimnen produzierte, davon rund 1/10 Weizen, das andere Gerste. Es würde dies, wenn man E. Meyers Berechnung akzeptiert (und positive Bedenken gegen die zugrunde gelegten Zahlen liegen nicht vor, so hypothetisch sie sind), ca. 14250 ha jährlicher Saatfläche ergeben: bei Brache Jahr um Jahr wären also 12% des attischen Bodens mit Getreide bestellt gewesen. Die Bodengestaltung allein würde einen so geringen Bruchteil vielleicht doch nicht erklären. Aber nach den delischen Listen scheint im 4. Jahrh. der Preis zeitweise ins Stagnieren geraten und dann erst weiterhin wieder stetiger bis Anfang des 3. Jahrh. gestiegen zu sein. Es war daher in der klassischen Zeit für Attika wohl nur der Oelbau zur Kapitalverwertung geeignet. Ueber seine ökonomische Organisation sind wir nicht urkundlich informiert: eigene Regie mit Sklaven nach römischer Art oder – wahrscheinlicher – Pachtsystem nach moderner italischer Art waren beide möglich; daß Xenophon, der nur Sklavenarbeit kennt, speziell eingehend von Baumpflanzungen spricht, macht ersteres für seine Zeit wahrscheinlicher. –

      Alles in allem also hat man sich in der klassischen Zeit Griechenland in der Nähe der großen Verkehrszentren als ein ziemlich stark parzelliertes Land, mit in den Ebenen erheblichem Gartenbau und an den Berghängen Kleinbauern, die Flußtälern des Peloponnesos als Träger kleiner Grundherren, Elis als »Squirearchie« zu denken, während Thessalien das Gebiet der Latifundien, der Hörigkeit und Rossezucht, Böotien ein Land kräftiger Großbauernwirtschaft war, und der Nordwesten auf dem Lande noch im Zustande der Naturalwirtschaft verharrte. Für die erste Hälfte des 4. Jahrh., und ebenso schon für das ausgehende 5., muß man sich gegenwärtig halten, daß sie Zeiten konstanter, nur durch Spartas kurze Gewaltherrschaft niedergehaltener Revolutionen und Restaurationen von Parteigruppen waren, welche in Form unaufhörlicher Konfiskationen eine früher nicht erhörte Unsicherheit der Bodenbesitzverhältnisse mit sich brachten. Streng stadtsässige Kleruchien unter Verwandlung des Landvolks in Kolonen (Mytilene), Landneuaufteilungen unter Abschlachtung der gesamten Aristokratie und blutige Restaurationen finden sich nebeneinander. Die alten Parteinamen der »Demokratie« und »Oligarchie« hatten dabei nicht immer den Sinn, den sie im 5. Jahrh. vor dem Kampf zwischen Athen und Sparta besaßen. Die thebanische »Demokratie« war eine ländliche Hoplitendemokratie, welche nach Erlangung der politischen Einigung Böotiens den Frieden suchte, ganz ebenso wie die attischen Bauern und ihre »oligarchischen« Führer, während die radikale Demokratie Athens eine vom Kriege lebende städtische Schicht repräsentierte: – der Krieg bringt dem besitzlosen Stadtvolk hohen Matrosenlohn, im Falle des Sieges neue Tribute, aus denen öffentliche Arbeiten gezahlt werden, Zunahme der Mieten für den städtischen Hausbesitzer und Expansion der Kapitalverwertungsmöglichkeiten im eroberten Ueberseegebiet. Die kurze spartanische »Demokratie« (vor Sellasia) stellte eine kriegerische Landrentner demokratie dar. Die grundherrliche Oligarchie Thessaliens und die kaufmännische von Chios waren in ihrer ökonomischen Struktur die äußersten Gegensätze. Ebenso die kaufmännischen Oligarchien Korinths und Kerkyras und die feudale Spartas, die trotzdem gegen die Demokratie zusammenhielten. Etwas verschoben hatte sich auch das für alle Parteikonstellationen des Altertums so wichtige Gläubiger-Schuldner-Verhältnis in seiner sozialen Lagerung. Immer sind die Schuldner »Agrarier« (wie bei uns). Aber die Gläubiger sind in der Frühzeit: grundbesitzender, stadtsässiger und kriegerischer Adel, in der Spätzeit: Händler und Rentner, und unter den Schuldnern treten später gerade die Großbesitzer stärker hervor. Der Gegensatz ist flüssig, aber immerhin fühlbar. Schuldenrepudationen und Versuche zu solchen werden jetzt vornehmlich ein Junker-Ideal, nicht mehr eine politisch-ökonomische Forderung der wehrhaften Bauernschaft.

       Während der ganzen klassischen und ebenso in der hellenistischen Zeit setzte die Polisorganisation, mit ihrem Synoikismos der Behörden und – möglichst – auch der bemittelten Grundbesitzer in die Stadt, Gliederung in Phylen, Organisation in Bule und Ekklesia als Volksvertretungen usw., ihren Siegeslauf durch Althellas fort. In ganz Mittelgriechenland außer Aitolien siegte sie und verdrängte oft die althistorischen Stammesnamen (während, wo sich das feste Schema der Polisorganisation einmal festgesetzt hatte, es durch die radikalste Vernichtung nicht auszurotten war: Exulantengeschlechter, die jahrhundertelang in der Fremde gelebt hatten, vermochten sich bei gegebener Gelegenheit zur Rückkehr alsbald wieder in die Kaders ihrer Phylen und Phratrien einzugliedern). Meist sind dabei die neugeschaffenen Poleis Staatswesen etwa nach Art des kleisthenischen Athen, zuweilen reine Grundbesitzersynoikismen. Der Synoikismos von Rhodos im Jahre 408 (militärisch, durch die Furcht vor Athen, motiviert), bedeutete die Vereinigung und (teilweise) Zusammensiedelung der drei dorischen Heeresphylen, welche hier bei der ersten Besiedelung der Insel sich lokal gesonderte Bezirke zuweisen und je eine eigene Polis gegründet hatten, in einem einzigen dorischen Phylenstaat. Die Entstehung der Kleinstädte in den mittelgriechischen Bergtälern ist wohl meist jenes Zusammensiedeln der Bauern als Ackerbürger in die Festung gewesen, wie es, in seinen Nachwirkungen, noch heute die Physiognomie z.B. Siziliens, dessen Inneres einen außerhalb der »Stadt« dauernd lebenden Menschen gar nicht kennt, bestimmt. Wo auf diese Art, – durch effektive Zusammensiedelung – größere Gebiete als Polis organisiert wurden, mußte die Folge auf die Dauer immer Absentismus und Kolonenwirtschaft sein. Und die effektive Zusammensiedelung galt eben, wenigstens in der klassischen Zeit, als die einzige Methode, eine militärische Erziehung nach dem Prinzip des Hoplitentums durchzuführen. Militärische und ökonomische Gesichtspunkte stießen dabei oft scharf zusammen und nötigten zuweilen zu Kompromissen, namentlich in den bergigen Gebieten des Peloponnes (wo die gleichen Schwierigkeiten wie, offenbar, seinerzeit in Athen im Gebiet der Diakrier entstanden). Indessen: die militärischen Gesichtspunkte entschieden meist. Die arkadischen Synoikismen (Mantineia, Megalopolis) waren, ebenso wie der Synoikismos von Elis (471), und der von Kos, Schöpfungen von »demokratischen« Hoplitenpoleis. Nur in Elis blieben die Squires meist auf dem (reichen und gut bebauten) Lande wohnen, während in Arkadien, wegen der Gefahr von Sparta her, Zwangsdomizil für die Synoikisierten bestand. In Kos wie in Elis befanden die Demen (wie in Athen die allmählich demokratisierten Phratrien) über Wehr- und Grundbesitzfähigkeit. Zweck des Synoikismos war in allen Fällen: militärische Organisation. In Elis war die Folge: Wiedererwachen der Eroberungspolitik. Die militärische Schätzung der Eleier scheint aber charakteristischerweise – trotz ihrer zeitweisen politischen Erfolge – immer ziemlich niedrig gewesen zu sein: wohl eine Folge des Fehlens der straffen Polisorganisation. Das Land blieb eben auch jetzt stets ein agrarisches Gebiet, Großhandel fehlte. – Dagegen waren die Arkader als die Haupt-Reisläufer von Hellas militärisch von jeher sehr tüchtig.

      War in Elis und ebenso in Arkadien die Hoplitenorganisation teils faktisch, teils nur rechtlich, noch in die althellenische Form des Synoikismos gekleidet, so fehlte dies bei der spätesten althellenischen, auf einem Volksheer ruhenden Großmacht: den Aitolern, gänzlich. Sie wohnten in Komen und blieben in Komen wohnen: – Thermon war ein befestigter Ort, wo der ungeheure Raub zusammengehäuft war, die Jahrmärkte stattfanden, die Bundesbehörden und Landesversammlungen des Heerbanns tagten, aber keine Polis, – auch als sie die militärische Organisation und Hoplitenschulung, die ihnen in der klassischen Zeit