Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


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spielen, vor allem angesichts der Rolle, welche gerade die Bodenverschuldung in sonst noch ziemlich »primitiven« Zuständen spielt, endlich auch angesichts des Fortbestandes der persönlichen Schuldverknechtung neben der Hypothek in vielen hellenischen Staaten, erscheint die (geistreich ausgeführte) Theorie nicht überzeugend, und dürfte auch keine Nötigung bestehen, sie in der Umgestaltung, die Swoboda in übrigens lehrreichen Ausführungen ihr gegeben hat, zu akzeptieren. Vielmehr ist das Wahrscheinliche, daß auch hier die πρᾶσις ἐκὶ λύσει sehr altes Recht, ebenso alt wie die Verpfändung von Weibern und Kindern des Schuldners ist, daß sie, wie im Mittelalter, das älteste Bodenpfandrecht ist, daß der Schuldner, der üblicherweise (hier wie sonst so oft) das Grundstück als Prekarist oder in Pacht (insbesondere als ἑκτημόριος) behielt, das (einlösliche) Eigentum des Gläubigers durch den ὅρος (Hypothekenstein) anerkannte. Inschriftlich erhalten sind ὅροι freilich (aber begreiflicherweise) erst aus dem 4. Jahrh., allein Solon erwähnt sie ausdrücklich. Die persönliche Versklavung des Schuldners wurde durch Solon verboten und zwar sowohl die Exekutionsversklavung, als das Borgen auf den eigenen Leib. Anderwärts blieb sie zulässig. Die Entwicklung der Hypothek war nur die natürliche Fortsetzung dieses Milderungsprozesses, hier wie anderwärts: die eigenmächtige ἐμβάτευσις des Gläubigers im Fall der Nichtzahlung und die Anwendung der δικη ἐξούλης gegen den Schuldner, der das dem Gläubiger verfallene Grundstück nicht räumt, wären dann Reste der alten Prekaristenstellung des Pfandschuldners. Durch die Entwicklung der Hypothek aus der πρᾶσις ἐτὶ λύσει erklärt sich auch die ursprüngliche Notwendigkeit des Konsenses des Gläubigers bei Veräußerungen. Allmählich entwickelte sich dann auch die Verpfändung der Hyperocha, die ursprünglich natürlich ebenfalls an den Konsens des Vorhypothekars gebunden war, und damit die Nachhypothek. – Der Boden- und Hypothekenverkehr war formell sehr erleichtert. Grundbücher existierten (trotz Aristoteles und Theophrast) wohl nur vereinzelt: in Tenos, wo auch, wie anscheinend in Chios, Hypothekenregister bestanden. Im übrigen genügte meist – so im attischen Recht – der einfache Kontrakt zur Uebereignung. Da in Athen (im Gegensatz zu Aegypten und Spätrom) keine Legalhypotheken existierten und die Steuerlisten und Grundkataster der Demarchen – namentlich seit der Neuordnung der Nausinikos (377) – über die Umsätze des Bodens Auskunft gaben, außerdem öffentliche Affichen vor der Veräußerung mit der Aufforderung an Prätendenten, Einspruch zu erheben, hier (wie öfter) vorgeschrieben war (anderwärts kommt die Pflicht öffentlichen Ausrufens oder eines öffentlichen Opfers vor), so war der Spezialität und Publizität für die Verhältnisse der räumlich beschränkten Polis Genüge getan. Fraglich ist nun: welchen Einfluß diese Verkehrsfreiheit und Verkehrssicherheit, in Verbindung mit der Demen-Verfassung, auf die soziale Gliederung des platten Landes, speziell in Attika, gehabt hat.

      Die Freiheit des Bodenverkehrs ist keineswegs erstmalig das Werk von Solon. Neu ist von ihm nachweislich die Freiheit des Testaments. Im übrigen hat er vielleicht ebensoviele Schranken neu geschaffen (Kommassationsverbot) wie beseitigt. Die neuerdings mehrfach (Fustel de Coulanges, Wilbrandt) vertretene Hypothese, daß Solon ein bis dahin bestehendes allgemeines Geschlechter- Eigentum am Grund und Boden Attikas, welches jeden Bodenverkehr und jedes individuelle Privateigentum ausschloß, beseitigt habe, ist in keiner Weise beglaubigt, steht mit der Ueberlieferung über Drakons Hoplitenzensus und den solonischen Klassen – welche ja zweifellos schon vor ihm für Steuer- und Wehrpflicht-Abstufung bestanden und eine individuelle ökonomische Differenzierung als bestehend voraussetzen – und mit allen Analogien im Widerspruch. Die »Geschlechter« sind im Altertum überall weit jünger als das (natürlich normalerweise familienhaft durch Retraktrechte gebundene) Privateigentum an Boden, Produkt der Differenzierung durch den Handels- und Beutegewinnst. Keine sichere Nachricht über derartige Zustände, wie jene Theorie sie voraussetzt, liegt vor. Die Ausführungen von Wilbrandt über die Beschränkungen des Grundbesitzverkehrs projizieren gesetzgeberische Schranken, welche im Interesse der Wehrhaftigkeit getroffen wurden, in die ferne Vergangenheit, und was er über die πρᾶσις ἐπὶ λύσει sagt, übersieht, daß ja der »kaufende« Gläubiger nicht Eigentum, sondern einlösliches Recht erwarb, aber eben ein Recht am Boden, nicht nur an den Einkünften (was nirgends vorkommt). Ebenso kann ich freilich der Ansicht Swobodas nicht beitreten, daß die Klasse der »Hektemorier« ein Stand von »Hörigen« nach Art der spartanischen Heloten gewesen sei. (Daß sie andererseits nicht »Akkordarbeiter« gewesen sein können, wurde schon bemerkt.) Was Swoboda über ihre Stellung im Erbrecht, ferner ihre glebae adscriptio, ihren Anspruch auf Rechtsvertretung, ihre Fronden usw. ausführt, sind Hypothesen, und zwar, soweit das Entstehen von Großbetrieben in Frage kommt, m.E. ganz unwahrscheinliche, veranlaßt (wie für Rom bei K.J. Neumann) dadurch, daß der Verfasser, durch die Arbeiten unseres Meisters G.F. Knapp fasziniert, einen von diesem glänzend geschilderten modernen Prozeß ins Altertum projizierte. Die »Abschaffung« eines Hörigeninstitutes durch Solon ist nirgends überliefert, was doch wohl sicher der Fall wäre, hätte er es getan. Daß er die Notwendigkeit der Prozeß klientel beseitigt habe, wird aus der Tradition wohl mit Recht erschlossen (setzt aber das Bestehen plebejischer Freiheit vor ihm natürlich voraus). Die »πελάται«, die besitzlosen und deshalb in Klientel befindlichen Arbeiter, gewinnen nun volle Prozeß standschaft. (Aber sie sind mit den Hektemoriern nicht identisch, wie eine schon bei den antiken Lexikographen vorkommende Ansicht annimmt.) Das, was (m.E.) an Sw.s Ausführungen zutreffend bleibt, dürfte auch durch die Hypothese berücksichtigt werden: die Hektemorier waren (s.o.) Pfandschuldner, deren Grundstück der Gläubiger im Besitz hatte, auf dem er sie als Teilpächter arbeiten ließ. Die generelle Herrschaft des »Sechstels« könnte dann ein Punkt sein, der auf gesetzlicher Regelung beruht: einer Regelung, die eine Beschränkung der Gläubigerrechte bedeutete. Solon hat die Institution allerdings beseitigt: indem er die ganze Schuldgesetzgebung reformierte und die bestehenden Pfandschulden (damit also auch die bestehenden Hektemorier-Verhältnisse) kassierte. Denn allerdings: mit ihm hört das Bestehen des Verhältnisses auf. Auch die einzige Stelle, welche Solon mit dem Teilbauverhältnis in Beziehung bringt (Pollux VII, 151), stimmt dazu: das Land, die »γῆ ἐπίμορτος«, war es, mit dessen Schicksal (d.h. Entpfändung) Solons Gesetz sich befaßt, nicht: ein Stand von ἑκτημόριοι. Welche Form die schon früher erwähnte solonische Bodenakkumulationsbeschränkung hatte, ist nicht überliefert. Ein direktes Verbot war sie nach dem Wortlaut der betreffenden Aristoteles-Stelle (Polit. II, 4, 4) kaum. Das (von ihm als vorkommend erwähnte) allgemeine Verbot des Verkaufs von Land in weiterer Entfernung von der Stadt an Stadtbewohner (d.h.: Adel) wäre in Athen in der Zeit der Parteikämpfe zwischen den Pedianen und Diakriern recht wohl denkbar, aber dann eher dem Peisistratos zuzutrauen. Sehr möglich erscheint dagegen, daß Erwerbsschranken für Land außerhalb des eigenen Demos bei der Begründung der attischen Verwaltungsorganisation auf die Demen durch Kleisthenes, wahrscheinlich seit Peisistratos, während dessen Regiment eine Parzellierung des zu Solons Zeit »δι᾽ ὀλίγων« befindlich gewesenen Landbesitzes sich vollzogen haben muß, bestanden. Denn noch im 4. Jahrhundert erhoben die attischen Demen, welche den Kataster führten, von dem Landbesitz eines jeden, der nicht zum Demos gehörte, eine Abgabe. Dies »ἐγκτητικὸν« war naturgemäß eine fühlbare Schranke für die Kapitalanlage auch in Landhypotheken. Im übrigen zeigt es das Bestehen kräftiger lokaler Gemeindeverbände auf dem platten Land. Während des ganzen 5. und, trotz der furchtbaren Verwüstungen des peloponnesischen Krieges, auch des 4. Jahrhunderts ist denn auch die attische Landgemeinde eine lebendige Einheit, wie die Inschriften zeigen (obschon die Frage ihrer Finanzlage durch die Plotheia-Inschrift nicht geklärt ist, da nicht sicher feststeht, ob die rund 22000 Drachmen derselben Kapital oder Jahresausgabe sind). Der »Demos« besitzt, verwaltet, verpachtet (der Demos Aixone auf 40 Jahre) eigenes Land (auch Felder, Weinberge, und je nachdem Theater und sicher auch Tabernen aller Art); er ist der Aushebungsbezirk: der Erkrankte darf aus seinem Demos einen Ersatzmann zum Heer stellen; er ist unterster Steuereinhebungsbezirk, bestimmt daher die Persönlichkeit des zur Proeisphora Verpflichteten; er ist endlich an der Bildung der Bule (durch das Los) beteiligt. Die Prytanenurkunden ergeben die Beteiligung je aller Demen der betreffenden