Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


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irgendwie typische Erscheinung unwahrscheinlich. Die bildliche Darstellung der Ernte, mit dem dabeistehenden Herrn, der den Stab in der Hand trägt, zeigen nur die Existenz von »Squire«-Betrieben, bei denen der Herr nicht selbst mitarbeitet, auch für Griechenland. Wenn die Pythia einmal die Korinther wegen ihrer großen Sklavenzahl χοινικομέτραι nennt, so fragt es sich, ob damit Großbetriebe gemeint sind (s. später bei Athen). Jedenfalls steht im Vordergrunde gerade im hellenischen Mittelalter die unfreie oder halbfreie Pacht, entweder geradezu von Schuldknechten oder doch von Einlösungspfandschuldnern. Die Verschuldung zwischen den beiden Schichten des Grundbesitzes: der Bauernschaft gegenüber den größeren Grund-, Vieh- und Geldbesitzern ist ja im ganzen frühen Altertum typisch und unterscheidet die damaligen »sozialen« Konflikte so sehr von den unsrigen: man müßte sich unsere Junker als Gläubiger, die Bauern als ihre Schuldner, und die Junker als stadtsässig denken können, um sich ganz in sie zu versetzen. Die Hypothekensteine auf den Gütern der Bauern und die Schuldknechte auf den Gütern der Großen gehen einander parallel. Ebenso findet sich ja noch später in Babylon, daß einzelne Kapitalisten über erstaunliche Zahlen von städtischen Grundstücken verfügen, von denen wahrscheinlich ist, daß sie sie nicht zu Eigentum, sondern in antichretischem Pfand besaßen und an ihre Schuldner vermieteten. Die Sechstelmänner (ἑκτημόριοι) Altattikas werden in ähnlicher Lage gewesen sein. Ihre Sechstelabgabe ist kein wesentlich niedrigerer Satz als die Drittelpacht der ägyptischen Kolonen, wo der Boden so unvergleichlich fruchtbarer war. (Ueber diese Frage s. unten bei Athen.) Die Geschlechter der hellenischen Städte, zumal der Seestädte, sind immer am Schiffsbesitz, oft – wie Solon – direkt am Handel beteiligt gewesen. Sie waren, als Hauptgetreidebesitzer, die Darlehnsgeber der Bauern in allen Notjahren. Dazu trat nun die Geldmacht. – Die, absolut betrachtet, ja geringe Bedeutung des Handels der Frühzeit, darf nicht zu einer Unterschätzung der relativen Tragweite der Handelsgewinnste in einem noch in Naturalwirtschaft verharrenden Milieu führen. Die Stadtsässigkeit des Adels (»ἀστοὶ« heißen die attischen Eupatriden) ist auch ökonomisch seine Stärke.

      Die Zunahme der Geld- und Grundvermögen einer seits, der Verschuldung der Bauern andererseits in den am Seehandel beteiligten Städten führt nun die Krisis des »Geschlechterstaates« herauf. Das »Volk« der homerischen Zeit, soweit es zum Fußdienst mit aufgeboten wurde, wird von den wagenkämpfenden Geschlechtern ebenso beherrscht und in Schach gehalten, wie die Cherusker nach Segestes' Behauptung von ihren »principes«. Aber mit zunehmender Bedeutung des Hoplitenheeres war dies nicht überall mehr möglich. Vor allem aber bedrohte die Schuldverknechtung der Bauern jetzt Wehrhaftigkeit und Machtstellung des Staates. Und die mit der Geldwirtschaft einsetzende Differenzierung des Erwerbes schuf Parvenüs, besitzlose Freie, ruinierte Adelsgeschlechter, trug so die leidenschaftlichsten Gegensätze in die Polis hinein. Ueberall war – den Regeln der Grundrentenbildung entsprechend – der reichste Boden, vor allem der Talboden im Gegensatz gegen die Bergabhänge, durch Verschuldung und Aufkauf in den Besitz des Adels gelangt. Nur er trug neben dem Bearbeiter noch eine Rentnerexistenz. Er wird daher aus den Ueberschüssen der adligen Wirtschaft erworben, gerade wie bei uns das Fideikommiß den guten Boden bevorzugt. Darum ist die Adelspolis nicht nur in die Gebirgslande so viel schwerer eingedrungen, sondern auch sonst sind die Ebenen (die »hohle Lakedaimon«, die messenische, elische, thessalische, böotische, attische Ebene) Sitz des Adels, die ἄγροικοι sitzen an den Berghängen. So schied sich die Bauerndemokratie und die Adelsherrschaft (besonders deutlich in Athen) auch territorial. Andererseits sitzen in den Hafenorten der Küste mit der Entwicklung von Exportgewerben – so der Töpferei in Athen – und Seeschiffahrt eine steigende Zahl von Existenzen, welche, außerhalb des Kreises der auf eigenem Lande Angesessenen und landwirtschaftlich Interessierten stehend, jedem, der ihre ökonomischen Interessen fördert, politisch zur Verfügung stehen. Diese Gruppen und die deklassierten, schuldverknechteten Freien bilden die Elemente, auf welche, teils im Bündnis miteinander, teils auf eine von ihnen, sich ein Staatsstreich gegen das Adelsregiment stützen konnte. Andererseits ersteht neben den alten grundsässigen Geschlechtern eine Schicht von nicht dem Adel angehörigen, aus dem Kleinbürgertum aufgestiegenen Reichtum. Daß es in der alten Zeit vor dem Einsetzen der kapitalistischen Entwicklung möglich war, als δημιουργός Reichtum zu erwerben, muß vielleicht auch aus dem bekannten Parteikompromiß in Athen i. J. 581 geschlossen werden, welches auch zwei »Demiurgen« zu Archonten berief, die demnach Pentakosiomedimnen sein, also ein festes Einkommen von mindestens 500 Drachmen (damals ein hohes, zu Demosthenes' Zeit ein Armeneinkommen) haben mußten. Man muß sich erinnern, daß unter den älteren Demiurgen jene Kunsthandwerkerfamilien mit ererbtem Gewerbegeheimnis sich befanden, welche ursprünglich (so im Mythos) eine hohe Seltenheitsschätzung genossen und sicherlich auch, nach Art des Adels, in großen Familienkommunionen zusammenlebten und Besitz aufspeicherten. Erst der Kapitalismus und die Sklavenarbeit, verbunden mit dem Zerfall der alten großen Hausgemeinschaften, haben diese Grundlage zerstört (s.u.). (Zu beachten ist allerdings, daß um 581 zur politischen Partei der »Demiurgen« sicherlich auch die nicht dem Adel oder der Landbesitzerschaft angehörige Kaufleute gezählt haben werden6.) – Die Herrschaft der Stadt über das Land war nicht mehr zu halten, wo die besitzende Klasse selbst sich in schroffe Gegensätze zu spalten begann. Naturgemäß ist die Art, wie sich der Umschwung vollzog, und das Maß, in dem er vollzogen wurde, sehr verschieden. In den ersten großen Reformen wiegt jedoch in Althellas ganz entschieden das Bestreben vor, vor allem, im politischen Interesse der Wehrhaftigkeit des Staates, mit den verschuldeten Bauern zu einem Kompromiß zu kommen, – wie in den orientalischen »Gesetzgebungen« auch. Der Bauernradikalismus infolge der politischen Entrechtung, sozialen Deklassierung und ökonomischen Gefährdung der hoplitenfähigen Grundbesitzer war die politisch schwerste Gefahr für den Adel. Die drakonischen und verwandten Gesetzgebungen ebenso wie die Tyrannis ziehen die Konsequenz, indem sie die Polis ihres Charakters als halbfeudaler Zwingburg des Landes und den Adel seiner politischen Vorrechte entkleiden: die Grundbesitzer, soweit sie ökonomisch waffenfähig sind (ὅπλα παρεχόμενοι bei Drakon), werden Bürger, die öffentlichen Lasten der Bürger nach dem Ertrag des Grundbesitzes (so in Athen) abgestuft. Der Stadtstaat im bisherigen Sinne fällt, der Grundbesitz als solcher entscheidet über die politischen Rechte: die Stadt wird also, offiziell, dem Lande unterworfen. Wie später die 12 Tafeln in Rom, so tragen die »Gesetzgebungen« in Hellas ein agrarisches Gepräge im Sinne einer Emanzipation des nicht adeligen Grundbesitzes.

      Die Motive und meist auch die Mittel waren analog denjenigen, welche schon in den Inschriften der Sumererkönige und in dem ältesten israelitischen Gesetz zutage traten. Die ökonomisch waffenfähige Bauern-und Kleinbürgerschaft, welche militärisch jetzt nicht mehr zu entbehren war, verlangte (wie die Kleinbürger und Bauern des Orients) Beseitigung der Reste der privaten Selbsthilfe (des »Fehderechts«, könnte man sagen), der rein mit Traditionen und Präjudizien arbeitenden Rechtsprechung und der Gerichtsklientel, durch Kodifikation und bürgerliche Rechtspflege. Sie verlangte Beseitigung der persönlichen Schuldver knechtung, speziell aber des Druckes der Geldschulden und ihrer Wirkung: der Besitzdeklassierung der kleinen Besitzer, durch Beseitigung der Schuldsklaverei, Zinsschranken, Kommassationsschranken. – Die radikalen Vertreter der Deklassierten verlangten: Neuverteilung des Landes und Schulderlaß: da die große Masse des Landes durch Verpfändung in die Hände des Adels gelangt war, war die erstere im Grunde nur eine schärfere Form der letzteren7. Die »Aisymneten« suchten Kompromisse zu schaffen. Neben der Fixierung der Bußsätze, Beseitigung oder Milderung der Schuldhaft geht das Bestreben einher, die Angriffe auf den bestehenden Besitz zu paralysieren und die Quellen der Differenzierung zu verstopfen. Am weitgehendsten ist in Solons revolutionärer Maßregel der Seisachthie – Erlaß aller auf dem Boden und der Person ruhenden Pfandschulden – den Bauern entgegengekommen worden. Verbunden mit dem Freikauf der nach auswärts veräußerten attischen Schuldknechte entsprach sie dem politischen Sinn des Vorgangs: Erhaltung des Hoplitenheeres, auf dem von nun an die militärische Macht des Staates allein ruht. – Natürlich ist diese Tendenz keine ungebrochene, überall gleichmäßig wirkende. Die Tyrannis vor allem ist natürlich, so fest sie sich zunächst auf die »entrechteten« Klassen stützt, doch in erster Linie politische Usurpation und arbeitet als solche mit mannigfachen Mitteln. Unverkennbar ist in Althellas ein theokratischer