Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


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durch seine Arbeit sich standeswidrig Erwerb zu verschaffen, – wie unseren Offizieren. Andererseits aber ist hier – im striktesten Gegensatz namentlich gegen die athenische Demokratie – die Aufnahme unecht geborener, auch Helotenkinder, in den Bürger-, auch den Vollbürgerstand, keine Unmöglichkeit, da, ganz entsprechend dem rein militärischen Charakter des Staates, die kriegerische Erziehung die Grundlage der ständischen Absonderung der »Spartiaten« ist, nicht etwa das Blut. In Theben, wo der Wagenkampf sich lange behauptete, der Schuldner als solcher (weil er entweder mit seinem Leibe haftete oder seinen Besitz auf Einlösung verkauft hatte) wie in ältester Zeit als sozial deklassiert galt, mußte man sich 10 Jahre lang der ἀγορά ferngehalten haben, um zu einem Amt wählbar zu sein. In Athen wurden zwar umgekehrt alle Aemter (mit der zweifelhaften Ausnahme des Protostrategen) durchs Los besetzt und der Demos durch Leiturgie auf Kosten der Besitzenden entlastet: – aber der Unterschied des gentleman -Rentners gegenüber dem, der von seiner Arbeit lebt, besteht trotz der »Demokratie« in der öffentlichen Schätzung und kommt z.B. in Demosthenes Rede für den Kranz, obwohl es sich um ein Plaidoyer vor den Repräsentanten des Demos handelt, deutlich zum Ausdruck. – Es war für die Entwicklung der charakteristischen Züge des Hellenentums – auch der hellenischen Kunst – von entscheidender Bedeutung, daß der kriegerische Rentnerstand der Hoplitenpolis kein Stand von Grandseigneurs war, sondern nach Besitz und Sitte gerade in der Zeit seiner selbstbewußten Entfaltung einfach und »bürgerlich« zu leben genötigt war. Die nationalen Wettspiele, die Gymnasien mit ihrer von Sparta aus vordringenden, so folgenschweren Sanktionierung der Nacktheit, – derartiges wäre an den Höfen etruskischer oder römischer oder orientalischer »Großen« niemals entstanden, hätte ihrer »Würde« nicht entsprochen (die etruskischen Athleten z.B. sind, nach Ansicht der Fachmänner, schon nach ihrer Physiognomie Berufsathleten, welche, wie die spätrömischen, gegen Geld vor den Herren, als Zuschauenden, auftraten).

      Die Entwicklung, zuerst zum Partikularismus der Adels-Polis, dann zum Hoplitenstaat und – in den reichsten Städten – weiter zur radikalen Demokratie entschied in Hellas (wie in Rom) auch über den spezifisch »weltlichen« Charakter der Kulturentwicklung im Gegensatz zu der Theokratie des Ostens. Dieser Unterschied beruht jedenfalls nicht in erster Linie auf Differenzen der ökonomischen Machtstellung der Tempel. Denn auch in Hellas waren sie zuweilen Grundherren großen Maßstabes, im größten Umfang Delphoi nach dem »heiligen Kriege«, der dem Tempel das Gebiet von Kirrha und Krisa gebracht hatte, welches seitdem an Kolonen vergeben wurde. Ebenso erfüllten die Tempelschätze in Griechenland ähnliche Funktionen wie im Orient. Die Tempel besaßen ἐργαστήρια wie in Aegypten und gaben Darlehen. Sie waren andererseits Depositenkassen (erklärt sich der Freikauf des Sklaven durch den Tempelgott vielleicht auch daraus, daß die Götter die Sklavensparkasse waren, da hier das, Zugriffen des Herren von Rechts wegen ja überall ausgesetzte, peculium des Sklaven sicher war? – natürlich spielt die Garantie der Freiheit durch den Gott primär mit). Sie waren vor allem, in der klassischen Zeit (anders als später im Hellenismus), die einzigen wirklichen Staatsgläubiger, und Depotstelle der Staatskriegsschätze: sowohl der Schatz der Athena wie diejenigen von Delphoi und Olympia (deren Bedeutung für die Peloponnesier Perikles bei Thukydides abschätzt) haben jene Rolle gespielt (Olympia noch in sehr später Zeit). Die geringere Theokratisierung beruht auch nicht auf ethnisch gegebenen Unterschieden im Grade der Zugänglichkeit für Superstition: darin geben die Hellenen, und vollends die Römer, wenigstens dem älteren Orient (vor der allgemeinen politischen Nivellierung und Theokratisierung) nichts nach, und die Rücksichtnahme darauf war politisch stets unbedingt notwendig. Sondern die gänzlich verschiedene Rolle, die das Religiöse im Okzident spielte, hängt mit dem Fehlen eines festgliedrig und einheitlich organisierten Priesterstandes und allen seinen Konsequenzen (Fehlen jeder spezifischen Priestervorbildung, und, erst recht natürlich, der religiösen Unterweisung der Laien, Fehlen einer allgemeinen spezifisch priesterlichen asketischen oder rituell geregelten Lebensreglementierung bis auf – relativ! – geringe Ansätze, und daher erst recht: Fehlen sektenhafter »Reinheits«-Askese für die Laien nach Art der jüdischen Lebensreglementierung) zusammen. Die Priesterstellen sind vielfach allerdings auch in historischer Zeit noch in den Geschlechtern erblich (Dionysospriester in Delphoi – dagegen nicht: die Apollonpriester) und für die älteste Zeit scheint die Existenz von Priesteradel sicher. Allein die Regel ist das schon lange vor, und vollends nach dem Siege der »Hoplitenpolis« nicht: neben der (seltenen) Volkswahl ist das Prinzip der Losbesetzung (aus qualifizierten Kandidaten) und besonders der Verkauf der Stellen das häufigste. Kumulation des Priesteramtes mit anderen Beschäftigungen ist meist zulässig. Die Besetzung erfolgt lebenslänglich, später aber oft auch nur für 1 Jahr. Sie ist oft fast eine rein geschäftliche Transaktion (Schwierigkeit der Besetzung, wenn die Oelplantagen des Tempels abgebrannt sind!). Es fehlt jede Einheitlichkeit des Standes als solchen, jeder Ansatz zur »Kirchen«-bildung und jedes priesterliche Standesgefühl. Die heftige Konkurrenz der Partikulargottheiten allein erklärt (wie das Mittelalter zeigt) dies nicht. Sondern es ist Folge der politischen Unterwerfung der Priesterschaft unter die Militärmacht der rein politischweltlich interessierten Adelgeschlechter und später der Bürger der Polis. Delphoi wird nicht von einem delphischen Priestergeschlecht beherrscht, sondern von einer Polis. Anlaß des »heiligen Krieges« ist allerdings der Versuch dieser den Tempel beherrschenden Polis, ihn durch Zölle auf die Wallfahrer zu fruktifizieren. Seitdem ist er unter der sehr fühlbaren Kontrolle einer Amphiktyonie, mehrerer (ursprünglich) ländlicher Gemeinwesen (ἔθνη), bei zunehmendem Einfluß der allmählich sich einmischenden Polis. An theokratischen Strömungen hat es auch später in Hellas offenkundig nicht gefehlt, so wenig wie an mystisch-ekstatischen. Noch die Perserkriege kann man – wie E. Meyer es geistvoll getan hat – als einen Entscheidungskampf zwischen jenen Strömungen (an welche die Perser hier wie anderwärts sicher angeknüpft hätten) und der »Weltlichkeit« der hellenischen Kultur ansehen. Alle Tyrannen und Tyrannis-Kandidaten stehen mit Tempeln oder Propheten in Verbindung (speziell bekanntlich die Alkmäoniden mit Delphoi). Aber: die Macht der Priesterschaft reichte nicht aus, den Usurpatoren die Weihe der Legitimität, wie im Orient, zu geben, und daran scheiterte die Tyrannis. Es ist diese Machtlosigkeit ein Erbe der (mit den Göttern im Epos so respektlos umspringenden) homerischen Epoche: die Militärgeschlechter des Heerkönigtums, die im Orient schließlich überall den Verbündeten: königlicher Bureaukratie und Theokratie, unterlagen, behielten hier über Könige und Priester die Oberhand. Und der Sieg der nunmehr, wo die Priestermacht in den Dienst des Adels gezwungen war, durchweg gegen sie, vor allem gegen jede religiös-traditionalistische Rechtsfindung interessierten bürgerlich-bäuerlichen Hoplitenschaften besiegelte die Niederlage aller theokratischen Strömungen (während umgekehrt im Orient die Theokratie gerade die Masse der »kleinen Leute« auf ihrer Seite hatte, weil sie in ihr immerhin einen Rückhalt gegen die äußersten Konsequenzen der Willkür der Könige und des großen privaten Besitzes erblickten).

      Rechtsgeschichtlich sind die Tempelbesitzungen wahrscheinlich dadurch von Bedeutung gewesen, daß – wie es scheint – das Institut der Erbpacht in seiner antiken Form (der späteren »Emphyteuse«) von ihnen seinen Ausgang genommen hat. Die städtischen und dörflichen Ländereien werden in älterer Zeit kaum Anlaß zur Vererbpachtung gegeben haben: sie dienten der Zuweisung von κλῆροι an den Nachwuchs oder der gemeinsamen Nutzung. Beide Zwecke kamen für die Tempel nicht in Betracht. Nur in Elis scheint ein Teil der unterworfenen Pisatis in Erbpacht vergeben gewesen zu sein. Wie schon für das pharaonische Aegypten die Möglichkeit (aber freilich keinerlei Sicherheit) besteht, daß die Tempelbauern teilweise Erbpächter gewesen sind (s.o.), so ist es sicherlich nicht zufällig, daß in Hellas, wo die Erbpacht zuerst (in einer Inschrift von Olympia) im 5. Jahrh. nachweislich ist, die Tempel in so starkem Maße als Erbverpächter beteiligt sind. Neben ihnen stehen in der klassischen Zeit die Allmenden der Gemeinden. Dagegen fehlen private Besitzer als Erbverpächter (der einzige angebliche Fall ist nicht nur unsicher, sondern ganz unwahrscheinlich). Das Institut wird in zwiefachem ökonomischen Sinn verwendet (wie Mitteis zuerst klar erkannt hat): 1. als Verleihung von Oedland mit einer dem Maße nach genau bestimmten Pflicht der Bebauung (namentlich: Bepflanzung mit Oelbäumen oder Weinstöcken) zu Lasten des Erbpächters: hier