Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


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entgegen. Der Zweck war ja: politische Herrschaft der hoplitenfähigen Mittelbesitzer, Zerbrechung der großen Geschlechtsverbände. Zu diesem Zweck wurde, wie jeder Nobili in den demokratischen Gemeinden Italiens einer Zunft, so hier jeder Adelige einem Dorf zugeschrieben, sein auswärts liegender Grundbesitz einer Sondersteuer unterworfen. Des weiteren wurden (unbekannt, wann?) die Phratrien genötigt, sowohl ὁμογάλακτες (Altadel) als ὀργεῶνες (die künstlich geschaffenen Quasigentes der Neubürger) in sich aufzunehmen, später auch: θίασοι: die freigebildeten Bürgervereine der nichtansässigen, jeglicher Gentilorganisation entbehrenden Bevölkerung10. Und während in der ersten Demotionideninschrift (Anfang des 4. Jahrh.) in der Phratrie noch der alte »οἶκος« (Eupatridengeschlecht) der Dekeleier als Rest älterer Rechte eine Art Offizialanwaltsstellung bei der wichtigsten Funktion der Phratrie: Einschreibung in die Bürgerlisten, behauptet hat, ist in der zweiten (Mitte des 4. Jahrh.) die erstinstanzliche Entscheidung ganz in die Hand des θιασος gelegt und fehlt das Eingreifen des Adels. Phratrie und Demos sind demokratisiert. Die Demen haben das starke Hoplitenheer Athens in der Zeit seiner größten Machtstellung (480-460) gestellt, und zwar die Bauernschaft in erster Linie. Von etwa 30-33000 Zeugiten (neben ca. 2000-2400 Pentakosiomedimnen und Rittern), die Athen (neben ca. 20000 Theten) im Jahre 431 nach E. Meyers Berechnung besaß, mag noch die Mehrzahl auf dem Lande gewohnt haben. Aber nicht mehr das Land war politisch ausschlaggebend. Die Zugehörigkeit zum Demos war jetzt, ähnlich der russischen Zugehörigkeit des Bauern zu seinem Mir, – nur ohne Konsequenzen für die persönliche Freizügigkeit – unverlierbar und unabhängig vom Wohnsitz und Beruf. In seinem Demos wird der Einzelne zur Steuer herangezogen, wo immer er sich auch aufhalte. Die stadtgesessenen Mitglieder der Demen waren aber allein in der Lage, regelmäßig an der Volksversammlung teilzunehmen, in welcher daher unter Umständen der ναυτικὸς ὄχλος seinen aus der Politik der Demokratie bekannten Einfluß üben konnte. Hiergegen spricht es natürlich nicht, daß nachweislich überwiegend Besitzende im Rat, in der Strategie und in der Finanzverwaltung gesessen haben und daß auch die inschriftlich bekannten Antragsteller in der Volksversammlung zum erheblichen Teil Besitzende waren. Der antike Berufspolitiker mußte im allgemeinen ein »besitzender« Mann sein (auch die älteren Führer der Sozialdemokratie sind es ja zum recht erheblichen Teil, obwohl heute Redakteurs- und Sekretärstellen usw. zur Verfügung stehen). Dagegen ist praktisch wichtig und charakteristisch die, wie es scheint, steigende Rolle, welche die Begüterten in der Lokalverwaltung vieler Demen spielten, und natürlich noch wichtiger die damit zusammenhängende Frage nach der Besitzverteilung innerhalb der Demen. Trotz jenes starken Einflusses scheint diese noch im 4. Jahrhundert nicht plutokratisch gewesen zu sein. Im 5. Jahrhundert soll etwa 1/4 der attischen Bürger des Bodenbesitzes entbehrt haben, die Mehrheit aller auf dem Lande ansässig gewesen sein. Authentisches ist darüber nicht bekannt. Aus den vorkommenden Bodendotationen ersehen wir, daß Güter von (nach unseren Begriffen) bäuerlichem Umfang als ansehnliches Präsent galten, Besitzungen von mehr als 50 ha (allerdings im Fall von Oelkultur ein recht bedeutendes Ausmaß) wohl kaum vorkamen. 50 ha könnte der ungefähre Umfang eines dem alten Minimum des Pentakosiomedimnen-Zensus entsprechenden Gutes gewesen sein11. Ein Adliger wie Alkibiades erbte nur ca. 30 ha. Schon Kimon hatte die 50 Talente Strafe für seinen Vater Miltiades natürlich nicht aus Bodenrenten, sondern aus internationalen Kapitalgewinnsten gezahlt. Führende Staatsmänner des peloponnesischen Krieges, einerlei ob konservativ (Nikias) oder radikal (Kleon), sind keine Grund-, sondern Sklavenbesitzer (aber nicht: »Fabrikanten«, s.u.), ebenso später Demosthenes. Die Erbpachtstellen sind ebenfalls im ganzen nur mittlere Bauernstellen, größer nur da, wo es sich um Neulandvergebung (eigentliche »Emphyteuse«) handelte. Man darf eben die – im Gegensatz zum Orient und zu Rom – große Einfachheit der Lebensführung und gerade der »Kulturträger« des Hellenentums in der Zeit seiner höchsten schöpferischen Entfaltung nie vergessen. Die hellenische Kunst speziell ist absolut nicht auf dem Boden des Raffinements materieller Bedürfnisse entstanden.

      Die ganz unbezweifelbare Abnahme der Hoplitenwehrkraft Athens, d.h. die Nichtausfüllung der durch die Kriegsverluste gerissenen gewaltigen Lücken, könnte ihre Gründe im wesentlichen in folgenden Umständen haben: 1. Abnahme der Zahl der ökonomisch zur Panhoplie Fähigen durch Parzellierung, oder umgekehrt durch Kommassation, – 2. Abnahme der Qualifikation der ökonomisch Fähigen durch stärkere ökonomische Bindung an die Wirtschaft mit zunehmender Intensität: – abnehmendes »training«. Diese Gründe könnten zusammengewirkt haben, ohne daß sich, für Athen, mit Sicherheit beweisen ließe, welches Moment überwog. Die von Sundwall beobachtete Bewegung der den einzelnen Kategorien von Demen angehörigen Bevölkerung (nach der jeweiligen Prytanenverteilung auf die »Tritthyen«, welche ergibt, daß im 4. Jahrh. die Binnenlanddemen stabil blieben, die Küstendemen zunehmen, die Stadtdemen abnehmen) gibt, interessant wie sie ist, dennoch natürlich ein mehrdeutiges Resultat, soweit Wohnsitz und Beruf, vor allem aber die Frage nach der Dichtigkeit der Landbevölkerung in Frage kommt. Die erblich aus den Städten und ihrer direkten Umgebung stammenden Familien sterben ja überall schneller ab; die Zunahme der Küstendemen, der eigentlichen Träger des Radikalismus, ist vielleicht Folge hoher Ehefrequenz infolge der Verdienstchancen im Seeverkehr: sie ist aber jedenfalls schwerlich Zunahme von Bauern; die Stabilität der Volkszahl der Binnenlanddemen beweist nicht, daß deren Angehörige Bauern geblieben waren oder auch nur auf dem Lande wohnten. Daß die Schwächung gerade der städtischen Demen durch besonders starke Heranziehung gerade ihrer Mitglieder zu den Kleruchien bedingt gewesen sei, ist doch wenig wahrscheinlich. Eher könnte hier die Verengerung des Nahrungsspielraums der freien Arbeit durch die Sklaverei (s. gleich) in Betracht kommen. Sicher ist nur, daß damals in zahlreichen Landdemen begüterte Geschlechter faktisch erblich das Heft in der Hand hatten, ferner daß das Leben in den Demen seit dem Ende des 4. Jahrh. zu ersterben begann. Verkauf der Demenämter einerseits, Monopolisierung derselben durch die Besitzenden andererseits gehen schon im 4. Jahrh. nebeneinander, und überzeugend kommt die abnehmende politische und soziale Bedeutung des ländlichen Mittelstandes in dem Aufhören der Demeninschriften im 3. Jahrh. zum Ausdruck. Dies ist nun wohl die Folge der Vermögensverschiebungen der hellenistischen Zeit (s.u.). Dagegen läßt sich für die klassische Zeit weder sagen, welchen Umfang die Sklavenarbeit auf dem Lande angenommen hatte, noch, welche Bedeutung der Pacht zukam. Was zunächst die letztere anlangt, so ist, im Gegensatz gegen den Orient (aus Gründen des üblichen Urkundenmaterials), nur eine (verstümmelte) rein private Pachturkunde aus Athen überliefert, sonst nur Pachtverträge mit öffentlichen Körperschaften. Sicher ist nur das entschiedene Ueberwiegen der festen Pacht, nicht nur in Athen, sondern im Gebiet von Althellas überhaupt, gegenüber der, wie es scheint, dort lange Zeit ganz in den Hintergrund getretenen Teilpacht, und die Häufigkeit von Geldpachten (speziell natürlich in Attika) gegenüber Natural- oder gemischten Pachten. Ferner, entsprechend dem hohen Zinsfuß des Altertums, eine für unsere Begriffe ziemlich mäßige Kapitalisationsrate bei Grundstücken (die Pacht eines rein ländlichen Grundstückes in Thria beträgt 8% des Schätzungswertes, in anderen Fällen ist das Verhältnis von Pacht- und Kaufwert nicht feststellbar, weil andere als landwirtschaftliche Objekte inbegriffen sind. Die stets sehr viel niedrigere Rate der Erbpachten: 4% und etwas mehr, ist natürlich nicht vergleichbar). Die Lage des Pächters erscheint, verglichen mit dem orientalischen und dem römischen, relativ günstig, – was allerdings die Folge davon sein dürfte, daß wir wesentlich Verpachtungen öffentlichen Landes als Beispiele kennen. Die Pachtfristen sind, wo sie genannt werden, im Gegensatz zum Orient, relativ lang: 5, oft 10 Jahre. Doch kommen auch Pachten ohne Befristung, also entweder lebenslänglich oder umgekehrt, »at will« vor. Daß der Pächter als anbaupflichtig gilt, daß seine Bodenbestellung nicht nur – wie natürlich – reglementiert, sondern unter Umständen auch regelmäßig beaufsichtigt wird, versteht sich bei öffentlichen Pachten von selbst; wieweit das letztere bei Privatpachten stattfand, steht dahin. – Zweifelhaft ist endlich, wie schon bemerkt, in welchem Maße Sklavenarbeit auf dem Lande verwertet wurde.

      Es muß hier wohl oder übel die Frage nach der Art und Bedeutung der Sklavenarbeit in der »klassischen« Zeit (5./4. Jahrh.) überhaupt