weit auch das Rechtsverhältnis. So hat denn auch das Sprichwort recht: Freundesgut, gemeinsames Gut; denn in der Gemeinschaft besteht die Freundschaft. Brüdern und Kameraden ist alles, den andern sind nur bestimmte Dinge gemeinsam, hier mehr, dort weniger, wie auch die Freundschaftsverhältnisse hier enger, dort lockerer sind. Der gleiche Unterschied zeigt sich auch in den Rechtsverhältnissen. Es ist nicht dasselbe Recht im Verhältnis von Eltern zu Kindern wie in dem von Brüdern untereinander oder zwischen Kameraden oder zwischen Mitbürgern, und ebenso verschieden geht es in den anderen Verbänden zu. Demgemäß bedeutet denn auch das Unrecht in jedem dieser Verhältnisse etwas anderes; es wird um so größer, je enger das Band mit denen ist, gegen die es sich wendet. So ist es schlimmer, einen Kameraden seines Vermögens zu berauben, als einen sonstigen Mitbürger, schlimmer, dem eigenen Bruder Hilfe zu versagen, als einem Fremden, den eigenen Vater zu mißhandeln, als einen beliebigen anderen Menschen. Andererseits entspricht es der Natur der Sache, daß gleichmäßig mit der Enge der Verbindung auch das Rechtsverhältnis an Stärke zunimmt; handelt es sich doch um dieselben Personen und erstreckt es sich doch über dasselbe Gebiet.
Sämtliche Gemeinschaftsverhältnisse sind als Bestandteile der Staatsgemeinschaft dieser untergeordnet. Sie haben zum Inhalt die Gemeinschaft der Arbeit für einen nützlichen Zweck und der Fürsorge für eines der Lebensbedürfnisse. Ruch die Staatsgemeinschaft selber ist doch wohl bestimmt durch die Rücksicht auf das Nützliche in ihrer Entstehung, wie in ihrem Fortbestände. Das ergibt das Ziel, das die Gesetzgebung im Auge hat; gerecht heißt das, was das gemeine Wohl fördert. Die anderen Arten der Gemeinschaft haben statt dessen einzelne besondere Nützlichkeiten zum Zweck, so die Genossen einer Seefahrt das was für die zum Gelderwerb oder zu einem sonstigen Zweck unternommene Reise nötig ist, Kriegskameraden das was dem Kriegszweck dient, sei es, daß die Absicht auf Geld, auf Sieg oder auf Eroberung gerichtet ist. Das gleiche ist der Fall bei Bezirks- und Gaugenossen, Alle diese fallen unter die Staatsgemeinschaft: denn diese hat nicht bloß den Nutzen des Augenblicks, sondern den für das ganze Leben zum Ziel.
Es gibt aber auch solche Gemeinschaften, als deren Zweck man die Belustigung bezeichnen darf, Opfer- und Schmausgesellschaften, wo es auf Opferfeste und Geselligkeit hinausläuft. Man begeht eine Opferfeier und hält Zusammenkünfte zu diesem Zweck; man erweist den Göttern eine Ehrung und verschafft damit zugleich sich eine erfreuliche Erholung. Diese uralten Opferfeiern und Zusammenkünfte werden tatsächlich nach dem Einbringen der Früchte als Erstlinge veranstaltet; in solchen Zeiten hatte man eben am meisten Muße. Die Gemeinschaften sämtlich erweisen sich also als Glieder der Staatsgemeinschaft; der besonderen Art dieser Gemeinschaften aber wird auch die Art der inneren Verbundenheit in den Gemütern entsprechen.
b) Im Staate
Es gibt drei Arten der Staatsverfassung, und ebenso groß ist die Zahl der Abarten, d.h. der Entstellungen, die sie erfahren. Formen der Staatsverfassung sind Monarchie und Aristokratie; eine dritte ist die auf dem Zensus beruhende, die passend als die timokratische bezeichnet werden darf: die meisten sind gewohnt, sie einfach als den Freistaat zu benennen. Unter diesen Formen ist die Monarchie die am meisten geschätzte, die Timokratie die geringwertigste. Eine Ausartung des Königtums ist die Tyrannis; monarchisch sind beide, aber sie unterscheiden sich aufs stärkste. Der Tyrann ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht, der König auf das Wohl seiner Untertanen. König ist nur, wer für sich selbst genug hat und an Besitz von Gütern alle überragt; so ausgestattet bedarf er niemand und sucht keinen Vorteil für sich, sondern für die von ihm Beherrschten; wäre er nicht so ausgestatte. so wäre er ein lediglich durchs Los ernannter Titular-König. Ganz entgegengesetzten Charakter trägt die Tyrannis. Sie verfolgt den eigenen Vorteil. Daß sie von allen die schlechteste Verfassung ist, tritt bei ihr noch deutlicher darin hervor, daß das Schlechteste das ist, was zum Besten den geraden Gegensatz ausmacht. Der Übergang zur Tyrannis voll zieht sich vom Königtum aus. Die Tyrannis ist eine Entartung der Alleinherrschaft, und ein nichtswürdiger König wird zum Tyrannen. Von der Aristokratie geschieht der Übergang zur Oligarchie durch die Verderbtheit derer, die an der Gewalt sind, wenn sie das, was des Staates ist, ohne Rücksicht auf Würdigkeit verteilen und die Vorteile alle oder doch die meisten für sich vorwegnehmen, die Ämter immer wieder an dieselben verleihen und den größten Wert auf die eigene Bereicherung legen. Dann liegt die Gewalt in der Hand einer kleinen Anzahl von Schlechten statt in der der Besten und Verdientesten. Von der Timokratie geht es zur Demokratie; diese beiden grenzen aneinander. Die Herrschaft der großen Anzahl zu begründen ist das Ziel auch der Timokratie, und als gleich gelten hier alle, die die Bedingung des Zensus erfüllen. Aber die Demokratie ist von allen Ausartungen die noch am wenigsten bedenkliche; denn sie bedeutet nur eine geringe Abweichung von der Form des Freistaats.
In dieser Richtung also vollziehen sich meistens die Wandlungen der Verfassung: denn in der geschilderten Weise findet der Übergang am leichtesten und mit den geringsten Änderungen statt. Ein Gleichnis dafür und eine Art von Beispiel kann man dem Hauswesen entnehmen. Das Gemeinschaftsverhältnis von Vater und Söhnen trägt die Form des Königtums: denn der Vater sorgt für die Kinder. Daher nennt Homer auch Zeus den Vater; denn das ist die Bestimmung des Königtums, eine väterliche Regierung zu sein. Bei den Persern ist es eine väterliche Tyrannei; denn die Kinder werden hier wie Sklaven behandelt, und eine Tyrannis ist auch das Verhältnis des Herrn zum Sklaven; denn was dabei erzielt wird ist der Vorteil des Herrn. Dies Verhältnis nun hat gewiß seine Berechtigung, die persische Verfassung aber ist eine Abirrung. Denn je nach der Verschiedenheit der Menschen sollten sich auch die Herrschaftsverhältnisse unterscheiden. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau stellt ein Bild der aristokratischen Verfassung dar. Denn der Mann hat gebührendermaßen die Herrschaft und übt sie auf dem ihm zustehenden Gebiete; dagegen überläßt er der Frau, was dieser angemessen ist. Will der Mann alles selbst entscheiden, so verfälscht er das Verhältnis im Sinne der Oligarchie; denn da ist sein Verhalten nicht mehr durch seine Würdigkeit und seine Vorzüge gerechtfertigt. Es kommt aber auch vor, daß die Frau, wenn sie eine Erbtochter ist, die Herrschaft führt; dann verteilt sich die Herrschaft wieder nicht den persönlichen Vorzügen entsprechend, sondern nach Reichtum und Einfluß wie in einer Oligarchie. Der Timokratie gleicht das Verhältnis zwischen Brüdern; denn diese sind einander gleichgestellt, abgesehen von dem Unterschiede den das Lebensalter bedingt. Ist deshalb der Unterschied der Jahre sehr groß, so ist das Band das sie verbindet nicht mehr das brüderliche. Demokratie herrscht am ehesten in Haushaltungen, wo es überhaupt keinen Herrn gibt, / denn da sind alle gleich, / und in solchen wo der Herrschende schwach ist und jeder die Macht hat zu tun was ihm beliebt.
Entsprechend jeder dieser Staatsformen gestaltet sich nun auch das Band zwischen den Personen, und zwar ebensoweit wie das Gebiet des Rechts reicht. Zunächst zwischen König und Untertan wird es bestimmt durch das Übergewicht der für das Wohl der letzteren vollbrachten Leistungen. Denn der König wird der Wohltäter seiner Untertanen, wenn er in edler Gesinnung für sie Sorge trägt wie ein Hirt für seine Herde, damit ihr Wohlstand blühe. Darum hat auch Homer den Agamemnon den Völkerhirten genannt. Die väterliche Gewalt trägt den gleichen Charakter, unterscheidet sich aber davon durch die Größe der erwiesenen Wohltaten. Denn der Vater ist der Spender wie des Daseins, das doch als die größte aller Gaben gilt, so auch der Nahrung und der Erziehung; und den Großeltern wird der gleiche Anspruch auf Dank zugeschrieben. Die Herrschaft des Vaters über die Kinder, der Großeltern über die Nachkommenschaft, des Königs über die Untertanen ist so in der Natur begründet. Hier beruht das Band zwischen den Personen auf der Überlegenheit des einen Teils; daher die Ehre, die man seinen Eltern erweist. In diesem Falle sind denn die Personen auch dem Rechte nach nicht gleichgestellt, sondern das Recht ist nach der Würdigkeit abgestuft; das gilt auch von der Art wie sie für einander empfinden. Das Band zwischen Mann und Weib ist dasselbe wie in einer Aristokratie. Es gründet sich auf die persönlichen Vorzüge jedes Teils; der größeren Tüchtigkeit fällt das größere Gut und jedem das zu was ihm gebührt; ebenso will es auch das Recht. Das Band zwischen Brüdern gleicht dem zwischen Kameraden; sie sind einander gleich an Stellung und Alter, und in der Regel haben sie auch gleiche Stimmung und gleichen Charakter. Mit dieser Art von Verbundenheit hat denn auch die Verfassungsform der Timokratie Ähnlichkeit; denn da ist die Forderung, daß die Mitbürger einander