Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger


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auch ein Duar die Spuren dessen, was er erlebt hat.

      Jetzt aber kamen die Menschen, die Haddedihn, heran.

      Ich hatte bei unserer Annäherung bereits in der Ferne die Späher und Wachen zu den Seiten unseres Weges bemerkt, die Reiter mit den Gewehren und den Lanzen, mit denen sie sich in einem eigentümlichen Mixtum von Moderne und Altertum bewaffneten. Die Haddedihn waren nach dem Überfall noch wachsamer geworden, als es ohnehin angeraten war. Doch hatte man uns nicht angehalten und überprüft, denn die Wächter hatten Halef und mich wohl erkannt und waren stattdessen in den Duar geritten, um Meldung über unser Herannahen zu machen.

      Und nun kamen uns die Haddedihn entgegen. Rasch ließ ich meine Blicke über sie gleiten, indem ich bekannte, vertraute Gesichter suchte, um mein rasendes Herz zu beruhigen.

      Doch musste ich bedenken, dass die stolzen Beduinen auch in Not und Schmerz noch ihre Regeln befolgen und die Würde der Begrüßung bei den Oberhäuptern liegt. Niemals hätte ich erwarten dürfen, dass Halefs gesamte Familie herangestürmt wäre, damit sie einander erleichtert und lachend in die Arme fallen konnten – oder auch mit gesenktem Kopf und Tränenblick, weil einige von ihnen …

      Der Scheik der Haddedihn, Amad el Ghandur, trat vor und hob die Hände. Sein Gesicht zeigte nur strenge Ernsthaftigkeit, keine Spur von Leid über das Geschehene oder Freude über unsere Ankunft – beide Gemütsregungen konnte er sich nicht erlauben. Doch ich ahnte, dass unter seinem schwarzen Bart, der ihm lang bis über die Brust fiel, das Herz schwer war.

      „Willkommen euch, in dieser schweren Stunde, die uns erleichtert wird durch euer Eintreffen, das rascher geschah, als wir je hätten hoffen mögen! Allah hat euch in seiner Güte rasch auf den Weg gesandt und gut behütet, während er uns zuvor schwer geprüft hat.“

      Wir entboten einander die angemessenen Grußformeln, die ich nicht wiedergeben will, da sie mir zwar tief empfunden, aber doch ein wenig automatenhaft über die Lippen kamen. Ich spürte, wie meine Aufregung und Sorge zum Teil einer Taubheit wichen, die aber umso heftiger biss und stach, weil das Wichtigste noch immer im Ungewissen blieb.

      Nun trat Scheik Malek vor, der Vater von Amscha und Großvater von Hanneh und Djamila. Er war bei unserer ersten Begegnung bereits nahe am Alter eines ehrwürdigen Greises gewesen, und dem entsprach auch seine etwas gebeugte Haltung, die jedoch noch immer den starken Wuchs des Kriegers ahnen ließ. Die Falten seines Gesichts waren noch tiefer geworden, nun wohl nicht nur wegen des Alters, sondern der schrecklichen Umstände wegen. Was mich aber verwunderte, war die Farbe seines langen Barts, den ich als so weiß in Erinnerung hatte, wie jener Amad el Ghandurs schwarz war. Maleks Bart besaß nun einen seltsam schimmernden Grauton, satt und tief wie Glanzkohle, welche man auch Anthrazit nennt.

      Halef bemerkte meinen Blick und ließ ein abgehacktes Glucksen hören, als erinnerte er sich an einen Scherz, über welchen laut zu lachen oder ihn gar zu äußern, die Situation verbot. Er winkte mit leiser Geste ab und ich begriff, dass er mir alles beizeiten erklären würde. In diesem Augenblick verspürte ich aber weniger Neugierde als vielmehr Erleichterung darüber, dass sich das Herz meines kleinen Freundes vor lauter Sorge nicht so sehr verhärtet hatte, dass es ihm bei der nächsten Erschütterung im Leib zersprungen wäre.

      Jetzt sprach Scheik Malek die Grußformeln, welche wir erwiderten, und endlich, endlich erfuhren wir, was geschehen war.

      Sie waren in der Nacht gekommen, in unbekannter Anzahl. Und sie hatten nicht angegriffen wie Beduinenkrieger, selbst wenn es dafür Anzeichen gab.

      „Eine Finte“, befand Amad el Ghandur. „Um uns glauben zu machen, es seien andere Stämme gewesen. Aber die Zerstörungen der Zelte waren nur Ablenkung, während andere das eigentliche Ziel verfolgten.“

      Malek ergriff fest die Hände Halefs. Seine Augen schimmerten und seine Stimme strafte die verzweifelte Kraft seiner Hände Lügen, denn sie war brüchig. „Sie haben Hanneh entführt. Und Djamila.“

      Halef erbebte, doch er ließ sich nicht von dieser furchtbaren Nachricht überwältigen, sondern fragte sogleich nach Amscha und Kara Ben Halef, seinem kleinen Sohn.

      Malek atmete zitternd ein. „Dein Sohn ist wohlauf. Er war während des Überfalls bei den Kriegern, welche die wertvollen Pferde ausritten. Kara Ben Halef ist mit seinen fünf Jahren schon ein guter Reiter, ein stolzer Bedu.“

      Halef nickte erleichtert und stolz.

      Malek nickte mit ihm. „Und meine starke Tochter hat ihre Wunden tapfer ertragen, die sie sich zuzog, als sie ihre Töchter und meine Enkeltöchter verteidigte, wenngleich vergeblich. Ich musste ihr befehlen, auf ihrem Lager zu bleiben, statt sogleich hinter den Entführern herzujagen.“

      „Was ist mit jenen?“, fragte Halef.

      „Wir haben Krieger auf ihre Spuren angesetzt. Doch sie flüchteten in vielen Gruppen. Die Entführer selbst teilten sich mit Hanneh und Djamila auf und verschwanden in zwei Richtungen. Und jene, die ihnen halfen, indem sie das Lager zerstörten, nahmen einen guten Teil der Schafe und Kamele. Als Lohn, denn sie haben sie sogleich den Nachbarstämmen zum Kauf geboten. Vergeblich. Und so töteten sie die Tiere, die für sie nur Ballast waren. Dann flohen sie.“

      „Aus Furcht vor der Rache der Haddedihn“, rief Halef. „Zu Recht! Sich zu Schandtaten verleiten zu lassen, für einen Lohn, der dann ausblieb. Dumm und töricht – doch dies schützt vor Strafe nicht.“

      „Unser Bündnis mit den ringsum siedelnden Stämmen ist noch gefestigt worden. Sie verweigerten den Kauf der ihnen bekannten Tiere, und so erlassen wir ihnen für eine Weile den Tribut. Auch haben sie sich bereit erklärt, die Banditen zu jagen, damit wir uns ganz der Befreiung unserer Stammestöchter widmen können.“

      „Das wird meine Aufgabe sein. Und die meiner Freunde! Doch nun möchte ich Amscha sehen und Kara Ben Halef!“

      Malek wies den Weg und wir folgten ihm, obgleich wir doch wussten, wo das Zelt von Halefs Familie stand. Ich erkannte ringsum, dass doch noch nicht alle Spuren des Überfalls verwischt waren. Auf dem Grund sah man deutliche Brandflecke und aufgewühlte Erde, in den Zeltbahnen bemerkte ich die Löcher, welche Flintenkugeln gerissen hatten. Der Angriff musste heftiger gewesen sein, als die Haddedihn sich wollten anmerken lassen. Ich sah die geröteten Augen der Witwen und Waisen. Und würde ich den Duar verlassen, fände ich im Umkreis sicher mehr als eine Handvoll frischer Gräber. Ob jene Beduinen, die ich namentlich oder vom Ansehen her kannte, nun aber nicht erblickte, bei den Herden waren oder auf Kauffahrt in die Städte oder auf der Jagd nach den Verbrechern – oder eben in ihrer letzten Ruhestatt weilten, vermochte ich nicht zu sagen. Wohl aber bemerkte ich den Zorn in den Blicken, der sich in Hoffnung wandelte, als sie meine Freunde und mich erkannten: Die Haddedihn vertrauten darauf, dass wir würden helfen und retten und rächen können.

      Wir näherten uns Halefs Zelt, welches wir in jenem Schreckensbild des Spiegelsteins so verwüstet gesehen hatten, mit der verwundeten Amscha auf dem Lager. Halef schaute bang, und auch ich vermischte vor meinem geistigen Auge das Geschaute mit dem, was uns wohl erwarten würde.

      Dann aber zeigte Malek auf ein wiedererrichtetes Zelt nebenan, und dies war jenes von Amscha, welches man ihren Witwensitz hätte nennen mögen – wäre der Vater ihrer Kinder ein ehrbarer Ehemann und nicht der scheußliche Schurke Abu Seif gewesen und ehrenvoll gestorben und nicht wegen seiner schändlichen Taten gerichtet worden. Amscha hatte danach nie geheiratet.

      „Amscha ist dort drinnen“, sagte Malek. „Sie wird euch gleich empfangen. Aber Halef soll zunächst seinen Sohn sehen.“

      Er zog die Zeltbahn beiseite und wir sahen das Innere wiederhergerichtet, und auf einem Lager schlummerte der kleine Kara Ben Halef, bewacht von einer jungen Beduinin, die ihm mit einem Tuch die Stirn kühlte.

      Halef trat auf den Teppich mit sachten, bedachten Schritten, die ihm sichtliche Mühe bereiteten. Doch er wollte durch jene Zurückhaltung sowohl sein Gesicht wahren als auch den schlafenden Jungen nicht wecken.

      „Ist er krank?“, fragte er mit trockener Stimme.

      Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nicht am Leib, sondern vor Sorge über seine Mutter