Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger


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Augen für Kara, weswegen Malek die Zeltbahn sinken ließ.

      „Lassen wir ihm diesen Augenblick.“

      Ich nickte und wollte ein sanftes Wort an den Urgroßvater richten, das von der Sorge ablenkte. „Malek, ich bemerkte ein Bündel in der Armbeuge von Kara. Es sah wie – eine Puppe aus?“

      Malek lächelte. „Es ist ein Tier aus Tuch, ausgestopft mit Haaren. Djamila hat es ihm geschenkt und wohl auch selbst verfertigt. Sie sagt, dass es ihm Mut und Kraft geben würde, wann immer er übel träumt.“

      Ich nickte angetan. „Eine schöne Gabe.“

      Malek wiegte den Kopf. „Nun, ich weiß nicht, ob es ihm nicht überhaupt erst üble Träume bereitet. Ich dachte zunächst, es solle ein Kamel sein, bis ich den unpassenden Kopf und den Schwanz bemerkte. Von Löwe und Schlange. Was soll dies nur darstellen?“

      Ich wechselte einen Blick mit Haschim, dem Verwunderung im Gesicht geschrieben stand. Djamila hatte Kara das Ebenbild eines Mantikors geschenkt, jenes Ungetüms, welchem wir unter Al-Kadirs Festung begegnet waren. Das Mädchen hatte wahrhaft eigentümliche Ansichten, was als Spielzeg und Talisman für einen jungen Bedu geeignet war.

      „Nun“, meinte Malek, „aber meine jüngere Enkeltochter ist ohnehin etwas Besonderes. Sie hat gewisse – Grillen im Kopf.“

      „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte ich.

      Nein, nicht nur vorstellen: Ich hatte dies ja selbst erlebt und wusste nur zu gut, was Malek meinte.

      Er wiegte den Kopf. „Aber selbst ich gebe ihr dann und wann gern nach.“

      „Inwiefern?“

      „Sie meinte, der weiße Bart würde mich älter machen, als ich bin, und so empfahl sie mir, ihn zu färben mit einer Mischung aus …“

      Halef schlug die Zeltbahn zurück und trat wieder zu uns. „Ich wollte Kara nicht wecken. Es tat mir wohl, ihn zu sehen, da es ihm doch gut geht. Jetzt will ich ans Krankenlager von Mutter Amscha.“

      Malek strich sich über den glänzenden dunklen Bart. „Es wird dir ebenso wohltun, Amscha zu sehen …“

      Er wies auf das Zelt und wir gingen hinein, wobei wir uns an die Bilder erinnerten, die Amscha reglos auf ihrem Lager gezeigt hatten. Was bedeutete es, dass sie nun wieder in ihrem eigenen Zelt war – etwa, weil sie dort …

      Amscha lag nicht mehr auf Matten und Kissen, sondern saß auf einem geschnürten Ballen in der Mitte des Zeltes – gleichwohl reglos. Rings um sie sah ich Bündel und Beutel, wie bereitgelegtes Reisegepäck. Und neben und vor ihr lagen Waffen, wie sie die Beduinenkrieger tragen: ein Yatagan, also ein leichter Säbel, wie ihn auch Halef wohl zu führen wusste, dazu auch ein Sarras, eine schwere Ausführung jener gebogenen Klinge. Dann ein Tüfenk, eine prächtig mit Einlegearbeiten geschmückte, wenngleich etwas altmodische Flinte, und ein Dscherid, der Wurfspeer, der auch als Stoßlanze dienen konnte. Auch zwei Tabandschab, einschüssige Pistolen, in bestickten Hüllen waren dabei.

      Amscha trug nicht mehr die blutbefleckte Kleidung, in der wir sie gesehen hatten und die aus dem hellen Stoff bestand, aus dem die Alltagskleider der Beduinenfrauen gewirkt sind. Nun trug sie das Gewand eines Beduinenkriegers, gegürtet, um die Klingen und die Kugeln für die Feuerwaffen aufzunehmen, und die Hosen steckten straff in den geölten Stiefeln.

      Die Kriegerin blickte uns an.

      Ihre Augen waren dunkel, von den Fältchen des mittleren Alters umstrahlt, doch schauten sie fest und brennend. Ihre Züge waren ruhig und gefasst. Ich erkannte, dass die Jahre des glücklichen Familienlebens die Spuren der Strapazen und Entbehrungen, welche Amschas Gesicht bei unserer ersten Begegnung nahe Dschidda getragen hatte, durchaus gemildert hatten. So erkannte ich noch deutlicher die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter Hanneh, Halefs Ehefrau, und diese mochte in zwei Jahrzehnten ebenso erscheinen – wenngleich ihr gewiss jener Anflug von Härte abgehen würde, den Amscha wegen ihres Schicksals in den Händen Abu Seifs besaß. Jetzt aber, als Halef ihr entgegentrat, schaute sie gütig und glücklich. Sie erhob sich – und für einen Herzschlag erkannte ich das Zucken körperlichen Schmerzes, der wohl von den frischen Verletzungen herrührte, die unter Bandagen und Kleidung verborgen waren. Amscha stand jedoch aufrecht, als litte sie nicht, und streckte die Arme nach Halef aus.

      „Mein Sohn“, sagte sie gelöst, „du bist hergeeilt. Ich sandte dir in Gedanken eine Botschaft. Du hast sie erhört. Nun können wir Rache nehmen.“

      „Aber Mutter“, begann Halef, „du musst dich schonen. Wir wissen um deine Wunden …“

      „Jene des Körpers heilen von selbst. Doch wenn ich untätig bleibe, werden die Wunden des Geistes ewig offen bleiben. Deshalb habe ich mich gerüstet, und nur auf dich und die Deinen gewartet.“

      Sie richtete den Blick auf mich. „Nun, Kara Ben Nemsi, du schaust, als würdest du mich erneut für einen Mann halten, wie damals, als wir uns das erste Mal trafen?“

      „Nein, Bint-Scheik-Malek – Tochter des Scheiks“, entgegnete ich und erlaubte mir ein ebensolches leises Spiel der Mundwinkel wie Amscha selbst. „Damals war ich es noch nicht gewohnt, in diesen Landen Frauen zu treffen wie dich. Ich habe seitdem viel erlebt und gelernt. Vor allem, dass die Dinge sich ändern.“

      „Es bleiben manche Dinge aber auch gleich. Du siehst meine Waffen und weißt, dass ich an sie mehr glaube als an anderes – wenn die Zeiten es erfordern. Deshalb habe ich gewartet, bis Halef mit dir eintraf, denn ich brauche dich und deine Waffen für meine Intikam, die Rache gegen die Entführer meiner Töchter und die Mörder meiner Stammeskinder.“

      „Ich sagte dir schon damals vor Dschidda, dass ich keine Blutfehde aufnehmen werde. Die Verbrecher werden durch das Gesetz gerichtet, nicht durch mich.“

      „Und doch sprachst du damals, dass du einen Feind in Notwehr töten würdest. Wenn wir den Entführern erst gegenüberstehen, werden sie sich wehren, uns töten wollen – und dann werden wir es mit Gleichem vergelten.“

      „Damals sprachen wir von Abu Seif, der dich entführt hatte. Und ich möchte erinnern, dass er dies auch mit Halef und mir tat. Wir hatten allesamt gerechten Zorn gegen ihn und Drang nach Vergeltung, du noch mehr wegen seiner weiteren Taten. Wir kannten also das Ziel unserer Rache.“ Ich wies nach draußen. „Aber nun wissen wir nicht, wer …“

      Ich zögerte. Ich hatte mich in eine unangenehme Lage argumentiert. Hätte ich doch nur bereits Halef und den anderen meinen Verdacht geäußert, dass es wohl die Sklavenhändler aus Dauha waren, die Nachfolger Abu Kurbatschs, welche die Haddedihn überfallen und die Töchter Amschas geraubt hatten.

      Wie konnte ich dies nun enthüllen, ohne die Empörung meiner Freunde auf mich zu ziehen? Würden sie es mir nachsehen, dass ich zuvor im Zweifel war und sie vor Schmerz und Unbedacht hatte schützen wollen – weil ich doch selbst voller Schmerz gewesen war?

      Amscha nahm meine Geste auf und deutete aus dem Zelt hinaus. „Wir wissen es wohl. Ich weiß es wohl. Ich habe mit dem Anführer gefochten, als er mit seinen drei Banditen in das Zelt kam, während die anderen draußen das Lager verheerten und die Bedu töteten und das Vieh stahlen. Er dachte wohl, er könne meine Töchter leicht rauben, weil nur die alte Mutter bei ihnen war!“

      Amscha reckte sich und zeigte auf ihre Waffen, als sie zornig weitersprach. „Wären wir doch nur in meinem Zelt gewesen und nicht in dem dort drüben. So hatte ich keine große Klinge, sondern nur ein Messer. Aber ich konnte dem Elenden einen tiefen Schnitt an der großen Nase setzen!“ Sie lachte höhnisch auf. „Wäre er doch nur noch tiefer gegangen!“ Dann wurde sie ernst. „Doch dann wurde ich hinterrücks niedergeschlagen. Feige und tückisch. Ich war darauf lange Zeit ohne Besinnung.“ Sie hob die Hand zum Hinterkopf. „Ich weiß nicht, was mich traf, und ich habe auch keine Wunde dort, nur jene aus dem Kampf.“

      Die Verwunderung Amschas war meine Bestätigung. Ich warf einen Blick aus dem Augenwinkel zu Haschim, der diesen nicht bemerkte, aber gleichsam wissend schaute.

      Amscha ballte die Fäuste. „Djamila wollte sich ebenfalls wehren, aber