Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger


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um mich eben davon zu überzeugen, dass es weder eine natürliche noch eine magische Spiegelung war, begann ich die Anhöhe hinunterzugehen, weiterhin durch den Musaddas schauend, auf die schimmernde Fläche zu.

      Schon sah ich, wie leichter Dunst sich bildete und meine Stiefel umfloss. Ich roch salzige Feuchte wie am Ufer des Meeres, doch fehlte die Frische einer Brise, die Luft stand und der Geruch von brackigem Wasser begann stärker zu werden.

      Dann schälten sich aus dem höher steigenden Dunst einige Schatten heraus, wie schmale Arme mit dünnen Fingern, die still gen Himmel griffen. Es waren die Äste und Zweige von Mangroven, die blattlos aus dem Brackwassersumpf ragten. Auch einige flache Buckel aus grauem Gras, glitzernd von Salz, erhoben sich aus dem Marschland. Im trüben Wasser spiegelte sich matt ein bleifarbener Himmel.

      Eigentümlicherweise verspürte ich einen kühlen Hauch im Gesicht, als strömte durch den Ring des Musaddas wahrhaftig die klamme Luft, welche über dem Salzsumpf zu liegen schien. Auch war mir, als nähme ich die dumpfe Stille war, das tonlose Verharren jenes brackigen Halblandes, in dem sich nichts rührte. Gewiss gab es auch um mich herum keine Laute, denn obwohl die Morgendämmerung nahte, gab es in der baumlosen Gegend unseres Lagers nun einmal keine Vögel, die in ihren Nestern erwachten, um zwitschernd und singend den Tag zu begrüßen. Doch so, wie ich jene Kühle auf meiner Gesichtshaut zu spüren vermeinte, legte sich ein Druck auf meine Ohren, der von der unnatürlichen Abwesenheit von Klang und Geräusch herrühren mochte, die sich mir beim Blick durch den Musaddas mitteilte.

      Ich wusste nun, dass der Musaddas denjenigen, der durch den goldenen Sechseckring blickte, die Dinge so schauen ließ, wie sie wirklich waren. Dies hatte ich bei Wesen und Menschen erlebt, auch in den fernen Bergen des Balkans, als ich den geheimen Weg erkannte, der uns zum Stahlpalast des Schut geführt hatte. Doch war jener Weg zum Teil ein wirklicher Pfad im Fels gewesen, aus dem Gestein herausgehauen und dann mittels Magie vor den Augen der Menschen verborgen. Aber dieser Salzsumpf, der nun vor mir lag – sollte ich glauben, dass hier, in den zur Zeit ausgetrockneten Schwemmgebieten des Tigris und seiner Nebenflüsse, in Wahrheit ein Marschland von Mangroven sich erstreckte, dieses jedoch unter einer zauberischen Tarnkappe versteckt worden war? Wer sollte dies getan haben und warum?

      Ich setzte zu einem weiteren Schritt an, vorsichtig, mit einem knappen Blick nach unten. Nicht, dass ich befürchtete, in den Sumpf zu geraten, der genauso eine Täuschung hätte sein können, sondern um nicht etwa auf dem wahrhaftigen Erdboden über einen Stein zu stolpern und der Länge nach hinzuschlagen. Niemand soll glauben, ich vergäße die Wirklichkeit, auch wenn ich Wunder schaue!

      Dann aber geschah es: Ich wollte meinen Fuß auf den Staub und das Geröll setzen, so wie ich es mit bloßem Auge erblickte, und als der Absatz meines Stiefels sich auf den Grund senkte – da trafen nicht Ledersohle und Erdreich aufeinander. Stattdessen umfing weicher Morast mich sogleich bis zum Knöchel, und eine empfindliche Kühle stach in meine Haut.

      Rasch zog ich den Fuß zurück, setzte ihn einen Halbschritt nach hinten und stand tatsächlich wieder fest. Durch den Musaddas sah ich die schlierige Feuchte auf dem Stiefel.

      Der Salzsumpf war also kein Trugbild, sondern wahrhaftig vorhanden. Sogleich dachte ich, dass ich die anderen warnen müsse, damit sie nicht sehenden – oder eben nicht sehenden – Auges in ihr Unheil gingen. Und ich dachte zudem an mögliche andere Reisende, die hier würden hineingeraten können. Man sollte den Sumpf mit warnenden Zeichen versehen, abstecken wie den Pfad durch ein Moor oder einfrieden wie ein Stück Treibsand. Dergleichen kannte man durchaus, auch in der Nähe der Wüstengewässer des Zweistromlands.

      Und dann – ich verwünschte meine forschenden Blicke durch den Musaddas und auch meine nüchternen Gedanken zur Abwehr von Gefahren – dann endlich begriff ich!

      Haschim war verschwunden – er konnte nur in diesen magisch verhüllten Salzsumpf geraten sein! In ungekanntem Jähzorn wollte ich beinahe den Musaddas fortschleudern, als Zeichen meiner Verachtung für Zauber und Magie! Hätte ich am Fuße des Hügels einen normalen Sumpf oder Morast erblickt – und dies eben mit meinen naturgegebenen Augen –, ich hätte sogleich an die Gefahr gedacht, an Haschims Verschwinden – und gehandelt!

      Fest griff ich den Musaddas, das verwünschte und doch so notwendige Ding, hielt ihn dicht an meine Augenhöhle gedrückt und spähte angestrengt hindurch, wandte den Kopf langsam hin und her und ließ meinen Blick eifrig, aber höchst aufmerksam über den Salzsumpf gleiten, auf der Suche nach einem Anzeichen von Haschim. Die Mangrovenstümpfe prüfte ich besonders – welch schreckliche Ironie, dass ich sie mit Armen und Händen verglichen hatte! Kalter Schmerz stach in meinen Magen – was, wenn ich ein letztes Aufbäumen meines Freundes übersehen hatte, bevor er versunken war?

      Da, endlich, erkannte ich eine Bewegung! War es ein Nebelstreif, ein wehender Dunst zwischen den Mangroven? Ich blickte scharf, bewegte meinen Kopf ein wenig, um die Perspektive zu ändern, und tatsächlich: Da war etwas. Doch schon verschwand es wieder, als ein weißer Schleier sich darumlegte.

      Wenn doch nur etwas zu hören gewesen wäre! Ein Ruf oder auch nur eine Bewegung des Wassers, damit ich hätte sicherer sein können. Es half nichts, ich musste in den Sumpf hinein, um Genaueres zu erkennen. Gedankenschnell wog ich die Möglichkeiten ab – sollte ich zum Lager zurück, um ein Seil zu greifen? Als Sicherheitsleine und Wegweiser? Doch wo hätte ich es befestigen sollen? Ringsum war alles baumlos, und es gab auch keine großen Felsen in der Nähe. Ich hätte meine Gefährten wecken können, doch ihnen die Situation zu schildern, wäre allzu langwierig und auch heikel gewesen. Halef würde mir zwar sogleich glauben, er wusste schließlich schon, was ich durch den Musaddas sehen konnte. Und Sir David hatte so einiges mit einem magischen Wegstein erlebt, der ihm und uns auf dem Balkan die geheimen Pfade sichtbar gemacht und somit geöffnet hatte. Doch Amscha würde mich und uns wohl für irrsinnig und wahnhaft halten. Ich konnte kaum erwarten, dass sie mir vertraute, wie meine langjährigen Freunde es taten.

      Und zudem zweifelte ich an dem Nutzen einer solchen Seilschaft, eben weil ich an dem zweifelte, was hier vor mir lag. War es ein Trugbild oder einer jener Übergänge in eine andere Welt, wie ich sie in den Bergen zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer erlebt hatte? Konnte ein schlichtes Seil mich bewahren vor Gefahr und Irrweg?

      Aber selbst wenn vor mir tatsächlich ein Teich aus Treibsand lauerte, würde ich diesem durchaus entrinnen können, denn die Gefahren, die solcherlei geologische Besonderheit bergen, werden oftmals übertrieben. In Treibsand, jenem Gemisch aus feinsten Steinkörnchen und Wasser, versinkt man niemals tiefer als bis zur Hüfte, was von einer physikalischen Gesetzmäßigkeit herrührt, die ich nicht weiter erläutern will. In einem Sumpf hingegen kann einem das trübe Wasser wahrhaftig bis zum Hals stehen – und gar über dem Scheitel zusammenschlagen. Meiner Kenntnis nach, die sich eben aus Erfahrung und nicht aus Hörensagen oder Lektüre speist, würde ich dieses Areal ohne größere Gefahr betreten können. Ringsum gab es zu wenig Wasser, als dass sich hier wirklich Sumpf oder Treibsand hätten bilden können. Obgleich, wenn es hier nicht mit irdischen Dingen zuging …

      Ich entschied rasch, denn Zeit war hier wichtig. Wollte ich Haschim retten, musste ich nun handeln, auch ohne Seil und Sicherungsmannschaft.

      Ich trat in den verborgenen Sumpf – doch zuvor rief ich laut nach meinen Gefährten, die wohl gerade mit der Tagesdämmerung erwachten, je nach Bedürfnis und Anliegen, seien es Breakfast Tea oder Morgengebet.

      „Halef!“, rief ich laut. „Sir David! Amscha! Rasch! Ein Seil!“

      Das sollte genügen.

      Bis dahin war ich auf mich allein gestellt. Ich musste meinem Können und meiner Erfahrung vertrauen. Vor allem aber trieb mich die Sorge um Haschim an. Und ich fühlte, dass er sich an diesem Ort befand, meine Hilfe brauchte, und dass in diesen Augenblicken nur ich es war, der ihm helfen konnte.

      Ich setzte meinen Fuß auf eine der salzschimmernden Grassoden. Sachte gaben die Halme nach, ich fühlte das Knistern der silbrigen Kruste mehr, als dass ich sie hörte. Dann spürte ich Widerstand unter der Sohle – der Erdbuckel war fest genug, um mir Halt zu geben. Ich balancierte und vollzog den nächsten Schritt, der mich wiederum zu sicherem Stand führte. Einige dicht verflochtene Wurzeln waren ebenso