auch etwas Drolliges. Schade, jetzt ist die Rhapsodie zu Ende. Die alte Hure dort drüben schnarcht aber wie drei besoffene Kutscher. Ich sollte mir noch einen Pernod kommen lassen. Der Mixer hat seltsame Augen. Es muß ja auch melancholisch stimmen, die ganze Nacht hier zu sitzen. Wahrscheinlich schläft er tagsüber. Martin, es ist ungesund, tags im Bett zu liegen — hat alte Frau Korella mir oft versichert. Wieso eigentlich? . . . Ob meine alten Herrschaften sehr unter diesen Nazis zu leiden haben? Papa ist ein so guter Patriot. Als ich abreiste, hat Mama mir gesagt: Wir haben nichts zu fürchten, mein Sohn. Unser Gewissen ist rein. Rührende alte Frau! Vielleicht werde ich sie nie wieder sehen; das würde mir doch leid tun, ganz entschieden.‹ — »Garçon, un autre Pernod, s’il vous plaît!« rief Martin und schlug die Augen auf. Da bemerkte er, daß der Mann, der sich vorhin nach ihm umgedreht hatte, neben ihm am Tische saß. — »Bon soir, Monsieur«, sagte der Mann.
Er sah sehr ramponiert aus und war wohl noch ziemlich jung. Sein gedunsenes, schlaffes Gesicht zeigte grau-weiße Färbung. Die Pupillen in den nah beieinander liegenden, dunklen und engen Augen waren auffallend klein: glitzernde schwarze Punkte, winziger als ein Stecknadelkopf. »Bon soir, Monsieur«, sagte auch Martin, und er dachte: ›Wieso habe ich ihn nicht gehört, als er an den Tisch kam? — Mein Gott, der Mensch will sich mit mir unterhalten! Das hat mir gerade noch gefehlt!‹
Wirklich begann der andere eine Konversation über gleichgültige Gegenstände. Er sprach über das Wetter, die Fremdensaison, die Kriegsgefahr und die hohen Preise. Martin antwortete, so gut er konnte, in seinem noch recht ungewandten, stockenden Französisch. ›Worauf will er hinaus?‹ überlegte er sich. ›Der führt doch irgend etwas im Schilde . . .‹ — Sein Nachbar hatte eine merkwürdig prüfende, fast lauernde Art, ihn zu beobachten. Zuweilen lächelte er, plötzlich und überraschend, als wollte er sagen: ›Wozu machen wir uns gegenseitig etwas vor, lieber Freund? Es wird allmählich Zeit, daß wir zur Sache kommen!‹ — ›Zu welcher Sache?‹ erwiderte Martin ihm stumm, nur durch Blicke. ›Ich habe wirklich keine Ahnung, was Sie meinen, mein verehrter, ungesund aussehender Monsieur.‹
Es gab im sinnlosen Gespräch eine Pause. Nach dem kleinen Schweigen erkundigte sich der Fremde, bedeutungsvoll grinsend: »Schmecken Ihnen die Drinks?«
»Ja — warum?« machte Martin erstaunt. »Es ist guter Pernod.«
»Sie sehen nicht wie ein Alkoholiker aus«, sagte der Mann.
»Es kommt auch ziemlich selten vor, daß ich trinke«, sagte Martin.
»Ach so«, nickte der Mann. Und, nach einer Pause, besonders hinterhältig: »Wahrscheinlich haben Sie gerade nichts — anderes?«
Martin deutete durch erstauntes Achselzucken an, daß er nicht begriff. Der andere, statt sich zu erklären, fragte nebenbei: »Wer hat Ihnen denn diese Adresse empfohlen?«
Welche Adresse? — wollte Martin wissen. »Ich bin zufällig hierher gekommen.«
»So so«, sagte der Fremde. »Da haben Sie Glück gehabt. Sie sind an der richtigen Stelle.«
Nun begann Martin sich zu interessieren. »An was für einer Stelle denn?« — fragte er gierig.
»Stellen Sie sich nicht dumm!« bat ihn der Bleiche, nun seinerseits etwas enerviert und gelangweilt. »Ich weiß doch, worauf Sie aus sind. Ich habe Blick für sowas.«
Und er flüsterte heiser, den Oberkörper vorgeneigt, das fahle, dicke Gesicht mit den brennenden kleinen Augen unheimlich in Martins Nähe gerückt: »Ich bin Pépé.«
»Sehr erfreut«, sagte Martin. »Mein Name ist Fritz Meier.«
»Haben Sie noch nie von mir gehört?« Pépé schien enttäuscht. »Es ist ein Vertrauensbeweis, daß ich mich vorgestellt habe. Aber mein Instinkt trügt mich nie. Sowie ich Sie gesehen habe, wußte ich: Das wird ein Kunde für mich.«
»Was verkaufen sie denn?« — Martin fing an zu verstehen.
Pépé lachte wie bei einem guten Witz. Nachdem er sich genug amüsiert hatte, erklärte er, wieder ernst: »Ich habe eine ganz neue Sendung. Prima Ware. Heute erst aus Marseille gekommen.«
»Was ist es denn?« forschte Martin.
Pépé rückte noch näher an ihn heran. »Sie meinen — K. oder H.?« fragte er, anzüglich grinsend.
Martin erkundigte sich naiv: »Was ist das, — K. oder H.?«
Pépé lachte wieder ein bißchen, ehe er flüsterte: »Kokain oder Heroin! Sie scheinen aber wirklich noch ein rechtes Kind zu sein! Ein Anfänger, wie ich sehe! Deshalb gefallen Sie mir gerade. Sie sind sicher ein besserer Mensch — ein Intellektueller; sowas merke ich doch. — Man muß immer vorsichtiger werden! Die Polizei ist überall hinter uns her. Gestern ist wieder eine Razzia gewesen. Kommen Sie mal mit mir auf die Toilette!«
Er erhob sich und schlenderte zu der Türe, wo »Messieurs« stand. Martin zögerte eine Minute, ehe er folgte.
Es war eine recht primitiv eingerichtete Lokalität. Nicht einmal eine Sitzgelegenheit gab es; sondern, neben dem Abtritt, nur zwei Stützpunkte für die Füße. Übrigens roch es garstig.
Pépé hatte schon die Brieftasche gezogen. Er entnahm ihr ein Päckchen aus starkem, rotem Papier. »Eine Qualität wie für Prinzen!« verhieß er noch, ehe er das Päckchen öffnete, und küßte sich, selbst entzückt von der Feinheit dessen, was er zu bieten hatte, die Fingerspitzen. »Schauen Sie mal, wie das funkelt! Wie lauter kleine Kristalle!« — Martin blickte neugierig hin; was er in der kleinen roten Hülle entdeckte, war ein grauweißes Pulver. »Es sind drei gute Gramm«, erklärte Pépé und wog seinen leichten Schatz liebevoll auf der Handfläche. »Ich lasse es Ihnen für 200 Francs.« Martin, seinerseits ziemlich heiser flüsternd, brachte hervor: »Ich weiß aber gar nicht — ob ich Kokain überhaupt mag . . .« Und war doch schon fast entschlossen, dem verdächtigen Gesellen sein Zeug jedenfalls abzukaufen.
»Dummerchen!« Pépé sagte es beinah zärtlich, mit den gedunsenen, fahlen Lippen nah an Martins Ohr. »Ich sehe doch, daß du kein Typ für Koks bist. Koks ist eine Droge für kleine Huren. Du hast ein Gesicht wie ein Philosoph. Es ist Heroin, feinste Sorte!« Martin spürte seinen Atem an der Wange; er ekelte sich, wandte sich aber nicht ab. »Wenn du mir nicht so sympathisch wärst«, raunte der Händler, »würdest du das gute Zeug gar nicht kriegen! Hast du denn eine Vorstellung, was ich riskiere, indem ich dir sowas anbiete? — Aber ich kenne dich, ich kenne dich schon . . . Du bist ein feiner Kerl, du hast Weltschmerz, vielleicht ist eine Geliebte dir weggelaufen, da brauchst du ein bißchen Trost. Der Pernod genügt dir nicht, du mußt etwas Besseres haben. Da ist etwas Besseres . . . Da . . .« flüsterte er verlockend. »Ich lasse es dir, für nur 200 Francs, weil ich weiß: du wirst ein guter Kunde von mir. Du kommst wieder, und oft — da habe ich gar keine Zweifel . . .« Pépé legte ihm einen schweren, weichen Arm um die Schulter. Martin spürte, daß ihm gleich übel werden würde: vom Gestank des Aborts und von der Nähe dieses Menschen. »Gut. Ich nehme es«, sagte er mühsam und langte schon nach dem Geld. Dann zögerte er noch einmal: »Wie konsumiert man solches Zeug eigentlich?«
»Mach nur schnell, nimm endlich das Päckchen«, drängte Pépé. Er schien weniger gierig danach, das Geld zwischen seinen Fingern zu spüren, als er drauf aus war, das Pülverchen in der Hand seines Kunden zu sehen. ›Er ist wie der Satan‹, mußte Martin plötzlich denken. ›Wie der Teufel, der es nicht erwarten kann, die Bluts-Unterschrift seines Opfers unter dem verhängnisvollen Vertrag zu haben . . .‹
»Auf welche Art man es konsumiert?« kicherte der Böse. »Ganz wie’s beliebt, Herzchen, ganz wie es dir Spaß macht, du wirst’s schon noch lernen — wenn du es wirklich noch nicht weißt. Du kannst es durch die Nase hochziehen: so!« Er nahm eine kleine Prise auf den Handrücken und schnupfte sie mit Genuß. »Oder du kannst es in Wasser auflösen und dir einspritzen. Darauf kommst du bald genug, mein Schatz!«
Martins Hände zitterten, als erdie Fünfzig-Francs-Scheine hinzählte und das Päckchen zu sich steckte. Pépé ließ ihn noch wissen: »Mich findest du immer hier, das ist mein Stammlokal. Mittags zwischen elf und zwölf, und abends ab zehn Uhr kannst du mich