sich mählich verändert. Darzustellen ist anderseits, wie die Anhänger einer linken, sozialistischen Diktatur — von der Katastrophe erschüttert, die nun eine Partei-Tyrannis für unsere Heimat bedeutet — ihre Stellungnahme zu dem gesamten Themen-Komplex ›Diktatur‹ zu revidieren beginnen; in harter Schule den Wert der Freiheit neu, und diesmal hoffentlich gründlich, begreifen lernen.«
David warf, in einer Art von trockener, intellektueller Begeisterung, das leuchtend bleiche Gesicht in den Nacken. ›Wie sieht er denn aus?‹ dachte Marion, die immer noch in ihrer ziemlich unbequemen Haltung saß, den Körper im Sitzen seitlich gewendet; die Arme um die Stuhllehne geschlungen. ›Wem gleicht er denn? . . . Sein Gesicht müßte gerahmt sein von einem dunklen und harten Bart. Ganz entschieden: ein nachtschwarzer Bart, steif wie Holz, wäre stilvoll um diese Miene. Er würde unserem David ganz das Aussehen des Jochanaan geben. Ich sehe sein Haupt auf der Silberschüssel der sündigen Prinzessin Salomé kredenzt . . .‹
»Wie viel Typen!« rief David mit merkwürdig fliegenden Gesten. »Wie diese moralischen, politischen, artistischen Konzeptionen dialektisch gegeneinanderstehen; sich ergänzen, begegnen, überschneiden; sich widersprechen, gegenseitig aufzuheben scheinen — und doch alle zusammen in eine Synthese, zu der wir erst allmählich vordringen werden, einmünden; in das wahrhaft Neue, die Zukunfts-Form des Humanismus . . . Jeder trägt sein Teil dazu bei; jede Rubrik in unserer komplizierten Statistik hat ihre besondere, wesentliche Funktion.
Um nur irgendeinen Fall herauszugreifen: mein alter Professor Abel, bei dem ich in Bonn Kollegs über den Faust und die deutsche Romantik hörte; bourgeoiser Intellektueller, gutmütiger Liberaler, ausgesprochen historisch-konservativ orientiert; der unpolitische, antirevolutionäre Deutsche par excellence: wer hätte gedacht, daß er jemals mit der Macht in akuten Konflikt kommen würde? Mein alter Abel — die Harmlosigkeit in Person — wird ins Exil getrieben. Als Exilierter entwickelt er sich vielleicht zum Repräsentanten klassischer deutscher Traditionen — gegen jene Verfälschung und Verfratzung deutschen Wesens, die Nietzsche schon in Bismarcks Reich seherisch erkannte, anprangerte, bekämpfte . . .«
Mutter Schwalbe stand seufzend auf. Es wurde ihr zu gebildet. Marion erkundigte sich — das Gesicht in die Hand geschmiegt, die auf der Stuhllehne ruhte —: »Wo ist dieser Abel jetzt?«
Ihre Stimme, leuchtend zugleich und dunkel, hatte die Macht, sofort die gespannte Aufmerksamkeit aller im Raum wie durch einen Zaubertrick zu gewinnen. David, schreckhaft von Natur, warf, in jäher Drehung zuckend, den Oberkörper herum. Statt zu antworten, bedeckte er die Augen mit der Hand, als hätte zu starkes Licht ihn geblendet. Marion wiederholte:
»Wohin ist denn dieser Abel verschlagen worden?«
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