Nataly von Eschstruth

Im Spukschloss Monbijou


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Mutter, Amarant! Nicht ganz so gross, nicht ganz so voll in den Formen, auch ernster im Ausdruck, als ehemals unsere lachende kleine Heidelerche! — Aber dennoch Thekla rediviva!“

      Noch einmal küsst sie in sichtlicher Erregung beide Wangen ihres kleinen „Findlings“ und sagt herzlich: „Wieviel Altes wird durch Ihren Anblick wieder jung in meinem Herzen! Mir ist’s, als hätte ich ein Stücklein goldene Vergangenheit, die ich längst verloren geglaubt, wiedergefunden! Nun setzen Sie sich erst ein Augenblickchen zu mir und lassen Sie uns viel zusammen plaudern. Mit dem Tee warten wir, wenn es Ihnen recht ist, bis zur Ankunft meines Sohnes, der gewohnt ist, um diese Zeit bei mir auszuruhen!“

      Sie legte den Arm um Fräulein von Waldeck und zieht sie auf das kleine Rokokosofa unter dem mächtigen Goldspiegel und den duftenden Azaleen nieder.

      „Wo haben Sie eigentlich die langen Jahre gesteckt, Amarant? Immer auf dem Land bei den Grosseltern, oder hat man Sie in ein Töchterpensionat der Residenz geschickt?“

      Und das junge Mädchen erzählt.

      Ohne jede Befangenheit, frisch und liebenswürdig, ihr unerklärliches Schweigen mit dem weltfernen Leben der alten Leute entschuldigend, welchen der Tod Theklas so überraschend gekommen, dass ihre letzte Lebenszeit eigentlich ohne jeden näheren Kommentar für sie geblieben!

      Die Pensionsjahre in Gnadenfrei und ein späterer, kürzerer Aufenthalt bei Verwandten in der Residenz, wo sie noch ein paar Musikstunden nehmen sollte, seien auch nicht sehr abwechslungsreich gewesen, jedenfalls sei sie nie ehemaligen Freunden oder Bekannten ihrer verstorbenen Eltern begegnet, obwohl sie oft recht sehnsüchtig gehofft habe, einmal des Namens wegen auf Vater oder Mutter angesprochen zu werden! Und nun sei plötzlich ein so liebes Wunder geschehen, und in der grossen fremden Welt habe eine Patin zu ihr durch einen Brief geredet, so viel gute, treue Segensworte, dass ihr ganz weich und warm um das Herz geworden sei!

      „Ja, der Brief, den ich damals zu dem Armband schrieb, liebste Amarant! Ich war seiner Zeit auch krank, hatte schwermütige Gedanken und wusste nicht, ob ich Ihre Konfirmation noch erleben würde, da legte ich Ihnen ein Andenken in die Wiege!“

      „Wie innig, ja am meisten dankte ich es der lieben Mama, dass sie mir gerade diese Zeilen erhalten und bei dem Armband belassen hatte! — Und diese Freude, als Onkel Strombeck schrieb, dass die Mutter seines Adjutanten mit der Schreiberin identisch sei!“

      „Sie liebes Kind! Sie ersahen daraus, mit wieviel richtigen Segenswünschen ich Sie an der Schwelle des Lebens begrüsste!“

      Wieder legte Frau Agathe den Arm um das junge Mädchen, und in ihren Augen schimmerte es feucht.

      „Und nun haben Sie endlich mal einen längeren Urlaub bekommen?“

      Amarant sah mehr wehmütig als erfreut aus. „Ja, ich bin beinah überflüssig daheim geworden! Grosspapa leidet an Gicht und ist dadurch viel an das Zimmer gefesselt. Sein ältester Sohn Klaus musste daher den Abschied nachsuchen und die Bewirtschaftung von Riebenow übernehmen. Vor einem Jahr hat er geheiratet, und zwar eine sehr tüchtige kleine Frau, die auch auf dem Lande gross geworden und gewöhnt ist, die Zügel der Regierung tatkräftig mit eignen Händen zu führen! — Tante Lucies älteste Tochter, die ein wenig verwachsen ist und keine Freude an dem Stadtleben findet, siedelte nach dem Tod der Mutter auch zu uns über und hilft als liebenswürdige Enkelin die Grossmama sehr treu zu pflegen! So sind wir viele Leute in Riebenow geworden, und ich bekam ohne Schwierigkeiten den Reiseurlaub bewilligt.“

      Hammerschmidt trat ein und überreichte ein kleines Paketchen mit einer Karte.

      „Verzeihen Sie, Amarant, sicherlich eine freundliche Liebesgabe für unser Krüppelheim!“ Sie las schnell die wenigen Zeilen. „Wie nett von Frau Sanitätsrat! Sie schickt ein paar Bilderbücher für die Kleinen!“ Die Sprecherin erhob sich und legte Paket und Briefkarte auf den kleinen Spieltisch zur Seite.

      „Unsere humanen Veranstaltungen, die Christbescherungen für soviel arme, freudebedürftige Kinder kennen Sie gewiss nicht, liebe Amarant, oder haben Sie auf dem Land in begrenzterer Weise auch die Wohltätigkeit zum Gottesdienst gemacht?“

      Fräulein von Waldeck lächelte schelmisch.

      „Wir haben für ein ganzes Dorf zu sorgen, allein achtzig Erwachsene und dreiundvierzig Kinder, denen wir bescheren!“

      „Du meine Güte! Welch eine rasende Arbeit und Ausgabe muss das sein!“

      „Wir haben es schon seit Jahr und Tag ganz praktisch eingerichtet, und da es meist nützliche Geschenke sind, kann man sie selber herstellen. Schafe, die die Wolle liefern, haben wir, und Flachs, der zu Hemden nötig ist, bauen wir an. Nur beizeiten anfangen müssen wir Damen und Mädchen im Hause, um alles rechtzeitig fertigzustellen, denn selber stricken und häkeln müssen wir es! Da wurde einmal sehr gelacht, als am sechsundzwanzigsten Dezember die gute, alte Mamsell Dörte die Damasttücher von den letzten Tafeln der Leutebescherung abnahm.

      Sie stand einen Augenblick und starrte bedenklich zu mir herüber.

      ‚Gnädiges Fräulein!‘

      ‚Was soll’s, Dörte?‘

      ‚Die Bescherung ist vorüber.‘

      ‚Teils leider, teils Gott sei Dank!‘

      ‚Gnädiges Fräulein!‘

      ‚Was denn, Dörte?‘

      „Es ist die höchste Zeit, dass wir unsre Weihnachtsarbeiten für nächstes Jahr beginnen! Wolle und Stricknadeln habe ich schon bereitgelegt!“

      Frau Agathe lachte hell auf.

      Welch eine allerliebste, amüsante Art hatte Amarant, zu erzählen.

      „Ich bin Ihre Patentante und teile mich von nun an mit Frau von Strombeck in die Rechte und Anteile an der neuen Nichte. — Also künftighin: ‚Tante Agathe‘, nicht wahr, Kleinchen?“

      Da jauchzte es ihr leise und zärtlich entgegen.

      Voll warmer Inbrunst drückte Amarant die Lippen auf die schlanke, weisse Frauenhand, die sich ihr so treu entgegen bot.

      Und Agathe zog ihre „Dieudonnée“ abermals in die Arme und küsste sie, wie eine, die eigentlich nichts mehr im Leben gesucht und plötzlich etwas sehr Liebes gefunden hat.

      „So werden Sie meine kleine Stabsordonnanz sein bei den Bescherungen?“ lachte sie lebhaft.

      „Oder die Hofdame —“

      „Oder meine rechte Hand —“

      „Jedenfalls Hans in allen Ecken, wo ich gebraucht werde!“

      „Sigurd macht schon seine Witze und bat darum, in dem Missionsgeschäft ‚junger Mann‘ sein zu dürfen.“

      „Wenn er flink, fleissig und ehrlich ist, warum nicht?“

      „Er ist sehr brauchbar“, nickte die Mutter stolz; „einen sehr schönen und grossen Erfolg des Abends werden wir ihm verdanken!“

      „Neugierde ist mein Fehler nicht, doch möcht’ ich gerne wissen!“ zitierte Amarant voll Humor.

      „Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Sigurd hat uns zwei entzückende Transparente zwischen einer Pyramide von kleineren Christbäumen hinter die Krippe gemalt, wenn es Sie interessiert, zeige ich sie Ihnen!“

      „Und ob es mich interessiert! Ihr Herr Sohn erzählte mir bereits von seinen so passioniert betriebenen Malstudien.“

      „Er erzählte Ihnen?!“ Frau Agathe schlug staunend die Hände zusammen. „Wie ist das möglich? Für gewöhnlich ist es ihm gar nicht angenehm, wenn irgendwelches Aufheben von seinem wirklich grossen Talent gemacht wird. Und nun erzählt er es Ihnen selber?“

      „Durch einen Zufall!“ Die Damen schritten nach dem Nebenzimmer, wo in einem Eck, vor dem Schreibtisch ein grosses Transparent, die „Madona mit dem Kind“ darstellend, postiert war.

      Agathe knipste die elektrische Flamme ihrer Schreibtischlampe dahinter an,