sprechen und auch nicht über die Ähnlichkeit, die er mit Jean Pierre hätte. Ich hatte ihm ein Foto von ihm gezeigt. Er sagte mit einem seltsamen Ausdruck, daß dadurch vielleicht noch mehr Unglück über einige Menschen kommen könnte. Er sagte, daß er verheiratet sei und eine Tochter hätte und seine Frau sehr liebe.«
Anouk sah Cordula an, die nun rasch die Augen schloß, weil sie zu brennen begannen.
»Ich verstehe, Cordula, daß er Sie geliebt hat, und es hat mir einen Stich versetzt, als ich von seinem Unfall las. Aber mit Jean Pierre habe ich nie über diese Begegnung gesprochen. Ich habe aber oft gedacht, welches Geheimnis die Familien Ahlen und Morrell wohl trennen mag. Ich habe gedacht, daß Jean Pierre einmal mit mir darüber sprechen würde, aber er tat es nicht, und ich wollte nicht fragen. Ich dachte stets, daß er kein Vertrauen zu mir hätte… und daß dieses Geheimnis immer zwischen uns stehen würde.«
»Mein Gott, was haben sie nur angerichtet, daß auch die Jungen darunter leiden müssen«, sagte Cordula leise. »Jean Pierre konnte doch gar nichts sagen, weil er nichts weiß. Auch jetzt noch nicht, Anouk. Und ich kann Ihnen auch nur das sagen, was wir alles vermuten. Aber da Sie so gut zu schweigen verstehen, kann ich es Ihnen ja anvertrauen, damit Sie einen Weg finden, Jean Pierre zu helfen. Ich weiß, daß er Sie liebt, aber auch gewisse Zweifel hegt, weil Sie sich innerlich distanzierten.«
Und dann erzählte sie, wie sie Jean Pierre kennengelernt hatte und daß sie inzwischen schon gute Freunde geworden waren.
»Und ich hoffe, daß wir uns auch verstehen, Anouk. Vielleicht wird Jean Claude Morrell im Angesicht des Todes auch sprechen.«
»Er wird sterben? Er muß wirklich sterben?« flüsterte Anouk bebend. »Ich wußte das doch nicht! Ich habe ihn so lieb! Er ist ein so guter Mensch, Cordula.«
»Dann werden Sie ihm wohl eine große Freude bereiten, wenn Sie ihm sagen, daß Sie Jean Pierre auch liebhaben und ihn vielleicht auch heiraten werden. Ich will ja nichts vorwegnehmen, aber ich denke, daß dies auch Jean Pierres größter Wunsch ist.«
Was kann Schweigen für Barrieren schaffen, ging es ihr durch den Sinn, als sie heimwärts fuhr. Und was mochte Leon damals, als er Anouk traf, bewegt haben? War er hinter das Geheimnis gekommen, wer sein Vater war? Aber er hatte ja auch geschwiegen. Warum nur, dachte Cordula weiter. Aber Leon konnte ihr keine Antwort mehr geben.
*
Sie sah das fremde Auto schon auf der Straße stehen und wußte, daß Hanno gekommen war. Er war von Nora bestens unterhalten worden, und es war bereits verabredet, daß er sie mit zu dem fremden Großvater nehmen würde, der sie gern kennenlernen wollte.
Hans sah seine Tochter ängstlich an, als Nora dies sehr direkt verkündete, und er wunderte sich, daß Cordula keinen Widerspruch erhob.
Sie hatte Hanno die Hand gereicht, und dann sagte sie, daß ihr nun wohl gestattet sein würde, mit Hanno allein zu sprechen.
Niemand erhob Einwände, und was Hanno dann von ihr erfuhr, brachte ihn völlig aus der Fassung, denn Cordula machte keine langen Umschreibungen, die ihr nun wirklich nicht mehr angebracht erschienen.
»Und das alles sagst du mit solcher Gelassenheit, Cordula?« murmelte er tonlos.
»Sollen wir den Kopf noch länger in den Sand stecken, Hanno? Jean Pierre ist doch der lebendige Beweis, daß sich da etwas abgespielt hat, das man nicht wegreden kann. Ich hoffe, du wirst nicht so schockiert sein, daß du dem armen Morrell alle Schuld zuschiebst.«
»Das werde ich bestimmt nicht tun. Vater hat mir ja schon Andeutungen gemacht, aber wenn ich überdenke, welche Folgen für uns alle dies hatte, bin ich sehr betroffen. Ich darf doch auch sagen, daß du zu den am meisten Betroffenen gehörst.«
»Wieso ich, Hanno?«
»Weil ich meine, daß Vater wußte, daß Leon nicht sein Sohn ist… und daß er deshalb auch dich und das Kind nicht akzeptiert hat.«
»Und nun will er Nora plötzlich akzeptieren? Wie soll ich das verstehen?«
»Es ist schwierig zu verstehen, das gebe ich zu, aber es zeugt doch davon, daß er nachgedacht hat. Er hat Leon als Sohn anerkannt. Er hat den Namen Ahlen getragen… und Nora ist mit diesem Namen zur Welt gekommen. Vater hat all die Jahre hindurch nichts dagegen unternommen. Erst mit Mutters Tod hat sich etwas in unserem Leben geändert. Aber bitte, sieh in mir nicht den Feigling, Cordula. Ich habe mich immer bemüht, Kontakte herzustellen, doch jetzt wissen wir ja, warum das nicht möglich war.«
»Und fast hätte Leon damit auch Anouk um ihr Glück gebracht«, sagte Cordula leise. »Er hat sich nichts dabei gedacht, zumindest nicht, was sie betraf. Bitte, verzeih, wenn ich ungerecht war, Hanno.«
Sie streckte ihm beide Hände entgegen, die er an seine Brust zog, und sie spürte unter ihren Fingern den Schlag seines Herzens.
»Ich bin dankbar, Cordula, daß wir uns jetzt auf einer anderen Basis begegnen können«, sagte er verhalten, und dann küßte er ihre beiden Hände.
Aber sie küßte ihn spontan auf die Wange, und dann legten sich ebenso spontan seine Arme um sie. Stumm umarmten sie sich, aber schon war ein Hauch von Glück da, der sie umfing.
Mit gespitzten Ohren hatte Nora gelauscht und ihren Opi immer wieder angeschaut, der auch nicht zum Reden aufgelegt schien.
»Sie streiten nicht, Opi, das ist sehr gut«, stellte Nora fest. »Ich bin froh. Du sagst doch selber auch, daß Hanno sehr lieb ist.«
»Und das wird deine Mami inzwischen wohl auch begriffen haben«, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln.
»Und wenn ich mit dem Großvater auch gut reden kann, bist du nicht böse, gell?«
»Nein, mein Schatz, nur vergessen darfst du mich nicht dabei.«
Ganz empört schüttelte sie den Kopf. »Wie kannst du bloß so was denken? Dich kenne ich doch von Anfang an!«
Dann schmusten sie noch eine Weile, wobei Hans zu der Erkenntnis gelangte, daß er ihre Zuneigung nun wohl doch teilen müßte, wenn auch nicht so stark mit dem Baron, aber doch wohl mit Hanno.
Nora strahlte vor Begeisterung, als Cordula nun sagte, daß sie mit Hanno fahren dürfe.
»Kommst du nicht mit, Mami?« wollte sie wissen.
»Nein, ich habe noch zu tun, aber du verstehst es allein ganz sicher besser, dich mit Hanno und seinem Vater zu unterhalten.«
»Aber Hanno bleibt doch bei mir«, sagte Nora zögernd.
»Natürlich bleibt er bei dir.«
»Ganz allein wäre es mir doch bange«, gab sie zu, und Cordula tauschte mit Hanno noch einen langen verständnisinnigen Blick.
Dann aber fuhren die beiden davon, und Cordula berichtete ihrem Vater über ihre Aussprache mit Anouk.
»Es ist doch eine verrückte Welt«, sagte Hans nachdenklich. »Manchmal sind die Menschen wirklich selber schuld, wenn sie nicht auf die Zeichen schauen, die ihnen der Himmel schickt.«
»Wir wollen es nicht übertreiben, Paps, daran hast du doch nie geglaubt«, sagte Cordula.
»Vielleicht fange ich jetzt damit an. Man wird nicht nur älter, man wird auch weiser.«
*
Anouk war eine Viertelstunde durch den Park gewandert, nachdem sie sich von Cordula verabschiedet hatte. Plötzlich vernahm sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um und sah Jean Pierre in die Augen.
»Du bist hier«, sagte er leise. »Ich wollte dich gestern anrufen.«
»Da war ich schon unterwegs«, erwiderte sie, und dann umarmte sie ihn, ohne noch eine Sekunde zu überlegen. »Ich habe jetzt unentwegt an dich gedacht, und nun bist du da«, sagte sie leise.
Ein Staunen war in ihm, und er legte seine Hände zart um ihr Gesicht. »Es ist schön, daß du gekommen bist.«
»Dein Vater wollte es.«
»Ich