Patricia Vandenberg

Dr. Norden Extra Staffel 1 – Arztroman


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      Cordula setzte der Herzschlag aus. »Mein Gott«, flüsterte sie, »dann wäre er ja Noras Großvater!«

      »Eine logische Schlußfolgerung«, sagte Dr. Behnisch.

      »An die ich momentan nicht gedacht habe. Aber wenn das alles herauskommt…«

      »Nora braucht es nicht zu erfahren«, erklärte Dr. Behnisch rasch.

      »Aber Hanno, sein Vater… irgendwie tun mir die beiden leid.«

      »Es mag sein, daß auch Herr Morrell Mitgefühl verdient. Vielleicht hat er nie erfahren, daß er noch einen Sohn hat.«

      Cordula legte die Hände vor ihr Gesicht. Ihre Augen brannten, füllten sich mit Tränen.

      »Ich bin ganz benommen«, flüsterte sie. »Es ist ein Drama.«

      »Aber zwei Hauptpersonen leben nicht mehr«, warf Dr. Behnisch ein.

      »Ich frage mich nur, wie eine Frau so überhaupt leben kann«, flüsterte Cordula.

      *

      Cordula war heimgefahren, Jean Pierre war immer noch bei seinem Vater. Viel hatte der Ältere noch nicht gesprochen, aber Jean Pierre war zufrieden, daß er überhaupt mit ihm reden konnte. Freilich drehten sich Jean Claudes Gedanken hauptsächlich um anstehende geschäftliche Dinge.

      »Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen, Papa«, sagte Jean Pierre, »ich weiß über alles Bescheid. Sag mir lieber, warum du ausgerechnet zur Behnisch-Klinik wolltest.«

      »Sie ist gut, hat den besten Ruf. Mir war so übel.« Seine Lider hatten sich gesenkt, sein Gesicht war verschlossen. »Sie ist hier gestorben«, murmelte er.

      »Wer?« fragte Jean Pierre.

      »Henriette. Ich wollte mit dir darüber reden, aber ich bin so müde. Sie hat mir kein Glück gebracht, ich habe sie auch nicht geliebt. Ich habe nur deine Mutter geliebt, Jean Pierre, glaube es mir. Ich werde glücklich sein, wenn ich mit ihr vereint bin, mit meiner Angelique. Ich wünsche dir eine solche Frau, mein Sohn. Ich weiß, daß du ein guter Sohn bist.«

      Jean Pierre hielt den Atem an. Was ist nur mit Papa, dachte er, so hat er doch nie geredet! Phantasiert er? Er bekam Angst und läutete nach dem Arzt.

      Dr. Hansen kam, und ihm nach gleich Schwester Anne mit dem Medikamentenwagen.

      »Ihr Vater bekommt jetzt wieder eine Infusion, Herr Morrell«, sagte Dr. Hansen, »er wird dann schlafen.«

      »Weiß er, was er redet?« fragte Jean Pierre leise.

      »Das kann man so genau nicht sagen. Er wechselt zwischen Traum und Wirklichkeit«, erwiderte Dr. Hansen. »Jetzt gleitet er schon in den Schlaf zurück.«

      »Wie krank ist er?«

      »Darüber wird der Chefarzt mit Ihnen sprechen, Herr Morrell«, erwiderte Dr. Hansen. »Sie können schon zu ihm gehen.«

      Was Jean Pierre dann hören mußte, ließ ihn erstarren. Der Boden schwankte unter seinen Füßen, und graue Nebelschwaden wallten vor seinen Augen.

      »Wußten Sie nicht, daß Ihr Vater sehr krank ist?« fragte Dr. Behnisch.

      »Ich wollte es nicht glauben… und er hat es weggeredet. Mit der Bauchspeicheldrüse sei etwas nicht in Ordnung, und mit den Knochen hätte er Schwierigkeiten.«

      »Das sind schon Nebensymptome. Es ist Magenkrebs, das steht einwandfrei fest nach allen Untersuchungen.«

      »Aber man kann doch operieren«, murmelte Jean Pierre.

      »In diesem Stadium nicht mehr. Es ist ohnehin sehr erstaunlich, wie er seine Umgebung so lange täuschen konnte. Er hat jedoch ein recht starkes Herz. Ich muß Ihnen diese Wahrheit sagen, da ja sehr viel auf Ihren Schultern lasten wird, Herr Morrell. Leicht fällt es mir gewiß nicht, Angehörigen solche Tatsachen mitzuteilen, aber Ihr Vater scheint es zumindest zu ahnen, daß seine Zeit begrenzt ist. Und wenn es Ihnen ein kleiner Trost sein kann, dann sollten Sie ihm einen schnellen Tod vergönnen.«

      »Wird er jetzt nicht mehr aufwachen?« fragte Jean Pierre beklommen.

      »O doch, es bleibt ihm schon noch eine Zeit, aber wenn es noch etwas Wichtiges zu regeln oder zu erörtern gibt, müßten Sie diese nützen.«

      Jean Pierre blickte erst sekundenlang zu Boden, dann aber sah er den Arzt voll an. »Ja, das werde ich tun«, erwiderte er tonlos. »Ich komme morgen vormittag. Sollte etwas sein, rufen Sie mich bitte an. Ich hinterlasse die Telefonnummer.«

      *

      Cordula dachte daran, daß Jean Claude Morrell Krebs hatte, genau wie Henriette, als sie sich von einem Taxi nach Hause fahren ließ. Und auch er war in der Behnisch-Klinik gelandet. So konnte das Schicksal spielen.

      Indessen sprach Jean Pierre mit Dr. Behnisch, der sehr deutlich spürte, wie nahe diesem jungen Mann das Leiden des Vaters ging.

      »Aber es gibt etwas, was ich sehr gern mit Ihnen unter vier Augen erörtern würde, Herr Dr. Behnisch, wenn ich Sie um vollste Diskretion bitten darf.«

      »Das ist selbstverständlich, Herr Morrell.«

      »Es geht dabei um Henriette von Ahlen. Ich weiß, daß sie Henriette hieß und eine geborene von Aurelius ist, wie meine Mutter übrigens auch, die eine Kusine von der Baronin war. Allerdings wurde diese Verwandtschaft nie erwähnt, da mein Großvater mit der deutschen Verwandtschaft nichts zu tun haben wollte. Er war Franzose aus Überzeugung, nachdem er eine Französin geheiratet hatte. So erzählte es mir meine Mutter. Mein Vater hat sie sehr geliebt. Er sprach vorhin davon. Er sprach aber auch von Henriette, und mir geht schon seit einiger Zeit vieles durch den Sinn, das ich nicht in einem Zusammenhang bekomme. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen, Herr Dr. Behnisch.«

      »Was wollen Sie wissen?« fragte der Arzt.

      »Cordula war mit Leon von Ahlen verheiratet. Sie werden ihn kennengelernt haben.«

      »Ja, ganz kurz. Sie wissen um die Ähnlichkeit mit ihm?«

      »Ja, das wurde mir öfter gesagt, und deshalb war ich neugierig geworden, bevor ich noch von der Verwandtschaft zwischen seiner und meiner Mutter wußte. Ich habe meinen Vater einmal diesbezüglich gefragt, aber er reagierte so abweisend, wie ich ihn sonst nie kannte. Er wollte mit dieser Sippschaft nichts zu tun haben, hat er gesagt. Also dachte ich, daß es da schwere Differenzen gegeben haben müsse. Ich stellte auf eigene Faust Nachforschungen an und stieß auf Cordula, die ja einen sehr guten Namen als Architektin hat. Ich brauchte gerade einen Architekten und setzte mich mit dem Büro in Verbindung. Und ich erfuhr dann bald von ihr, daß sie mit den von Ahlens auch nichts zu tun haben wollte und lieber unter ihrem Mädchennamen tätig war. Also meinte ich, daß mit der Familie tatsächlich etwas nicht stimmen könne. Aber ich wollte in Erfahrung bringen, woher diese Ähnlichkeit, die ich mit Leon doch unzweifelhaft habe, stammt. Ich sehe meinem Vater unheimlich ähnlich, aber nicht ein bißchen meiner Mutter. Könnten Sie mir sagen, wie die Baronin aussah?«

      »Ich kann sie schlecht beschreiben. Sie wirkte unscheinbar, als ich sie kennenlernte. Vielleicht war sie als junge Frau hübsch. Aber auf keinen Fall hat sie Ähnlichkeit mit Ihnen oder mit ihren Söhnen. Vielleicht ein bißchen mit Hanno, der aber in gewisser Weise auch seinem Vater ähnlich ist. Die Schlußfolgerungen müßten Sie selbst ziehen, Herr Morrell!«

      »Diese wäre, daß mein Vater auch Leons Vater war. Leon war drei Jahre älter als ich. Aber warum hat mein Vater das nie zugegeben? Ich bin doch kein Moralist!«

      »Vielleicht hat er es gar nicht gewußt«, sagte Dr. Behnisch. »Vielleicht war er auch froh, daß es nie bekannt wurde. Der Baron scheint darüber auch froh gewesen zu sein… wenn man den Begriff ›froh‹ überhaupt gebrauchen kann. Jedenfalls wurde diese Ehe nicht getrennt, wenn wohl auch getrübt.«

      »Und meinen Vater hat es hierher gezogen, um auch etwas in Erfahrung zu bringen, was er nicht wußte. Er hat die Todesanzeige der Baronin zugeschickt bekommen, das weiß ich. Ich habe ihm einige Fragen gestellt, denen er auswich.