Lothar Streblow

Barro, der Braunbär


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      Lothar Streblow

      Barro, der Braunbär

      SAGA Egmont

      Barro, der Braunbär

      Copyright © 1990, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711807590

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      „Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus-und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag.“

      Donald R. Griffin

      „Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen.”

      Vitus B. Dröscher

      Die Höhle am Steilhang

      Dämmerung lag über dem Bergwald, ein fahles unwirkliches Licht. Ein scharfer Wind wehte von den Gipfeln, trieb Schneeflocken vor sich her, seit Tagen schon. Und die Schneedecke über dem steilen Südhang wuchs von Stunde zu Stunde. Klirrender Frost ließ die Äste knacken. Sonst drang kaum ein Laut durch die weiße Stille.

      In der geräumigen Höhle am Steilhang aber war es warm. Die Bärin hatte ihre Wurfhöhle gut gewählt und den mehrere Meter langen Gang zu einem Kessel ausgeweitet. Kein Luftzug konnte eindringen. Und mit der Wärme ihres mächtigen Körpers heizte sie die Höhle auf.

      Als Barro zum erstenmal seine Augen aufschlug, sah er zunächst gar nichts. Es war dunkel in der Höhle, stockdunkel. Doch Barro wußte auch im Dunkeln, seine Milchquelle zu finden; die kannte er schon seit Wochen. Er brauchte seine kleine Schnauze nur dorthin zu wenden, wo es am wärmsten war: weich und sehr warm. Dort gab es immer Milch.

      Tapsig und unbeholfen wühlte er sich durch die dicke Lagerstreu aus Gräsern, Kräutern, Laub und dünnen Zweigen. Dabei kam ihm ein welkes Blatt auf die Nase. Und das kitzelte. Unwirsch wischte er das Blatt mit der Pfote weg. Und leise brummelnd krabbelte er weiter, stieß im Dunkeln gegen etwas Warmes, Weiches mit zotteligem Pelz. Das roch gut, roch nach seiner Mutter. Nur fand er hier noch nichts zu trinken: Das war ihre mächtige Hinterkeule. Milch gab es erst am Bauch. Und da krabbelte er hin.

      Aber da lag schon jemand: ein winziges Wesen mit noch dünnem Fell, das mitunter vernehmbar schmatzte. Es war Barros Schwester Burri. Sie hatte schneller zur Milchquelle gefunden als er. Und ihr Schmatzen reizte Barro. Ungestüm krabbelte er über sie hinweg. Burri strampelte, kratzte mit ihren kleinen Krallen über Barros Ohr. Barro brummte ärgerlich. Schließlich fand er, was er suchte. Und mit Behagen schlürfte er die warme Milch.

      Geduldig ließ die Bärin ihre Jungen saugen. Und als sie satt waren und an ihrem Bauch einschliefen, wagte sie kaum eine Bewegung. Nur einmal hob sie ihren mächtigen Kopf und schnupperte nach dem Höhleneingang. Noch immer roch es kalt. Das Tauwetter ließ auf sich warten. Schläfrig schloß sie ihre Lider.

      So verstrichen die Tage und die Nächte. Barro spürte nichts davon. Er kannte nur die Welt der dunklen Wurfhöhle, die Wärme der Mutter, ihre zärtliche Zunge, wenn sie ihm über die Nase leckte, kannte nur Trinken und Schlafen und mitunter ein wenig Umherkrabbeln. Von der Helligkeit des Tages, von Sonne, Wind und Regen, von Pflanzen und Tieren, von der Welt draußen wußte er noch nichts.

      Allmählich aber klang der Frost ab, das Schneetreiben ließ nach. Zwischen Wolkenfetzen schimmerte matt das Blau des Himmels. Manchmal zog ein Fuchs seine Spur durch den Schnee, schnüffelte mißtrauisch am Höhleneingang. Er roch die Bären, ihren warmen Dunst. Und eilig zog er weiter. Nur die Schnee-Eule verspeiste unweit davon in aller Ruhe einen gerade geschlagenen Lemming.

      Im fahlen Licht des Mondes drang das Heulen der Wölfe aus dem nächtlichen Bergwald. Die Rentiere im Tal hoben lauschend ihre Köpfe. Und auch die Elche horchten auf. Doch das Geheul kam aus weiter Ferne. Es bedeutete keine Gefahr. Und gegen Morgen verstummte es.

      Am Mittag verwehte ein lauer Wind die letzten Wolken. Warm schien die Sonne auf den Südhang, und der Schnee begann zu schmelzen. Tauwetter rieselte träge hangabwärts, bildete Rinnsale auf gefrorenem Boden unter der Schneedecke. Und das leise Glucksen drang bis in die Höhle.

      Behutsam schob die Bärin ihre Jungen zur Seite, richtete sich halb auf. Sie hörte das Glucksen des Tauwassers, roch den lauen Wind. Und sie spürte den Hunger nach langen Monaten des Fastens. Sie war mager geworden, ihr Winterspeck aufgezehrt, und ihr dichtes Fell schlotterte um ihre Glieder. Aber noch war nicht Zeit für einen ersten Ausflug.

      Licht im Dunkel

      In der Nacht blieb der Himmel wolkenfrei. Es wurde kalt. Frost ließ die Rinnsale erstarren. Und im Bergwald heulten die Wölfe. Sie waren mit dem Winter nach Süden gezogen; hier fanden sie leichtere Beute. Erst im Frühling würden sie wieder nordwärts wandern. Die Bärin wußte das aus Erfahrung. Sie fürchtete die Wölfe nicht.

      Zwei Tage noch blieb sie in der Höhle, säugte ihre Jungen, leckte ihnen zärtlich über die kleinen Schnauzen und sammelte im Schlaf neue Kräfte. In der folgenden Nacht heulten die Wölfe nicht mehr. Es blieb still. Mitunter nur hallte ein Eulenruf durch den Wald. Und als die Morgensonne die Froststarre löste, hörte die Bärin den harschen Schnee vom Steilhang rutschen. Auf dieses Geräusch hatte sie gewartet.

      Langsam tappte sie durch den Höhlengang, prüfte die eindringende Luft. Und sie brummte befriedigt. Jetzt konnte sie ihre wärmegewohnten Jungen ins Freie führen: Es roch nach Frühling. Und sie schob ihren wuchtigen Schädel aus der Öffnung. Weiß lag der Hang vor ihr, unterbrochen von erdigbraunen Flecken, naß schimmernd im grellen Licht.

      In der Höhle hinter ihr rührte sich etwas. Burri spürte die Abwesenheit ihrer Mutter. Wärmesuchend schmiegte sie sich an ihren kleinen Bruder, stupste ihn dabei drängelnd vor seinen Bauch. Und das machte Barro munter. Er gähnte schläfrig und blinzelte.

      Irgend etwas war anders heute. Und es dauerte eine Weile, bis er begriff: Es war nicht mehr dunkel. In der Höhle herrschte ein schummriges Dämmerlicht. Er konnte sehen, sah zum erstenmal in seinem Leben, sah die verschwommenen Konturen des Wurfkessels. Nur seine Mutter sah er nicht, hörte nur dumpfe Geräusche vom Eingang her, wo matter Schein einfiel.

      Neugierig schnupperte er in die Runde, tappelte auf seinen kurzen Beinen dem Schein entgegen, kam in den Gang. Und da lag etwas: ein riesiges Tier. Barro stutzte, aber nur einen Augenblick. Das Tier roch vertraut, roch wie seine Mutter. Und vertrauensvoll stieß er sie mit seiner kleinen Schnauze vor ihren Stummelschwanz.

      Die Bärin tappte weiter, gab den Eingang frei. Und sie beobachtete aufmerksam Barros vorsichtiges Getappse ins Unbekannte. Doch Barro machte nur einen einzigen Schritt, unbeholfen und täppisch. Die unerwartet einflutende Helligkeit blendete ihn. Aus seiner Kehle drang ein ängstlich fiependes Brummen. Und er zögerte.

      In diesem Augenblick spürte er, wie ihn von hinten jemand sanft berührte. Es war Burri. Sie mochte nicht allein sein, nicht in der Höhle Zurückbleiben, hatte aber genauso viel Angst wie Barro. An ihm vorbei traute sie sich nicht. Leise brummelnd blieb sie an seiner Seite.

      Jetzt steckte die Bärin ihren dickpelzigen Kopf in den Eingang. Auch sie brummte, tief und schon ein wenig ungeduldig. Es klang wie ein Lockruf. Die beiden Jungen zögerten noch immer. Doch da, wo ihre Mutter war, wollten auch sie hin: in diese seltsame Helligkeit. Und sie überwanden ihre Angst.

      Vorsichtig blickte Barro aus der