Dies ist insbesondere bei nicht Tremor-dominanten Syndromen der Fall und bei atypischen Parkinson-Syndromen besonders erschwert. Die klinische Diagnose sollte sich an aktuellen Diagnoseleitlinien orientieren und neben den motorischen auch gleichzeitig nicht-motorische Symptome umfassend abbilden. Dann kann ohne weiteren Zeitverlust eine adäquate pharmakologische und auch nicht-pharmakologische Therapie beginnen. Somit kann es dem Patienten meist gut ermöglicht werden, ohne relevante Alltagseinschränkungen sein bisheriges Leben weiter fortzuführen. Patient und Angehörige sollten unter Berücksichtigung des individuellen Falls über die Erkrankung, mögliche Krankheitsverläufe und vor allem die guten Behandlungsmöglichkeiten informiert werden. Ziel sollte sein, dass der Patient die Erkrankung akzeptiert und den Lebensalltag so gestaltet, dass eine bestmögliche Kontrolle der Symptome und Abmilderung des Erkrankungsverlaufs möglich wird.
Einleitung
Neurodegenerative Parkinson-Syndrome manifestieren sich am häufigsten ab dem 60. Lebensjahr. Meistens treten vor den typischen motorischen Symptomen, teils Jahre zuvor, sogenannte nicht-motorische Symptome auf. Da diese großteils unspezifisch erscheinen, wird sowohl von Patienten als auch Ärzten lange kein ursächlicher Zusammenhang zu einer möglichen Parkinson-Erkrankung gesehen. Auch nach Auftreten motorischer Symptome kann sich die Diagnosestellung verzögern. Während der Tremor der Hände auch medizinischen Laien als Parkinsonsymptom bekannt ist, werden Rigor und Akinese – auch von einigen Ärzten – häufig als orthopädische Problematik oder normale Altersbeschwerden verkannt.
Durch eine Sensibilisierung für diese Aspekte kann eine frühzeitige Diagnosestellung ermöglicht werden. Hiervon profitieren Patienten erstens durch eine Steigerung der Lebensqualität aufgrund der Einleitung einer effektiven Therapie. Zweitens kann ein Therapiebeginn im Frühstadium den Krankheitsverlauf insgesamt positiv beeinflussen.
Falldarstellung
Anamnese
Ein 58-jähriger Bürokaufmann stellt sich in Begleitung seiner Ehefrau erstmalig neurologisch vor. Ein Arbeitskollege habe ihm geraten, er solle sich auf Parkinson untersuchen lassen. Das Gangbild des Patienten würde ihn an seinen Vater erinnern, bei dem vor vielen Jahren ebenfalls Parkinson festgestellt worden sei.
Der Patient berichtet, dass er seit etwa einem Jahr mehrfach von Bekannten darauf angesprochen worden sei, dass er den rechten Arm beim Laufen eng am Körper halte und dieser nicht mehr mitschwingen würde. Er habe dies selbst nicht bemerkt und dem dann auch keine weitere Bedeutung beigemessen. Ihm sei aber aufgefallen, dass ihn das Gehen mehr anstrenge als früher und er insgesamt weniger belastbar sei. Am Ende eines Tages sei er sehr erschöpft. Er habe seit längerem heftige Schulter- und Nackenschmerzen. Von seinem Orthopäden habe er eine Spritzentherapie erhalten, die aber keine Besserung gebracht habe.
Auf Nachfrage gibt der Patient an, dass er einen unruhigen Schlaf habe. Laut seiner Ehefrau würde er sich im Bett umherwälzen und mit den Armen um sich schlagen. Auf der Arbeit sei er häufig unkonzentriert. Früher habe er gut mit zehn Fingern auf der Tastatur schreiben können. Jetzt würden ihm vermehrt Fehler unterlaufen. Die Ehefrau des Patienten berichtet, dass ihr Mann nicht mehr so fröhlich sei wie früher. Er würde oft teilnahmslos wirken. Der Patient gibt an, dass er momentan einfach viel Stress auf der Arbeit habe und dies als Ursache für sein Verhalten sehe.
Der Patient verneint ein Zittern der Hände. Ihm sei nicht aufgefallen, dass sich sein Geruchs- oder Geschmackssinn verändert hätten. Er habe keine Probleme beim Stuhlgang oder Wasserlassen. Aufgrund von Bluthochdruck habe ihm sein Hausarzt einen Betablocker verordnet. Sonst hätte er keine Vorerkrankungen. Soweit er wisse, gebe es in der Familie keine besonderen Krankheiten.
Neurologische Untersuchung
Es findet sich ein leichtgradiger Rigor des rechten Arms. Es fällt eine Feinmotorikstörung der rechten Hand mit verlangsamten Wechselbewegungen bei rechtshändigem Patienten auf. Das Gangbild ist aufrecht mit normaler Schrittlänge bei deutlich reduziertem Mitschwingen des rechten Arms beim Gehen. Es besteht weder ein Ruhe- noch ein Halte- oder Intentionstremor. Im Übrigen bestehen keine Hirnnervenausfälle, keine Paresen, keine Sensibilitätsstörungen und eine seitengleiche Ausprägung der Muskeleigenreflexe ohne Nachweis von pathologischen Reflexen. Orientierend fallen keine kognitiven Defizite auf. Mimik und Sprache wirken ausdrucksarm.
Diagnose
Parkinson-Syndrom, am ehesten idiopathischer Genese
Beurteilung, weitere Diagnostik und Empfehlung
Mit dem Patienten wird die Verdachtsdiagnose eines Parkinson-Syndroms besprochen. Es wird umfassend über die Ursachen der Erkrankung, mögliche Beschwerden, den Verlauf und die guten Möglichkeiten der Behandlung informiert. Eine durchgeführte Magnetresonanztomografie des Schädels zur Abklärung von Differenzialdiagnosen zeigt bis auf leichte mikroangiopathische Veränderungen keine Auffälligkeiten. In der Ultraschalluntersuchung der Substantia nigra (Hirnparenchymsonografie) findet sich eine linksseitige signifikante Hyperechogenität. Ein Riechtest zeigt mit 6/12 erkannten Gerüchen im Sniffin´ Sticks Test eine Hyposmie an. Die neuropsychologische Untersuchung sowie laborchemischen Untersuchungen bleiben allesamt unergiebig. Nach ausführlicher Aufklärung über Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen sowie Dokumentation dieses Vorgangs wird eine Therapie mit dem Dopaminagonisten Pramipexol begonnen, die in den nächsten Wochen konsekutiv in der Dosis erhöht wird. Aufgrund der Schulter- und Nackenschmerzen wird eine individuelle Physiotherapie mit Massagen verordnet.
Verlauf
Bei Wiedervorstellung nach drei Monaten gibt der Patient eine gute, aber nicht vollständige Besserung seiner Symptomatik an. Das Gehen falle ihm wieder leichter. Er habe das Gefühl, dass er wieder mehr am Leben teilnehme. Dies wird auch von der Ehefrau so bestätigt. Relevante Nebenwirkungen werden nicht berichtet. In der Untersuchung zeigen sich im Vergleich zur Voruntersuchung eine Reduktion des Rigors und eine Verbesserung der Diadochokinese. Wir empfehlen die Hinzunahme einer niedrigen Dosis Levodopa/Benserazid (z. B. 3 x 62,5 mg), um so noch eine weitere Reduktion der Symptome zu erreichen. Zudem wird eine regelmäßige körperliche Aktivität, wie z. B. 3 x 45 min Walking oder Jogging pro Woche und zudem der Anschluss an eine rehabilitative Sportgruppe vorgeschlagen.
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