wie ein Pferd und läßt ihre Kinder tadellos erziehen. Im Geschäft trägt sie eine Bluse mit Stehkragen, letzten Schrei der Moral, wirkt sehr schick und sozusagen aus dem Leben ausgeschaltet. Sie hat das Vertrauen aller Kundinnen und auch der verheirateten Männer, die ihre Freundinnen bei Jonas beschenken.
Dies alles weiß Ussi. Das sind Dinge, die nie zu beweisen sind, aber Ussi weiß es. Sie findet das alles sehr interessant und die Gesellschaft, mit der sie hier bekannt wird, sehr schick. Die Leute wissen zu leben, die Frauen wissen sich anzuziehen. Die Mehrzahl der Männer sind Verbrecher, findet Ussi. Frauen muß man entschuldigen. So ist das Leben, aber es ist bunt und voller Abwechslung, das Leben, wie Ussi es kennt und zu verstehen glaubt.
Der Chef trudelt mit einer dicken Zigarre im Mund heraus. Das kommt sehr selten vor, er geht auch gleich wieder, um nicht den Laden zu verqualmen. Er schenkt Ussi ein sattes Lächeln und haucht Lotte an, weil sie so dumm herumsteht. „Oder zahl’ ich dafür, daß Sie hier Monument stehen?“
Lotte macht sich eifrig zu schaffen. Sie putzt mit einem feinen Lederlappen herum und haucht auf die Ringe, während Ussi das joviale Lächeln des Chefs sehr zurückhaltend erwidert und die Glasplatte blank poliert.
Draußen scheint die Sonne, es ist ein schönes und zufriedenes Leben. —
Da fällt Ussi plötzlich ein, daß sie sich abends mit Peter treffen will. Eine ärgerliche Geschichte! Wenn Lotte das wüßte. Lotte predigt täglich: ein Auto ... aber nur Markenauto! Nicht etwa so ’n billiger Serienwagen! Also das ist das erste. In Amerika schaut ein Mädel einen Mann, der kein Auto hat, überhaupt nicht an. In Amerika holen sich die Mädels die Männer, und wenn einer nicht will, macht sie ihm schöne Augen und sagt hinterher, er hat mir die Ehe versprochen. Dann muß er, oder er wird eingesperrt. Das ist ein feines Land, Amerika!
Nein, ist das herrlich, denkt Ussi. Lotte hat eine Kusine, die war lange in USA., aber sie hat die Amerikaner nicht leiden können, sonst hätte sie an jedem Finger ...
Also Peter! Schön wird es gerade nicht werden. Man kann sich doch wahrhaftig mit Peter nicht zeigen! Aber kann er denn dafür? Ist es nicht eine Schande, daß die größten Idioten am elegantesten sind und ein Mann wie Peter nicht mal ein sauberes Hemd anhat?
Wieder geht die Tür. Draußen ist ein Wagen vorgefahren. Ein rassiger Bugatti, rot lackiert, die Sonne brennt darauf, obgleich es doch schon Herbst ist.
Ein eleganter Herr kommt herein. Er trägt eine prachtvolle seidene Kravatte in der Farbe seines Wagens, wie Lotte feststellt, die zur Bedienung an den Ladentisch geht. Ussi dreht sich nicht um, sie putzt rückwärts die Fenster der Glasvitrinen. Aber der Herr schaut gleich über Lotte weg, mustert den Nacken Ussis, verfolgt jede ihrer Bewegungen.
„Der Herr wünschen?“ sagt Lotte und zieht das Näschen hoch.
Der Herr sagt: „Das ist doch das kleine Fräulein, das gestern —“
Ussi dreht sich brüsk um.
Natürlich! Seine Stimme hat sie doch sofort wiedererkannt! Wie kommt der hierher? Und wie siegessicher er sie anfeixt! Ekelhaft ist das einfach — und da steht Lotte und läßt ihre grünen Augen — grün sind sie vor Neid! — von ihr zu dem Herrn und von dem Herrn zu ihr wandern. Ussi ist eine Aufklärung schuldig.
„Guten Tag“, sagt sie spitz, im Diskant. „Guten Tag! Ja, ich bin das ‚kleine Fräulein‘, das gestern im Regen im Untergrundbahnhof stand, und Sie sind der Herr, der so freundlich war, das Fräulein nach Hause zu fahren!“
Lotte denkt: Ussis Frechheit ist nichts weiter als Unsicherheit. Da ist doch was los zwischen den beiden!
„Das nenn’ ich ein glückliches Wiedersehen“, sagt der Herr, der scheinbar gar nicht merkt, wie patzig Ussi sich benimmt. Aber bei ihm ist das Sicherheit, stellt Lotte fest. Inzwischen mustert der Herr Ussi mit einem raschen Blick.
Kleidchen — ganz billiger Stoff — Ausverkaufsware! Die Halskrause oft gewaschen — billige Halskette — und dabei sieht das Mädl aus! — — Das sanft verschleierte Auge — und im Profil: dieses süße Gekräusel des Haaransatzes im Nacken!
„Ich werde Sie Herrn Jonas melden“, bemerkt Lotte.
„Nein! Bitte, ganz unnötig, junge Dame! Ich kenne Herrn Jonas persönlich. Privatangelegenheit! Hat Zeit!“
Ussi starrt ihn entgeistert an. So ein Zufall! Sie weiß nicht, daß der Kavalier am frühen Morgen in die Knesebeckstraße kam und den Portier, die Milchfrau und den Zeitungshändler vor ihrem Hause in Unterhaltungen verwickelte, die nur eine gewisse blonde Dame zum Mittelpunkt hatten. In zehn Minuten hatte er alles erfahren: wie sie hieß, in welches Geschäft sie ging, und was man über sie redete — Gutes und Schlechtes, je nachdem ein Mann sich äußerte oder eine Frau.
Der Herr ist dicht an den Ladentisch getreten. „Na, sehen wir uns wieder?“ sagt er. Die Lehren vom vergangenen Abend hat er wieder vergessen. Er will Ussi sogar unters Kinn fassen.
„Gehen Sie von der Theke weg“, sagt Lotte. Ussi zieht hochmütig die Brauen hoch. Ihre Augen gleiten vom Kopf des Herrn bis zu seinen Füßen und wieder zurück.
„Fehlt mir ’n Westenknopf?“ fragt der Herr.
„Der Kavalier verlangt wohl Dank?“ sagt Ussi von oben herab.
„Dank? Wofür?“
„Für die Autofahrt.“
„Aber liebes Fräulein! Auch ohne die Autofahrt würde ich Sie fragen —“
„Auch mit Autofahrt sage ich: Nein! Wiedersehen ausgeschlossen!“
„Nanu?“ Diesmal ist es der Chef, der den Kopf zur Tür des Privatbüros herausstreckt und sein Erstaunen äußert.
„Nanu? Nanu?“
Sein Blick streift mißbilligend die Mädchen, dann den Herrn.
Der Herr macht eine Verbeugung und sagt lachend: „Tag, Herr Jonas!“
Jonas erkennt ihn erst jetzt: „Donnerwetter! Vogel! Unser lockerer Vogel! Natürlich, die Herren Künstler! Das fährt am hellen Morgen, wenn andere Menschen in den Büros schuften, im neuen Wagen spazieren! Komm’se rein, junger Mann!“
Ussi schaut und hält den Mund offen.
„Du! Lotte! Ein Künstler!“
„Wenn schon! ’n Filmfritze vermutlich!“
„Was heißt da Filmfritze! Weil du vielleicht nicht für den Abel schwärmst. Und der ist wirklich keiner von den Jüngsten mehr!“
Lotte stemmt die Hände in die Hüften.
„Kieck einer die Lütte an! Ich schwärme für Abel! Wer sagt denn überhaupt, daß deiner vom Film ist? Vielleicht ist er ’n Hochstapler. So schaut er aus.“
„Das ist gemein von dir!“ erwidert Ussi. „Bloß, weil er mich im Auto heimgebracht hat, nich’?“
Lotte lacht kichernd.
„Du — soll ich dir was sagen? Verliebt bist du! Und er ist doch ’n Hochstapler. Mindestens, wenn sich eine in ihn verliebt. Der hat jeden Tag ’ne andere. Die Sorte kenn’ ich, kann ich dir sagen!“
„Wohl von der eigenen Familie her?“ erwidert Ussi spitz.
„Was heißt eigene Familie? Vater ist krank, seine Bücher kauft heute niemand, wissenschaftliche Arbeit wird ja kaum bezahlt! Mein Bruder studiert, der muß sich als Werkstudent das Brot zum Studium verdienen, er hat keine Zeit, als Fatzke durch die Welt zu laufen. Das ist unerhört von dir, Ussi! Ich rede über deine Familie auch nicht, und die Fruchtstraße ist gerade keine Gegend, auf die man stolz sein kann. Mindestens soll man anständige Familien ungeschoren lassen.“
„Fruchtstraße! Fruchtstraße!“ keucht Ussi und wird ganz bleich. „Es kann nicht jedes Mädl bei Kommerzienrats geboren werden. Die feinen Familien! Die können mir schon gestohlen bleiben.“
„Überhaupt wohnen