Robert Heymann

Jeder Mann liebt Ursula


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greift schnell zu. „Frieden! Du bist rot und ich bin weiß, aber Schafe sind wir alle beide.“

      Sie nicken sich zu und horchen nach dem Arbeitszimmer. Die Herren sprechen sehr laut, aber man kann nichts verstehen, weil Madame Loup immer dazwischen redet. „Die olle Ziege“, sagt Lotte. „Was hat sie denn da drinnen zu suchen?“ Und nach einer Weile: „Du, er sieht doch gut aus. Man sollte sich ja nicht ansprechen lassen — aber wenn du den richtig behandelst, kannst du ihn um den Finger wickeln.“

      „Will ihn gar nich’“, erwidert Ussi, ohne die Freundin anzusehen.

      „Man sachte mit die jungen Pferde! So siehst du g’rad aus!“

      Ussi nimmt hastig den Spiegel mit dem Silbergriff vom Tischchen. Darin besehen sich die Damen, ob die neuen Ohrringe oder die Halsketten mit dem Teint, der Haarfarbe, dem Lippenrot harmonieren.

      „Seh’ ich so aus? Ich seh’ nicht so aus, Lotte! Er ist mir ganz gleichgültig. Es hat geregnet, er bot mir sein Auto an (warum soll ich sagen: ’ne Taxe? Grade nich’!) — Also — und dann fuhr er mich — fuhr er mich nach Hause.“

      „Vorher seid ihr noch schnell zu Kutschera ’reingegangen und habt einen Sherry Brandy zusammen getrunken.“

      „Ehrenwort! Nein!“

      „Dann bist du dumm gewesen, Ussi. Da ist nichts bei. Ein Sherry Brandy vor dem Schlafengehen beruhigt und verpflichtet zu nichts.“

      Ussi schweigt. Lotte hält den Zeigefinger hoch, Madame Loup stört nicht, man hört deutlich, weil eben kein Auto draußen vorbeifährt, die ölige Stimme des Chefs: „Die Blonde? Ussi heißt se ... Ursula Erler ... aber ich bitt’ mir aus, daß Se mir die Mädels in Ruhe lassen! Die Kleine paßt doch gar nich’ ...“

      Hier bricht das Gespräch wieder ab, weil Madame Loup ihren Senf dazu gibt.

      Ussi ist noch bleicher geworden, als sie nach dem Streit mit Lotte war. Lotte wirft die Oberlippe auf.

      „Hast gehört? Der Herr Chef! Er liebt nicht, daß in seinem Revier gewildert wird. Da macht er die Mädels schlecht! Paßt nicht für Sie, Herr Oberflimmermeier! Nicht elegant genug! Da empfehle ich Ihnen die Frau Architekt. Sehr rassig. Sehr nobel! Und die weiß Bescheid!“

      „Sei still! Sei still!“ ruft Ussi und hält sich die Ohren zu.

      Der Freund des Chefs kommt aus dem Zimmer. Er geht schnell durch den Laden, denn eben tritt wieder ein Kunde ein. Nur im Vorbeigehen wirft er Ussi einen Blick zu. Sie schaut gar nicht auf, und Lotte zuckt verachtungsvoll die Achseln.

      4.

      Aber kurz vor Geschäftsschluß, dreiviertel sieben — der Chef sitzt drüben bei Siechen, Madame Loup arbeitet, und Lotte färbt sich umständlich die Lippen — kommt ein Brief.

      Ein Bote gibt ihn ab: „Für Fräulein Ussi.“

      Ussi nimmt ihn. Feines schweres Briefpapier. Sie dreht ihn unschlüssig zwischen den Fingern. Lotte malt eifrig weiter.

      „Der geht mich nichts an“, sagt Ussi. Aber der Bote ist schon wieder draußen.

      „Mach’ ihn doch auf“, sagt Lotte, ohne sich umzudrehen. „Gott, hab’ dich doch nicht immer so! Man könnte reinweg glauben, du wartest darauf, in ein adeliges Fräuleinstift aufgenommen zu werden. Der Flimmerfritze hat ihn geschickt! Das kann man doch riechen!“

      Zögernd öffnet Ussi den Brief und liest. Lotte hält den Spiegel so, daß sie die Freundin beobachten kann. Ussi wird sehr rot, und einmal streicht sie sich während des Lesens erregt ein paar widerspenstige Locken aus der Stirne.

      „Sehr geehrtes Fräulein!

      Sie sind mir böse! Warum? Weil ich zuerst gedacht habe, Sie seien wie die andern? Die andern haben mich verwöhnt, und im allgemeinen sind junge Mädchen heutzutage, das wissen Sie selbst, zugänglicher als Sie. Ich weiß jetzt, daß Sie eine Dame sind, und ich verspreche Ihnen, Sie als solche zu behandeln. Aber soll sich eine junge Dame nicht amüsieren dürfen? Ist das ein Dasein, den ganzen Tag eingesperrt zu sein und am Abend vor lauter Ehrpußlichkeit das bißchen Leben, das da lockt, zu versäumen? Also darf ich Sie heute abholen? Wir essen fein zu Abend, dann gehen wir tanzen, und dann, parole d’honneur, dann bringe ich Sie vor Ihr Haus. Also, ich warte Punkt sieben einige Schritte vom Geschäft entfernt, gegen den Wittenbergplatz zu.

      Küß’ die Hand respektvollst

      Curt Heinrich Vogel.“

      „Na?“ sagt Lotte.

      Ussi knittert an dem Brief herum.

      „Was heißt das eigentlich: ‚Parole donnheur‘?“

      „Das kann ich nicht verstehen, und bestimmt spricht man es anders aus. Laß mich lesen.“

      „Den ganzen Brief? Ausgeschlossen!“

      „Ich bin doch nicht indiskret. Im übrigen interessiert mich das auch nicht.“

      „Aber ich will wissen, was parole donnheuer heißt.“

      Trotzig reicht Ussi der Freundin den Brief.

      „Wo steht das, süßes Gänschen?“

      „Du bist unausstehlich! Lies den Brief. Mir ist es egal, ich geh’ doch nicht mit ihm!“

      Lotte liest, zieht die Brauen hoch und spitzt den Mund, als ob sie irgendeinem einen Kuß geben wollte.

      „Der ist richtig, Ussi.“

      „Was heißt das?“

      „Das heißt, daß ich an deiner Stelle es mit ihm versuchen würde. Er hält sich für sehr gescheit, weil er etwas Bildung hat, und er denkt, er kennt die Frauen, weil die, und darin hat er recht, auf jeden Schmus hereinfallen. Immer wieder, weißt du! Und wenn eine schon dreimal verunglückt ist, wenn einer nur den rechten Schmus am Leibe hat, fällt sie totsicher auch das vierte Mal herein!“

      „Das glaube ich nicht“, antwortet Ussi mit ihrem hochmütigen Lächeln.

      „Nicht? — Na, du hast doch heute Abend was vor, sonst wärst du mit diesem Brief schon durch die heiligen Hallen von Dietrich Jonas getanzt. Also auf den Unbekannten, zu dem du heute Abend angeblich gehen willst, bist du doch schon ’reingefallen.“

      „Gar nicht. Das ist eine Jugendliebe.“

      „Jugendliebe ist ein absoluter Luxus. Jugendlieben sind immer irgendwie anrüchig. Das schmeckt nach Silbermond und Sentimentalität. So was leistet man sich nicht. Du gehst heute mit Curt Heinrich Vogel aus. Die Jugendliebe wird sich trösten. Die jungen Männer heute sind nicht so. Und dem Herrn Vogel zeigst du, was ’ne Harke ist. Unnahbar, verstehste? Zehn Schritt vom Leibe! Und kein Wort von der Fruchtstraße. Wenn er dich fragt, dann tu’ nicht etwa wie Lohengrin. Mach’ es wie die Filmstars. Sag’, deine Mutter wär ’ne flüchtige Adelige aus Kurland oder Lettland. Sag’, du wärst ’ne ehemalige russische Prinzessin, mindestens Gräfin — jetzt, wo halb Rußland unterwegs ist, prüft kein Mensch dergleichen nach. Später, wenn er dich heiratet, gibt sich die Wahrheit von alleine. Und im übrigen sind Pseudonyme gestattet.“

      Ussi steht da und starrt die Freundin mit hochrotem Gesicht an. Ein reines Wunderland tut sich da vor ihr auf. Wie ein Filmstar — russische Gräfin — unerreichbare Ziele! „Und das kann man so einfach hinlügen?“

      „Klar, du Kücken! Wenn du die Männer nicht anlügst, lügen sie eben dich an!“

      „Aber das kommt doch mal auf! Das ist doch Betrug!“

      „Betrug? Was heißt da schon Betrug? Wer betrügt heute nicht? Die Ehrlichkeit ist von der Inflation überholt, Liebling! Und dann merk’ dir eines: die Männer wollen betrogen sein. Nein, sag’ nichts! Wenn du nicht nach dem Rezept handelst, dann wirst du alt und grau als Angestellte, und wenn du erst mal nicht mehr nett aussiehst — na, da brauche ich dir nichts zu sagen. Der Chef wird dich nicht mehr anlächeln, und die Chefs, die nicht anlächeln, engagieren auch nicht. Anständigkeit