Robert Heymann

Jeder Mann liebt Ursula


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einmal sind da Sonne und Landschaft, Bäume und rauschende Quellen, Seen rundum, kleine nette Häuschen ... man ist reich ... man ist im Himmel. Alles durch ein Auto! — Ussi war schon im Himmel. Sie schlief fest und tief.

      3.

      Das Gitter vor dem Schaufenster des Juweliergeschäfts von Dietrich Jonas stört kaum bei der Betrachtung der beiden wunderbar geformten Frauenarme aus Wachs, die zuerst ins Auge fallen. Die Arme sind rund und vollkommen, aber auch seltsam leblos. Vielleicht üben sie darum einen so geheimnisvollen Reiz aus, weil sie nur aus Wachs sind. Erst wenn man das erste Erschauern überwunden hat, Erschauern darüber, daß diese toten Arme und Hände, die die kostbaren Armbänder, Ringe und Armbanduhren tragen, daß diese leblosen Arme auch nicht durch die blitzenden Diamanten Wärme oder Bewegung erhalten, erst dann, allmählich, wendet man seine Aufmerksamkeit den Schmuckstücken selbst zu. Glutvolle Rubine hängen an den Händen. Wie lebendig diese Steine sind: Man fühlt sie an diesen toten Händen atmen, man ahnt ihre Seelen, die vielleicht verzaubert in den glänzenden Steinen ruhen.

      Schweizer Uhren aus Gold liegen auf samtenen Kissen, Ohrgehänge, moderne und antike, rufen Erinnerungen an kleine, mattdurchblutete, zarte Frauenohren wach. Geschmackvolle Etuis für Zigaretten liegen neben silbernen Dosen mit aufgemalten Bildern: üppige Frauen oder die Entführung der Europa durch Zeus, oder Leda mit dem Schwan.

      Zwischen diesen lebenden Steinen und den toten Armen, von Geheimnissen umstrahlt, erscheint eine rosafarbene Hand, bewegliche Finger halten eine spitze Pinzette, und diese Pinzette fingert einige Ringe aus dem Schaufenster. Jetzt öffnet sich das kleine Spiegelfenster, das das Schaufenster vom Laden abschließt, und man erkennt Ussis blonden Kopf. Madame Loup steht hinter ihr, eine Dame mit sehr weißem Haar, sehr soigniert, stark gepudert, und erteilt Anweisungen. Der Chef sitzt im Privatzimmer, das durch eine Tür mit Mattscheiben vom Laden getrennt ist, und schreibt.

      Eine Kundin tritt ein. Madame Loup schließt das Schiebefenster zum Schaufenster und bedient. Ussi breitet ein schwarzes Seidentuch auf das Glas, und darauf werden die köstlichen Perlenketten zum Aussuchen gelegt.

      „Sie wissen, Madame Loup, was ich suche“, sagt die Kundin. „Ich habe Ihnen das Kollier bereits gezeigt.“

      „Ich weiß, gnädige Frau, ich weiß“, erwidert Madame Loup und gibt Ussi einen Wink. Die Perlen leuchteten matt und vornehm, unsagbar vornehm, auf dem dunklen Tuch. Wie Heiligtümer legt Ussi die Kostbarkeiten mit ehrfurchtsvollem Gesicht vor die Kundin hin. Diese Perlen sind noch viel vornehmer als die vornehmsten Menschen. Der Hauch ihrer Farbe ist diskret, sie haben Augen wie die letzten Sprossen unendlicher Ahnenreihen. Sie sind noch kostbarer als kostbar. Sie sind einfach der Adel selbst. Die manikürten Hände der Kundin gleiten mit zärtlichen Bewegungen über die Kolliers, während die Augen heiß und gierig funkeln. Es sind dunkle, schwermütige Augen, aber jetzt, im Herabsehen auf den Schmuck, schimmern sie lauernd, raubtierhaft, der kleine rote Mund ist halb offen, als wollte er den Atem der Perlen in sich einsaugen.

      „Diese ist es“, sagt die Dame und weist auf die schönste der vorgelegten Ketten.

      „Jawohl“, erwiderte Madame Loup mit einem ins Unendliche gezogenen Lächeln der Güte, des Verstehens und der Hochachtung.

      „Sie müssen mir wieder zwei Rechnungen ausstellen“, fährt die Dame leichthin fort, sehr leise, aber Ussi kann es doch hören, wenn sie auch so tut, als sei sie mit dem Wegbringen der Kolliers vollauf beschäftigt. Sie wirft ihrer Kollegin Lotte einen schnellen Blick zu und kneift ein Auge zu. Lotte zieht als Antwort, sich umwendend, einen schiefen Mund. Lotte ist frech und herausfordernd, aber die Kunden lieben ihre kesse Art, und ihr Vater ist ein Professor.

      „Herr Jonas!“ ruft Madame Loup mit flötender Stimme. „Bitte Herr Jonas. Frau Architekt Köhler ...“

      Man hört das eilige Rücken eines Stuhles. Der Chef erscheint unter der Tür des Privatkontors. Er ist rund und gleitet förmlich die paar Stufen herab, die dicken, sauberen Hände vor sich haltend, als wollte er sie auf die Hüften der Kundin legen, die den Weißfuchs mit einer einstudierten Bewegung um den Hals legt. „Frau Architekt ... ich habe die Ehre, Gnädigste! Womit darf ich dienen?“

      „Frau Architekt Köhler hat sich die Perlenkette ausgesucht“, antwortet statt der Dame Madame Loup. „Die gnädige Frau wünscht die Rechnung an ... darf ich bitten, gnädige Frau?“ Sie schiebt der Dame einen kleinen Block hin. Herr Jonas rollt seine Bonbonaugen hin und her und macht eine einladende Handbewegung nach seinem Büro. „Wollen Gnädigste die Angelegenheit vielleicht in meinem Privatzimmer ...?“

      Aber Frau Architekt Köhler antwortet gar nicht auf diese schöne Geste. Sie schiebt mit einer ungeduldigen Bewegung den Pelz von der Schulter. Nun hängt er wie ein gefangenes Tier über ihren Rücken. Sie schreibt. Herr Jonas wirft einen flüchtigen Blick auf die Kette und dann auf den Preis. Der Preis stimmt! „Für Sie, Gnädigste, zehn Prozent Rabatt! Also rund zweitausend und drei!“ Er lächelt feist und demütig und hält den dicken Kopf zur Seite, während die Augen devot und diskret den entblößten Unterarm der Dame entlang gleiten. Er nimmt den Block entgegen. Inzwischen war ein neuer Kunde eingetreten, ein Herr in einem dunkelblauen Trenchcoat, mit einem billigen Hut, den er beim Eintreten abgenommen hat. Madame Loup, nach einem ganz flüchtigen taxierenden Blick, zu Ussi: „Bedienung!“

      Ussi sagt süß: „Der Herr wünschen?“ Und der Herr sagt verlegen: „Ich möchte einen der billigen hübschen Ringe zu 3 Mark 50.“

      Ussi bedient mit schnellen, schlanken Fingern, ein wenig zerstreut und nachlässig, aber das merkt der Kunde nicht. Er lehnt sich gegen das Glas, unter dem die kostbaren Armreifen ruhen, und prüft die Ringe. Er tastet einen um den anderen an und legt ihn gleich wieder zurück. Dabei schaut er Ussi an, ob sie auch sieht, daß er keinen der 3 Mark 50 Ringe heimlich verschwinden läßt. Ussi aber hat gar keine Sorge, daß der bescheidene junge Mann etwa klauen könnte. Sie schnappt schnell auf, wie Herr Jonas leise sagt: „Also die Rechnung über 2,3 an Herrn Romeo Steen und die Rechnung, die ich in die Wohnung der gnädigen Frau sende ...“

      „Direkt an meinen Gatten“, sagt die Dame kühl und blickt gelangweilt auf die Straße.

      „Sehr wohl, Gnädigste. Über achtzig Mark ...“

      „Ja. Nicht höher. Bitte schreiben Sie ausdrücklich: Tekla-Perlen ...“

      „Sehr wohl, gnädige Frau! — Fräulein!“ Er winkt Lotte heran: „Die Perlen werden heute an Herrn Architekt Köhler gesandt. Notieren Sie gleich: Bismarckstraße — ich habe die Ehre, gnädige Frau!“ Und an der Tür: „Darf ich mich nach dem Befinden des herrlichen Barsoi der Gnädigsten erkundigen? Wie? Eingegangen? Ach, wie ich das bedaure, gnädige Frau! Welch ein herrliches Tier! An Geflügelknochen verendet! Wie schrecklich! Habe noch nie gehört, daß Hunde kein Geflügel vertragen. Schade! Schade! Der Stil des Hundes paßte fabelhaft zur Erscheinung der Gnädigsten — bitte sehr, gnädige Frau!“ Er reißt die Tür auf. „Empfehle mich ...“ Ussi schreibt und schaut Lotte an. Ganz leise: „Haste gehört? Der Stil des Hundes — —“

      Herr Jonas und Madame Loup gehen ins Arbeitszimmer. Beide lächeln, aber es ist ein Lächeln äußerster Zurückhaltung. „Jetzt müssen sie das Privatleben der Kundin erst richtig verdauen“, sagt Lotte. „Mensch! Stil des Hundes — paßt fabelhaft zur Erscheinung ... das muß ich mir aufschreiben! Das geb’ ich abends zum besten ...“

      „Hast du gehört, Lotte? Herr Steen! Sie hat ’nen Neuen!“

      „Wieso? Der andere ... ach richtig! Das war ja der Holzhändler Eichwald ... Tekla-Perlen ... Junge! Junge! Der Olle muß dumm sein wie ’n neugeborenes Kaninchen!“

      Ussi notiert Preise. Es dauert lange, bis wieder ein Kunde kommt. Frau Architekt Köhler hat den Umsatz für die Woche garantiert ...

      „Achtzig Mark ins Hauptbuch“, sagte Herr Jonas im Privatbüro. „Tekla-Perlen für die Steuer. Da kann gar nichts passieren. Die Kette mit den Tekla-Perlen müssen wir natürlich abschreiben. Ich schenke sie Ihnen, Madame Loup.“

      „Merci‘, sagt Madame. „Merci, Herr Jonas!“

      Madame