Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


Скачать книгу

Minderjährigenschutzabkommen und das Europäische Fürsorgeschutzabkommen. Deren Bestimmungen sind jeweils im Einzelnen zu berücksichtigen wie auch die europäische Menschenrechtskonvention, die UN-Kinderrechtskonvention und die Sozialcharta. Als Fazit kann gelten, dass in Deutschland zwar durch die Zugehörigkeit zur EU und die Verpflichtung zu mehr Konventionen mehr Bestimmungen zu berücksichtigen sind, im Einzelfall aber jeweils geprüft werden muss, welche besonderen Menschenrechte eingehalten werden und einklagbar sind (vgl. Trenczek et al. 2008:51 ff.).

      Soziale Arbeit orientiert sich auch an den verbrieften Grundrechten (Rechtsordnung der Bundesrepublik, Art. 1–19). Ein großer Teil davon ist als Abwehrrechte ausgestaltet. Von besonderem Interesse für die Soziale Arbeit ist die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art 10 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und insbesondere das Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 GG). Der grundsätzliche Schutz der Persönlichkeit (Art 2 GG) hat im Laufe der Jahre eine Ausdifferenzierung erfahren, die für die Soziale Arbeit von besonderer Bedeutung ist. Diese umfasst ein

      • Recht auf Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre,

      • Recht auf informationelle Selbstbestimmung,

      • Recht auf Identität,

      • Recht auf soziale Achtung,

      • Recht auf Selbstdarstellung und

      • Recht auf finanzielle Selbstbestimmung (vgl. ebd.:95).

      4.2.4 Daten- und Vertrauensschutz

      Der Datenschutz und die Schweigepflicht sind mit Ausnahme der Anzeigepflicht in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz unterschiedlich geregelt, weshalb nachstehend Ausführungen separat vorgenommen werden. In beiden Ländern besteht für Professionelle der Sozialen Arbeit keine Pflicht, strafbare Handlungen anzuzeigen mit Ausnahme von besonders schweren Straftaten. Allerdings besteht fast überall ein Anzeigerecht. Es ist demnach nach professionsspezifischen Überlegungen zu beurteilen, ob es sinnvoll erscheint, offiziell Anzeige zu erstatten. Spezialisierte Beratungsstellen können oftmals fundiert Auskunft geben über Wirkungen und mögliche Folgen.

      Datenschutz Schweigepflicht, Amt und Berufsgeheimnis in der Schweiz

      Entgegen dem Begriff dient der Datenschutz dem Persönlichkeitsschutz und den Grundrechten von Personen. Er schützt Menschen vor widerrechtlichem Umgang mit Daten, die von Dritten (Private oder staatliche Behörden) erhoben, bearbeitet und weiter gegeben werden (vgl. Pärli 2007:130 ff.). Sozialarbeiterinnen, die Daten bearbeiten, haben dies unter Einhaltung der Verfassungsgrundsätze zu leisten (image Kap. 4.2.2). Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass sie ausschließlich zum deklarierten Zweck verwendet werden, entsprechend datentechnisch geschützt bleiben und nicht ohne Rechtfertigungsgrund gegen den ausdrücklichen Willen von Klientinnen bearbeitet werden. Hier gilt besonders zu beachten, dass der sorgfältige Umgang mit Daten von Klienten als vertrauensbildende Maßnahme gesehen werden kann. Die Kenntnis von Informationen über eine Person beeinflusst sowohl das Bild von ihr wie auch die Interaktion mit dieser Person (image Kap. 8.2).

      Ganz grundsätzlich gilt für Professionelle der Sozialen Arbeit eine berufliche Schweigepflicht, die verbietet, Daten an Dritte bekanntzugeben. Allerdings fallen Sozialpädagogen nicht unter das im Strafgesetzbuch festgehaltene Berufsgeheimnis (Art. 321), sofern sie nicht im Auftrag von Personen stehen, die ihrerseits dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis unterstehen. Je nach Funktion fallen sie aber unter das strafrechtliche Amtsgeheimnis (Art 320) (vgl. Pärli 2007:134). Bedeutung bekommen diese Bestimmungen in der Beratung von Klientinnen, damit diese sich gegen allfällige Verletzungen von Datenschutzvorschriften wehren können. Sie geben den Professionellen vor, wie sie im direkten Umgang bezüglich Datenschutz vorzugehen haben. So ist es wichtig zu wissen, dass jederzeit Einsichtsmöglichkeit in die eigenen Akten zu gewähren ist. Neben den rechtlichen Grundlagen verspricht der Berufskodex der Sozialen Arbeit nach Art. 12.4, dass sich Sozialarbeitende verpflichten, sorgfältig mit Personendaten umzugehen, Datenschutz und Schweigepflicht einzuhalten (vgl. AvenirSocial 2010:9).

      Es gibt vier Rechtfertigungsgründe, die eine Weitergabe von Daten erlauben. Gesetzliche Rechtfertigungsgründe, die in Gesetzen und Erlassen als Mitteilungspflichten und -rechte geregelt sind, dienen vor allem bei Gefährdungen zum Schutz betroffener Menschen wie z. B. bei Kindesschutzgefährdungen. In Straf- und Zivilprozessordnungen gilt grundsätzlich für alle Personen Zeugnispflicht. In einigen Kantonen können auch Professionelle der Sozialen Arbeit ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen. Ein dritter Grund kann durch die ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person selbst gegeben werden, und schließlich kann ein überwiegend öffentliches Interesse wie z. B. Amtshilfe, Zusammenarbeit, gesetzlicher Auftrag geltend gemacht werden. Es ist also im konkreten Fall oft eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Schweigepflicht (insb. Vertrauensschutz) und dem Interesse an der Datenweitergabe zu treffen. (Vgl. Pärli 2008:136 f.).

      Daten und Vertrauensschutz in der Bundesrepublik Deutschland

      Professionelle der Sozialen Arbeit sind zum umfassenden Daten- und Vertrauensschutz verpflichtet. Dieser ist strafrechtlich abgesichert. Sozialarbeiterinnen sind nur entbunden, wenn der Betroffene einer Datenübermittlung zugestimmt hat oder eine gesetzliche Norm dies zulässt oder vorschreibt. Bezüglich des Zeugnisverweigerungsrechts gibt es keine eindeutige Regelung. (Vgl. Trenczek et al. 2008:534 f.)

      4.3 Zusammenfassung der Erkenntnisse

      Soziale Arbeit richtet sich in ihrer Zielsetzung immer nach bestimmten Werten und Normen, fragt nach dem Sinn ihrer Tätigkeit; zudem ist der sozialarbeiterische Alltag oft durch moralisch verzwickte Situationen gekennzeichnet. Zielsetzungen, Sinnorientierung, Werte, Normen verlangen eine kontinuierliche, kritische, ethische Reflexion. Diese Reflexion ist auf der Ebene der Praxis, der Wissenschaft, der wissenschaftstheoretischen Grundlegung, der Methoden der Sozialen Arbeit wie auch auf der Ebene der Professionsethiken der Berufsverbände anzustellen. Da Soziale Arbeit immer auf einem bestimmten Bild vom Menschen fußt, stellt es eine Voraussetzung für Sozialpädagogen dar, sich in transparenter Weise mit ihrem Menschenbild auseinanderzusetzen. Dabei ist davon auszugehen, dass sich Menschen in einem lebenslangen Entwicklungsprozess befinden. Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) wird stipuliert, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das bedeutet, Menschen dürfen nicht instrumentalisiert werden, ihre Würde wird erfahrbar in der Achtung ihrer Einzigartigkeit in jeder Interaktion und im Erreichen und Erhalt von größtmöglicher Autonomie. Menschenrechte werden angesehen als persönliche Freiheitsrechte, politische sowie kulturelle oder soziale Rechte, die in engem Zusammenhang mit der Grundfigur von Freiheit, Gleichheit und Teilhabe stehen. Neben den Menschenrechten gilt in der Sozialen Arbeit der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Gemeint sind damit das Gewährleisten von gleichen Rechten, der Ausgleich von Leistungen sowie die Verteilungsgerechtigkeit. Damit korrespondiert die Idee der Solidarität im Sinne einer Beistandssolidarität als einer grundsätzlichen Verpflichtung gegenüber den Ansprüchen Benachteiligter und Hilfebedürftiger. Diese Grundwerte bilden einen Orientierungsrahmen für das professionelle Handeln, das sich gleichzeitig für eine nachhaltige Sicherung von Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit einsetzt und seine Funktion immer nur in subsidiärer Art und Weise versteht unter dem Motto ›Hilfe zur Selbsthilfe‹. Professionelle haben auf dieser Grundlage das eigene Handeln nach Person und Situation auszurichten und die jeweiligen Konsequenzen auf verschiedenen Bereichen mitzubedenken. Es gilt die Verantwortung gegenüber den Klientinnen, der Gesellschaft, dem Anstellungsträger, den Sozialarbeiterinnen, der Profession wie auch der eigenen Person wahrzunehmen. Sozialpädagogen sehen sich im Alltag immer wieder Dilemmasituationen ausgesetzt (moralische Konflikte), die abgestützt auf ein gesichertes Professionsverständnis und in Anbetracht der asymmetrischen Grundstruktur des Hilfeprozesses so zu lösen sind, dass die ausgehandelten Zielsetzungen