Orientierung an Fachlichkeit. Auf der andern Seite ist Soziale Arbeit dem Sozialstaat verpflichtet, indem sie sich an den verfassungsrechtlichen Bestimmungen orientiert und ausgewählte Aufgaben des Sozialstaats in der Rechtsanwendung übernimmt (z. B. Durchsetzung von Ansprüchen Schwächeren gegenüber Dritten) wie auch in der Rechtsentwicklung (z. B. Einbringen von fachlich und wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen über den Justizvollzug ins neue Strafrecht) (vgl. Schleicher 2009:21).
Vor diesem Hintergrund soll in diesem Teilkapitel dargestellt werden, auf welche rechtlichen Grundlagen sich professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit abstützt, und welche Gesetze und Verfassungsgrundsätze Vorgaben machen bzw. Leitlinien für das Handeln vorgeben. Dabei gibt es einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Schweiz wie auch einen, der die rechtlichen Verhältnisse in Deutschland beschreibt.
4.2.1 Grundlagen
»Der Staat braucht die Soziale Arbeit, die Soziale Arbeit braucht den Staat und ist oft selbst staatliches Handeln« (Schwander 2009:23). Dieser Zusammenhang ist aus der Zielsetzung des Sozialstaats deutlich erkennbar. Der Sozialstaat verpflichtet sich, für soziale Gerechtigkeit als Chancengleichheit und sozialen Ausgleich auf der Grundlage der Menschenwürde zu sorgen, widerstreitende Interessen auszugleichen und erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen, damit die Zielsetzung, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit herzustellen, erreicht werden kann. Die neuere Sozialpolitik hat erkannt, dass zum Schutz vor den Folgen sozialer Risiken zunehmend soziale Dienstleistungen zu erbringen sind (vgl. ebd.:24 ff.). Allerdings sind davon »keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch Gerichte ohne zusätzliche gesetzliche Grundlage umgesetzt werden könnten« (Trenczek et al. 2008:83), abzuleiten, ebenso wenig kann ein Einzelner aus diesem Sozialstaatprinzip konkrete Leistungen für sich beanspruchen. Ähnlich dem Prinzip ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ in der Sozialen Arbeit wird vom Nachrang- oder Subsidiaritätsprinzip gesprochen, das im Sinne eines aktivierenden Sozialstaates den einzelnen Bürger zur Übernahme von Eigenverantwortung fordert und ihn dazu befähigen soll.
Das System der sozialen Sicherung ist in beiden Staaten unterschiedlich geregelt. In Deutschland basiert die soziale Sicherung auf dem sog. Sozialrecht, das vier Säulen umfasst: Vorsorge durch Sozialversicherungssysteme; Versorgungssystem, Förderungssystem und Hilfesysteme (vgl. Trenczek et al. 2008:84 f.). In der Schweiz liegt das Sozialrecht teilweise in der Zuständigkeit des Bundes, teilweise in derjenigen der Kantone. Das Sozialversicherungssystem ist auf Bundesebene geregelt und wird durch wenige verfassungsmäßige Sozialrechte ergänzt (Recht auf Hilfe in Notlagen, Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht und unentgeltliche Rechtspflege bei Bedürftigkeit). Ebenfalls bundesrechtlich geregelt sind der Kindes- und Erwachsenenschutz und sozialstaatlich motivierte Schutzbestimmungen im Arbeits- und Mietvertragsrecht. Seit 2013 ist das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Dieses sieht eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der von Beeinträchtigungen betroffenen und/oder von hilfsbedürftigen Personen vor. Ziel ist die Sicherung der erforderlichen individuellen Unterstützung und das Vermeiden von gesellschaftlichen Stigmatisierungen. Alle Entscheide in diesem Bereich sind neu bei einer professionellen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) konzentriert. Das Sozialhilferecht dagegen ist, wie auch viele weitere sozialstaatliche Verwaltungsnormen, kantonal geregelt. Die einzelnen Kantone regeln also ihre Sozial(hilfe)ordnungen in einem wesentlichen Masse in eigener Regie unter Wahrung des in der Bundesverfassung verankerten Grundrechtsschutzes.
Im Zusammenhang mit der sozialen Gerechtigkeit ist insbesondere zu beachten, dass Sozialarbeiterinnen sich an der sog. Einzelfallgerechtigkeit zu orientieren haben, die mit Generalklauseln oder Ermessen Möglichkeiten bieten, auf Härtefälle adäquat reagieren zu können. Das Sozialrecht, und insbesondere das Sozialhilferecht, sind geprägt von solchen Ermessensnormen. Schwander zitiert bei ihren Ausführungen den Art. 23 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (CH), in dem es heißt, dass jede bedürftige Person Anspruch auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe hat. In einem andern Artikel weist das Sozialhilfegesetz auf die Umstände des Einzelfalls oder auf den Ermessenspielraum hin, indem artikuliert wird, dass Mitarbeitende der Sozialdienste den Gegebenheiten des Einzelfalls angemessen Rechnung tragen sollen (vgl. 2009:37). Daraus ergibt sich ein nicht zu unterschätzender Handlungsspielraum für Professionelle der Sozialen Arbeit, der durch realpolitische Vorgaben möglicherweise zwar eingeschränkt ist, aber in sozialpolitischer Verantwortung kreativ ausgestaltet werden soll.
4.2.2 Verfassungsgrundsätze
Die Bundesrepublik Deutschland wie auch die Schweiz sind demokratische und soziale (Bundes-)Staaten. In Deutschland bildet das 1949 verabschiedete Grundgesetz die Rechtsgrundlage und weist den Charakter einer Verfassung auf, wenngleich das Grundgesetz seine Bedeutung als höchstrangige Rechtsquelle z. T. verloren hat und durch das europäische Gemeinschaftsrecht ersetzt wird (vgl. Trenczek et al. 2008:39). Die neue Bundesverfassung von 1999 bildet in der Schweiz die Grundlage für alle Gesetze und Verordnungen. Das Grundgesetz in Deutschland wie die Bundesverfassung in der Schweiz enthalten wichtige Verfassungsgrundsätze, die neben Gesetzen und Verordnungen, auf die im Einzelnen noch eingegangen wird, vom rechtlichen Standpunkt als handlungsleitend anzusehen sind.
Gesetzmäßigkeit
Den ersten Orientierungspunkt bildet das Prinzip der Gesetzmäßigkeit, das insbesondere im Strafrecht (und dessen Vollzug, an dem auch Sozialarbeiterinnen beteiligt sind) Gültigkeit hat. Laut diesem Prinzip gilt der Vorrang des Gesetzes; jedes staatliche Handeln – und soziales Handeln ist in der Regel staatliches Handeln – hat sich ausschließlich im Rahmen der gesetzlichen Grenzen zu bewegen (vgl. Schwander 2009:49 f.; Trenczek et al. 2008:75 f.). Neben dem Vorrang gilt der Vorbehalt des Gesetzes, der vom Demokratiegebot aus geht. Danach kann eine Verwaltung nur Maßnahmen ergreifen, wenn sie über eine Ermächtigungsgrundlage im Gesetz verfügt. Eingriffshandeln hat demnach, sofern es die Grundrechte des Menschen tangiert, auf einer gesetzlichen Grundlage zu erfolgen, außer es besteht eine ernste, unmittelbare und nicht anders abwendbare Gefahr. Dies kann in der Sozialen Arbeit die Direktbeteiligten betreffen, aber auch die Klientin selbst im Sinne eines Selbstschutzes (vgl. Schwander 2009:50 f.; Trenczek et al. 2008:77). Es ist wesentlich zu wissen, dass alle Entscheidungen über Sozialleistungen einem besonderen Gesetzesvorbehalt unterworfen sind. So dürfen beispielsweise Sozialleistungen in Deutschland im Bereich der Jugend- und Sozialhilfe nur erteilt werden, wenn dies aus dem Sozialhilfegesetz (SGB) hervorgeht (vgl. Trenczek et al. 2008:77 f.). In der Schweiz gilt dies analog, wobei die gesetzliche Grundlage auch die Form einer Verordnung aufweisen kann.
Verhältnismäßigkeit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat ebenfalls Verfassungsrang und ist besonders bei Eingriffen in die Freiheitssphäre eines Menschen von Bedeutung. Es ist jeweils nachzuweisen, dass das Handeln wirklich erforderlich und auch angemessen oder zumutbar ist. Das Handeln hat sich gemäß dem Prinzip der Geeignetheit darüber auszuweisen, dass die aufgewendeten Mittel den beabsichtigten Zweck zu fördern vermögen. Entscheidungen sind demnach auf der Basis von empirisch nachweisbaren Zusammenhängen der Lebenswelt, von nachgewiesenen Wirkungen zu fällen.
Das Prinzip der Erforderlichkeit verlangt, dass unter gleich wirksamen Vorgehensweisen nur diejenige ausgewählt werden darf, die die Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Es hat sich demnach an der Notwendigkeit in räumlicher, zeitlicher, sachlicher und personeller Hinsicht zu orientieren. Der Grundsatz der Sozialen Arbeit ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ schließt sich hier nahtlos an diesen Verfassungsgrundsatz, der darauf abzielt, Bürgerinnen und Bürgern größtmögliche Selbstbestimmung zu gewähren.
Das dritte Prinzip der Zumutbarkeit, Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne besagt, dass Maßnahmen nur getroffen werden können, wenn der damit verbundene Eingriff in das Leben eines Menschen weniger schwer wiegt als die in Frage stehenden öffentlichen Interessen. Das bedeutet, dass die Grenzen staatlichen Handelns durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der Betroffenen und derer des Gemeinwesens zu ermitteln ist (vgl. Schwander 2009:53 f.; Trenczek et al. 2008:78 f.). Professionelle der Sozialen Arbeit haben