Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


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der Hilfe verpflichtet und andererseits den Anliegen und Interessen der Klientinnen und ihrer Lebenswelt. Die Doppelfunktion von Hilfe und Kontrolle ist eine unaufhebbare, der organisierten Hilfe der Sozialen Arbeit immanente Paradoxie professionellen Handelns. Professionelle müssen sich im Spannungsfeld dieser doppelten Loyalitätsverpflichtung bewegen können. Sie sind einerseits der Logik standardisierten bürokratischen Rechtshandelns verpflichtet, andererseits der Logik des lebensweltorientierten, immer auf die Individualität der Klienten ausgerichteten Unterstützungshandelns. Das dritte Mandat der Profession bietet hier eine wichtige Orientierungshilfe, weil es auf die Relevanz von wissenschaftlichem Wissen und des Ethikkodexes der Profession verweist.

      Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit folgt keiner Herstellungslogik und ist kaum standardisierbar. Rezeptwissen, einheitliche Lösungen und festgeschriebene Vorgehensweisen, mit denen sich eine bestimmte Wirkung herstellen lässt, die eine Methode – das gibt es in der Sozialen Arbeit nicht. Es ist ein Merkmal von Professionen, dass sie sich mit Arbeitsaufgaben befassen, die nicht routinisierbar und unbestimmt sind, sodass sich für die Problembearbeitung keine standardisierten Verfahren anwenden lassen. Professionelle unterscheiden sich von anderen Berufstätigen gerade darin, dass sie über die Kompetenz verfügen, solche Aufgaben zu bearbeiten. Aus dem strukturellen Technologiedefizit ergibt sich die Notwendigkeit eines methodisch strukturierten Vorgehens, bei dem u. a. Theoriewissen und fallbezogenes Wissen aufeinander bezogen werden. Hierfür stehen mittlerweile Verfahren und Modelle zur Verfügung, welche die Bearbeitung von Fällen strukturieren.

      Personale Dienstleistungen in der Sozialen Arbeit kommen ohne Zutun des Klienten nicht zustande. Es handelt sich stets um eine durch Sozialarbeiterin und Klient gemeinsam produzierte Leistung (›Koproduktion‹). Dies verweist auf die Notwendigkeit von Kooperation: Professionelles Handeln zeichnet sich aus durch die Ausrichtung auf ein gemeinsam ausgehandeltes Ziel. Der hierfür notwendige dialogische Verständigungs- und Aushandlungsprozess ist nur auf der Basis einer gelingenden Beziehung zwischen Sozialpädagogin und Klient unter den strukturellen Bedingungen von Asymmetrie möglich. In Zwangskontexten kann die Kooperationsbereitschaft von Klienten nicht vorausgesetzt werden, vielmehr muss sie erst ermöglicht werden.

      Die Sozialpädagogin ist im gemeinsamen Handeln mit Klientinnen und Klientensystemen als ganze Person involviert, sie ist als Person ihr eigenes Arbeitsinstrument. Die reflexive Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen und der eigenen Biografie ist für eine Sozialpädagogin deshalb unabdingbar. Die Fähigkeit zu biografischer Selbstdistanzierung und zu stetiger Selbstreflexion ist ein wichtiger Bestandteil von Professionskompetenz. Andererseits müssen Organisationen, welche Professionalität und Qualität sicherstellen wollen, Gefäße für die gemeinsame professionelle Selbstreflexion (Supervision, Intervision) institutionalisieren.

      Vertiefungsliteratur

      Müller, Burkhard (2012a). Professionalität. S. 955–974 in: Thole, Werner (Hg.). Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. 4. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

      Schütze, Fritz (1992). Sozialarbeit als ›bescheidene Profession‹. S. 132–170 in: Dewe, Bernd/Ferchhoff, Wilfried/Radtke, Frank-Olaf (Hg.). Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern. Leske + Budrich, Opladen.

      4 Ethische und rechtliche Grundlagen

      Den Fragen rund um Ethik und Recht sollen die Ausführungen in diesem Kapitel gewidmet sein. Wir werden zentrale Dimensionen von Ethik und Sozialer Arbeit aufzeichnen und das Menschenbild skizzieren, das diesem Buch zugrunde liegt, sowie Normen bzw. zentrale Wertepositionen einer Professionsethik diskutieren, auf die sich das Handeln in der Sozialen Arbeit abzustützen hat. Thematisiert wird dabei auch die Rolle der Menschenrechte in der Sozialen Arbeit. Zur Abrundung der ethischen Grundlagen wird das Vorgehen einer ethischen Entscheidungsfindung skizziert. Im Weiteren stellen wir ausgewählte rechtliche Aspekte dar, die den gesetzlichen Rahmen bilden für das professionelle Handeln und aufzeigen, dass das Recht Soziale Arbeit einerseits ermöglicht, anderseits auch begrenzt.

      4.1 Professionsethik

      Wenn Soziale Arbeit nach Rauschenbach/Züchner (vgl. 2012:170) als öffentliche Reaktion auf einen politisch anerkannten Hilfebedarf von Menschen zu kennzeichnen ist, so steht dahinter immer ein Urteil, das sich auf bestimmte gesellschaftliche Normen und Werte abstützt. Weil Sozialarbeiterinnen zudem oft in Lebenszusammenhänge von Menschen eingreifen und dies häufig in einem unfreiwilligen oder halbfreiwilligen Rahmen geschieht, stellt dies Soziale Arbeit vor die Aufgabe einer kontinuierlichen Reflexion von Werten, Zielvorstellungen und Konsequenzen professionellen Handelns und des daraus entstehenden Machtgefälles (vgl. Heiner 2010:169). Nach Lob-Hüdepohl (vgl. 2007:117) ist der Berufsalltag der Sozialen Arbeit durch vielfältige moralisch verzwickte Situationen geprägt, die nicht mittels allgemeiner normativer Standards und Grundprinzipien Sozialer Arbeit gelöst werden können. Stimmer geht davon aus, dass die Basis für die essentiellen Kompetenzen zur Wahrnehmung der sozialarbeiterischen Tätigkeit in grundlegenden sozialphilosophischen, anthropologischen sowie ethischen Überlegungen zu legen ist (vgl. 2012:54). Demnach ist zu fragen, auf welchen ethischen Grundlagen sich Professionelle der Sozialen Arbeit in ihrem Tun abstützen können und sollen und welche Bedeutung Ethik und Moral in der Sozialen Arbeit zukommen.

      4.1.1 Begriffsklärung und Dimensionen einer Ethik Sozialer Arbeit

      Ethik kann verstanden werden als Denken über Moral und Ethos; Ethik Sozialer Arbeit ist nach Lob-Hüdepohl »die kritisch-konstruktive Reflexion moralischer Dimensionen und normativer Grundlagen beruflicher Sozialer Arbeit« (2007:117). Heiner versteht Ethik als Wissenschaft, die in systematischer Weise die Phänomene Ethos und Moral kritisch diskutiert (vgl. 2010:169 f.). Dabei geht es nach Eisenmann darum, dass Ethik die individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen von Ethos und Moral anerkennt, die Folgen ihrer Ausprägung erfasst und beschreibt (deskriptive Ethik) sowie auch ihre Angemessenheit begründet (normative Ethik) (vgl. 2006:36 ff.). Moral kann aufgefasst werden als das Insgesamt von nicht reflektierten tradierten und biografisch gefärbten Vorstellungen vom ›richtigen‹, ›guten‹ ›sozial adäquaten‹ Verhalten, das handlungsleitend ist für ein gelingendes Leben. Diese Vorstellungen sind geleitet von Zielen, Normen, Deutungsmustern und Gewissheiten vom richtigen Tun. Als Ethos können Verhaltensmaßstäbe, Wertvorstellungen und Zielsetzungen gesehen werden, die reflektiert sind und bewusst übernommen wurden (vgl. Heiner 2010:169 f.; Lob-Hüdepohl 2007:117; Stimmer 2012:54 f.).

      Deskriptive wie normative Ethik orientieren sich an Kriterien und Prinzipien, die wiederum hergeleitet werden müssen. Dabei stellt sich die Frage, an welcher übergreifenden, allgemeinen Ethik oder Moraltheorie sich diese Prinzipien orientieren. Geschah die Ausrichtung in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik in früheren Zeiten nach emanzipatorischen oder religiösen Grundüberzeugungen, können Sozialpädagoginnen die Wahl ihrer Referenztheorie im Zeitalter der Globalisierung und Individualisierung nicht willkürlich auf individueller Ebene vornehmen in dem Sinne, dass sie nach ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit, Fairness, gutem Leben ihren beruflichen Alltag gestalten. Die Orientierung soll einerseits in Bezug auf den Gegenstandsbereich der Sozialen Arbeit erfolgen. Das bedeutet, dass die spezifischen Anforderungen, Ausprägungen und Eigenheiten des jeweiligen Arbeitsbereichs der Sozialen Arbeit besonders zu berücksichtigen sind. Anderseits ist auf die fachliche Eigenlogik der Sozialen Arbeit zu achten, die sich erst in der wissenschaftsgestützten Entwicklung entsprechender Ansätze und Konzepte herauskristallisiert. Damit wird die »Ethik Sozialer Arbeit integraler Bestandteil einer reflexiven Theorie beruflicher Sozialer Arbeit insgesamt (…). In diesem Sinne reflektiert eine Ethik Sozialer Arbeit alle moralischen Orientierungen und normativen Implikationen, die dem einzelnen sozialprofessionellen Handeln wie den institutionellen Vermittlungsformen (…) und strukturellen Rahmenbedingungen (…) Sozialer Arbeit faktisch innewohnen« (Lob-Hüdepohl 2007:118).

      Schlittmaier (vgl. 2006:45 f.) zeichnet verschiedene Dimensionen einer Ethik Sozialer Arbeit auf, auf die kurz eingegangen werden soll, weil sich die Herausforderungen dabei gut aufzeigen lassen. Als erste Dimension nennt er die