Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


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B. Professionelle, Klientinnen, Organisationen etc. beteiligt sind und in der die Ethik ein bestimmendes Element darstellt, weil sie auf die Intentionen und Interventionen der Professionellen, auf die Ausrichtung und Gestaltung von Organisationen sowie auf rechtliche Normierungen einwirkt. Im Bereich der Wissenschaft Sozialer Arbeit, die ja auch Auswirkungen auf die Praxis hat (image Kap. 2.1.3), ist in einer ethischen Reflexion der Geltungsanspruch zentraler Normen von wissenschaftlichen Ansätzen kritisch zu diskutieren. Aus ethischer Sicht ist weiter zu fragen, welche wissenschaftstheoretische Grundlegung für Soziale Arbeit angemessen ist. Schließlich weisen die Methoden Sozialer Arbeit ethische Dimensionen auf, indem sie Zielsetzungen beinhalten, die in jedem Fall normativen Charakter aufweisen. Eine weitere Dimension umfasst die Berufsethiken von nationalen und internationalen Berufsverbänden, die sich auf Werte und Normen abstützen, die das Handeln leiten sollen. Nach Schlittmaier weisen diese Berufsethiken zweierlei Defizite auf, ein Begründungs- und ein Applikationsdefizit; er vertritt die Ansicht, dass eine Professionsethik erst durch einen wechselseitigen Anwendungs- und Begründungsdiskurs ihre Praxisrelevanz intensivieren kann (vgl. 2006:46). Becker/Müller vermerken in diesem Zusammenhang, dass die Berufsverbände von unterschiedlichen ethischen Grundhaltungen ausgehen, die zu beachten seien, kritisieren aber, dass diese Grundhaltungen unklar formuliert und teils unzulänglich begründet sind und auf einen Anwendungsdiskurs verzichten (vgl. 2009:33 ff.).

      Eine ethische Reflexion ist in jeder Organisation Sozialer Arbeit angesagt, sollen deren Ziele legitimiert werden. Schließlich, hält Schlittmaier fest, verlangt die Klärung der Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen Sozialer Arbeit eine Bewertung aus ethischer Sicht (vgl. 2006:46).

      4.1.2 Menschenbild

      Geht man vom ungeschriebenen Recht aller Klientinnen der Sozialen Arbeit aus, als einmalige, einzigartige Individuen in ihren Fragestellungen und Problemen in Bezug auf ihre soziale Einbindung wahrgenommen und behandelt zu werden, ist zu fragen, von welchen Vorstellungen des Menschseins das Handeln in der Sozialen Arbeit geleitet werden soll. Die Vielfalt an Anthropologien und Glaubensvorstellungen weist darauf hin, dass das Wissen um den Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen einzubeziehen ist, soll das Wesenhafte des Menschen umfassend verstanden werden.

      Zunächst ist festzuhalten, dass der Mensch nicht als eine feste unveränderbare Größe betrachtet, sondern nur in seinem kontinuierlichen Werden verstanden werden kann. Dieses menschliche Werden steht in Wechselwirkung mit der natürlichen und sozialen Umwelt, die sich ebenfalls in einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung befindet. Aus den Bedingungen der Vergangenheit kann sich der Mensch nach Bock jeden Augenblick neu in die Zukunft hinein entwerfen (vgl. 1984:18). Das Vergangene kann dabei als das aufgefasst werden, was man an Wissen erworben und verstanden hat, wodurch man geprägt bzw. wie man sozialisiert wurde, worüber ein Bewusstsein existiert und über das reflektiert werden kann. Menschsein ist demnach zunächst einmal geprägt von Verstehens- und Bewusstseinsprozessen und dem, was die Psychologie als ›Selbst‹ bezeichnet (vgl. Friedrich:2001:133). Der Begriff Selbst bezeichnet in diesem Zusammenhang das Sein des Menschen in seiner Gesamtheit, das nur in seiner Lebensgeschichte als fassbare Dimension beschreibbar ist. Nach Knapp ist das Selbst zeitlebens in einem potentiellen Zustand (vgl. 1988:113). Dies bedeutet ein gewisser Grad an Auswahlmöglichkeiten, an Unvorhergesehenem, an Offenheit, an Unwägbarkeiten, an Möglichkeiten des Gelingens wie auch Scheiterns.

      Dadurch wird das Leben des Menschen, sein Werden fragil und er muss Strategien entwickeln, um sich vor Überraschungen, Unwägbarkeiten und dgl. zu schützen. Um nicht Gefühlen der Haltlosigkeit, Leere, Angst, Verzweiflung ausgesetzt zu sein, braucht der Mensch nach Knapp eine Sicherheit des Aufgehobenseins, die er mit den Begriffen Getragen- und Gehaltensein, Versorgtheit, Vertrauen und Anerkennung umreißt. Damit ist ausgedrückt, dass der Mensch von Grunde auf auf fremde menschliche Hilfe angewiesen ist; gleichzeitig bietet er andern Menschen Zuwendung, sowie ein Gehalten- und Aufgehobensein (vgl. 1988:136 ff.). Die beschriebene Fragilität wie auch Offenheit des Lebens, die über den Tod hinaus geht, lässt den Menschen sein Leben lang nach Sinn, Halt, Orientierung wie auch Transzendenz suchen. Zum Leben gehören demnach Religion und Metaphysik (vgl. Friedrich 2001:168).

      Vor dem Hintergrund dieser Angewiesenheit auf andere wird klar, dass Menschen im Laufe ihrer Entwicklung Aufgaben, Funktionen, Rollen zu übernehmen haben, die traditionellerweise von ihrer Umwelt wahrgenommen wurden. Diese Übernahme setzt vielfältige Lernprozesse voraus, in dem alle notwendigen Lebenszusammenhänge verstanden und entsprechende Kompetenzen für das Erreichen einer Lebenstüchtigkeit erworben werden müssen. »Die soziokulturell bedingte Erziehungsbedürftigkeit ergibt sich aus dem Faktum, dass der Mensch in eine natürliche, kulturelle, gesellschaftliche Umwelt hineingeboren wird und nicht alles, was er darin braucht, selbst entdecken und schaffen kann. Er braucht Naturalisations-, Enkulturations-, Sozialisations- und Personalisationshilfe« (Hamann 2005:124). Da zudem jedes Lebensalter kulturspezifische Entwicklungsaufgaben an den Menschen stellt, und jeder Wechsel von Aufgabe, (Berufs-)Rolle, Funktion, Zugehörigkeit etc. spezifische Kompetenzen erfordert, ist für den Menschen lebenslanges Lernen angesagt. Dies ist auch von der Natur her vorgesehen: Der Mensch hat die Aufgabe, sich letztlich zu seinem Ableben hin zu entwickeln. Entwicklung findet demnach immer statt, man könnte im Sinne von Watzlawicks Axiom (›man kann nicht nicht kommunizieren‹) sagen, ›man kann sich nicht nicht entwickeln‹.

      Mit den erwähnten Charakteristika des Menschseins wird deutlich, dass der Mensch von Beginn weg in Beziehung zu andern steht. Entwicklung ist immer als Co-Entwicklung zu verstehen, der Mensch steht in Beziehung zu seiner Umwelt.

      Aus den bisherigen Ausführungen ist zu erkennen, dass der Mensch als ›freier Unfreier‹ betrachtet werden kann. Er ist einerseits fähig zur Selbstbestimmung, zur Übernahme selbstverantworteten Lebens, aber er ist gleichzeitig auch dazu gezwungen, will er überleben. Im Angewiesensein auf andere Menschen ist seine Freiheit beschränkt durch die Freiheit des andern, sie darf sich nicht auf Kosten des andern ausdehnen. Damit Menschen überleben, müssen sie in ausgewogenen Zuständen sein. Abweichungen werden als Bedürfnisspannungen registriert, die es möglichst schnell auszugleichen gilt. Dabei kann es sich um biologische (wie z. B. Hunger, Kälte, Sexualität), psychische (wie z. B. Angst, Ohnmacht) oder soziale Bedürfnisspannungen (wie z. B. soziale Isolation, Ohnmacht) handeln. Können diese Spannungen nicht innerhalb einer erforderlichen Frist abgebaut werden, liegt ein Problem vor. Im Falle von sozialen Bedürfnisspannungen sprechen wir von einem sozialen Problem, das Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen bewältigen können. Soziale Arbeit wird u. a. nötig, wenn die Lösung sozialer Probleme nicht oder ungenügend möglich ist.

      4.1.3 Grundlegende ethische Normen

      Wie noch auszuführen sein wird (image Kap. 4.2), nehmen die gesetzlichen Bestimmungen über Sozialhilfe die Leitidee auf, dass Soziale Arbeit der Menschenwürde verpflichtet ist, indem als Aufgabe der Sozialhilfe gesehen wird Menschen so zu unterstützen, dass ihnen ein menschenwürdiges Leben gesichert ist (image Kap. 4.2.1). Menschenwürde, so ist zu folgern, ist somit nicht an noch zu bestimmende (Charakter-)Eigenschaften oder Kompetenzen gebunden, sondern dem Menschen inhärent (vgl. Fischer et al. 2007:348). Nach Spaemann (2001:109) stellt der Begriff Menschenwürde ein letztes unhintergehbares Element des Selbstseins dar und besitzt somit normativen Charakter. Menschenwürde stellt in Bezug auf das Handeln eine Grenze dar, die nicht überschritten werden darf. Die 1948 von den Vereinten Nationen entworfene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat zum Ziel, die »allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnende Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte« Geltung zu verschaffen (vgl. Heidelmeyer 1997:225). Da der Begriff ›Menschenwürde‹ alltagssprachlich etliche Unschärfen aufweist und sehr