So ist es beispielsweise unmittelbar einleuchtend, dass die Erweiterung von Selbstkompetenzen einer erwerbslosen jungen erwachsenen Frau im Rahmen eines Beratungsgesprächs ohne Beteiligung der Klientin unmöglich ist. Die Klientin hat daher den Status einer Ko-Produzentin. Die personenbezogene soziale Dienstleistung kann nur in einem dialogischen Verständigungsprozess gemeinsam von Professionellem und Klientin erbracht werden. (Vgl. u. a von Spiegel 2013:33 f.; Galuske 2013:51 f.)
Der Umstand, dass eine Leistung in der Sozialen Arbeit unabdingbar eine durch Sozialarbeiterin und Klient gemeinsam produzierte Leistung ist – die Tatsache der Koproduktion also – verweist auf die Notwendigkeit von Kooperation. Schweitzer (1998:24) definiert Kooperation (im engeren Sinne) als »eine zwischen mindestens zwei Personen abgestimmte, auf ein Ergebnis gerichtete Tätigkeit«. Kooperation meint also die gemeinsame Ausrichtung des Handelns auf ein Ziel. Und dieses Ziel kann nur als gemeinsames Ziel zwischen dem, der auf sie angewiesen ist und dem, der Unterstützung anbietet, realisiert werden.
Die Tatsache der Koproduktion macht deutlich, dass in der Sozialen Arbeit der Begriff des ›Kunden‹, der eine Dienstleistung in Anspruch nimmt und ›konsumiert‹, unangemessen ist, weil hier der Aspekt der Eigenleistung und Beteiligung verschwindet. Treffender sind die Begriffe ›Klientin‹ (namentlich in allen Formen der Beratung und den Bereichen der Tertiärprävention, wie z. B. Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe oder des Straf- und Justizvollzugs), allenfalls auch ›Adressaten‹ (insbesondere im Bereich der Primär- oder Sekundärprävention, wie z. B. der Gemeinwesenarbeit, Schulsozialarbeit).
(Un-)Freiwilligkeit
Das Strukturmerkmal der ›Koproduktion‹ wirft spannende Fragen auf. Dass es unmöglich ist, eine Veränderung einer Person ›herzustellen‹, haben wir bereits in Zusammenhang mit dem Strukturmerkmal der geringen Standardisierbarkeit des professionellen Handelns festgestellt (
Die Fähigkeit, die Kooperation des Klienten zu erarbeiten und gewinnen, gilt bei den meisten Autorinnen als ein Aspekt von Professionskompetenz. Einzig bei der Konzeption des Arbeitsbündnisses nach Oevermann gelten Freiwilligkeit und Motivation des Klienten als unabdingbare Voraussetzung für eine Kooperation, und die Tatsache, dass diese in vielen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit nicht vorhanden sind, wird als Professionalisierungshindernis bezeichnet (vgl. u. a. Oevermann 1996:162 ff., 2009:121 ff.). Anderseits sind in jüngerer Zeit auch Veröffentlichungen erschienen, in denen thematisiert wird, auf welche Weise Kooperation in Zwangskontexten erfolgreich sein kann (vgl. Kähler 2005; Conen/Cecchin 2013; Gehrmann/Müller 2007; Klug/Zobrist 2013).
Das aktive Bestreben der Sozialpädagogin, in eine Kooperation mit einer Klientin zu kommen, kennt allerdings keine Garantie – der Begriff ›Niederlage‹ im Zitat von Thiersch bringt dies deutlich zum Ausdruck. So wie Professionelle der Sozialen Arbeit grundsätzlich in der Lage sein müssen zu akzeptieren, dass ein von der Sozialen Arbeit definierter Adressat ein Angebot – z. B. eine Beratung in einer Familienberatungsstelle oder die Gesprächsmöglichkeit in einem niederschwelligen offenen Angebot für Menschen mit Suchtmittelabhängigkeit – nicht annehmen will und sich nicht adressiert fühlt, so müssen sie auch in einem Zwangskontext akzeptieren können, wenn sich eine Klientin nicht auf eine Arbeitsbeziehung einlassen will und sich der Kooperation verweigert.
Ein Bewusstsein der Grenzen der eigenen Möglichkeiten ist gemäß Heiner (2004b:38 f.) ein wichtiger Teilaspekt der beruflichen Rollenklarheit. Ein anderer Aspekt betrifft die Integration der doppelten Loyalitätsbindung in das eigene professionelle Rollenverständnis (
Strukturelle Asymmetrie
Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass die Klientin zwar Ko-Produzentin der sozialen Dienstleistung ist, dass diese Koproduktion von Sozialarbeiter und Klientin gleichwohl unter Bedingungen von Ungleichheit stattfindet. Die Arbeitsbeziehung ist gekennzeichnet von einer strukturellen Asymmetrie: Der Sozialarbeiter verfügt aufgrund seines institutionellen Hintergrunds, seinem doppelten Mandat von Hilfe und Kontrolle sowie seines Wissensvorsprungs und seiner Kompetenz über mehr Macht als die hilfesuchende Klientin. So bezeichnet beispielsweise Michel-Schwartze Macht als Interaktionskonstante in der Sozialen Arbeit: Sozialarbeiterinnen verfügen als Repräsentantinnen hilfemächtiger Institutionen über Macht. Die strukturell vorgegebene Machtasymmetrie zeigt sich u. a. in der Komplementarität der Rollen – als hilfemächtige Professionelle einerseits und als hilfebedürftige Klientin mit Kompetenzdefizit andererseits (vgl. 1992:98 f.). (Nebenbei: Diese Asymmetrie in der professionellen Beziehung kann potentiell noch durch die Geschlechterasymmetrie verstärkt werden – in der Konstellation Sozialarbeiter und Klientin – oder aber ›gekreuzt‹ – in der Konstellation Sozialpädagogin und Klient. Dies kommt zum Tragen, wenn ein Interaktionsbeteiligter ein traditionelles Geschlechtsrollenverständnis männlicher Überlegenheit internalisiert hat.) Bommes/Scherr verweisen darauf, dass Sozialarbeiter auf der Basis der strukturellen Asymmetrie in der professionellen Beziehung »mit Deutungs-, Definitions- und Entscheidungsmacht insofern ausgestattet sind, als sie Hilfe zugestehen oder verweigern und die Fallproblematik in einer Weise fassen können, die von den Klienten abgelehnt werden kann und deshalb doch nicht verworfen werden muss, sondern im Rahmen der Organisation durch Entscheidung abgesichert werden kann« (2000:220). Auch viele andere Autorinnen analysieren professionelles Handeln als eine Form der Machtausübung (vgl. z. B. Heiner 2004b, Bang 1964 – anders hingegen Oevermann 2011 sowie Becker-Lenz/Müller 2009, die eine symmetrischen Sozialbeziehung postulieren). Gemeinsam ist den Diskussionen um Macht in der Sozialen