Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


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Eine Methodik der Sozialen Arbeit beinhalte die Befähigung, »Verschiedenes für verschiedenartige Menschen zu tun« (Salomon 1926:6,60, zit. in Müller 2012:960 f.). Damit war das Prinzip der ›Individualisierung der Hilfe‹ begründet.

      Gertrud Bäumer andererseits leitete den Professionalitätsanspruch Sozialer Arbeit aus der Entwicklung von Institutionen ab. Sie argumentierte, dass im 20. Jahrhundert den Notlagen einzelner Menschen nicht mehr wie früher durch karitative freiwillige ›Liebestätigkeit‹ von Einzelnen oder von Ordensgemeinschaften begegnet werden könne. Vielmehr müssten diese Notlagen als soziales Problem erkannt werden, und Hilfe statt einzelfallbezogen über Einrichtungen der Sozialen Arbeit organisiert werden. Diese Einrichtungen bräuchten berufliches Personal, das sie durch eigene Ausbildungsgänge selbst heranziehen sollten. Die Vergesellschaftung sozialer Aufgaben schafft nach Bäumer die Voraussetzungen für einen eigenen Professionalitätstyp. Erforderlich sei verwaltungstechnisch-juristisches, sozialwissenschaftliches und institutionelles Wissen – Wissen, über das nicht nur die einzelnen Sozialarbeiterinnen verfügen sollten, sondern das auch institutionalisiert werden müsse (vgl. Müller 2012:961 f.).

      Daraus lässt sich ableiten, dass einerseits spezifische Methoden der Sozialen Arbeit, andererseits die Institutionalisierung der Problembearbeitung (bzw. der Organisationskontext) wichtige Aspekte eines Professionalitätsmodells Sozialer Arbeit sind. Soziale Arbeit könne sich also immer nur im Kontext ihrer organisatorischen Struktur professionalisieren, konstatiert Müller (vgl. ebd.:963 f.). Soziale Arbeit brauche ein spezifisches Methodenrepertoire, und es müsse bestimmt werden, welche Kompetenzen die einzelnen Professionellen zur Erfüllung ihrer spezifischen Aufgabe benötigen. Darauf wird im zweiten Teil dieses Lehrbuchs ausführlich eingegangen.

      Eigenständiges handlungsorientiertes Professionalitätsmodell

      Die Kritik an der Professionalisierungsdebatte in den 1980er Jahren führte zu einer allmählichen Abkehr von der sog. ›indikatorischen‹ professionssoziologischen Perspektive, in der die Soziale Arbeit gemessen wird an den Merkmalen (Indikatoren) der klassischen Professionen. Stattdessen wird nun eine ›strukturtheoretische‹ Perspektive genutzt, um Aufgaben und Strukturbedingungen der Sozialen Arbeit beleuchten zu können. Es werde an einem Theorieentwurf gearbeitet, der »die Grammatik institutionalisierten pädagogischen Handelns« ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, und bei dem es »auf die Aufklärung der Binnenstrukturen und der Logik pädagogischen Handelns« ankommt, formulierten Dewe et al.(1992:12). Heiner bezeichnet den Paradigmenwechsel als Abkehr von einer berufsstrukturellen Perspektive hin zu einer handlungs- und kompetenzorientierten Perspektive, in welcher die Handlungsvollzüge in der Sozialen Arbeit analysiert werden (vgl. 2004:16 f.). Damit dringt der Professionalisierungsdiskurs in den Mikrobereich des professionellen Handelns vor. Neu werden auch Fragen der Professionalisierbarkeit mancher Tätigkeiten unter gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen diskutiert (vgl. Dewe/Otto 2011:1132 f.), es wird berücksichtigt, dass sich professionelles Handeln im Kontext von Organisationen inszeniert und dieser Kontext mit analysiert werden muss (vgl. Nadai/Sommerfeld 2005). Die spezifischen Bedingungen sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Handelns werden untersucht und auf strukturelle Widersprüche hin analysiert. Auf dieser Grundlage lassen sich konkrete Handlungsspielräume und notwendige Kompetenzen bestimmen. Der Professionalisierungsdiskurs versucht auf diese Weise Einfluss zu nehmen auf das berufliche Handeln selbst (vgl. Gildemeister 1992:210).

      3.2 Strukturmerkmale professionellen Handelns

      Im Folgenden soll dargelegt werden, welches die spezifischen Bedingungen sind, unter denen Soziale Arbeit ihre gemeinnützige Aufgabe der Unterstützung von Menschen hinsichtlich Alltagsgestaltung und Lebensbewältigung sowie sozialer Integration (image Kap. 2.2.2) wahrnimmt.

      Die Soziale Arbeit ist gekennzeichnet durch besondere Konstitutionsbedingungen und durch strukturelle Widersprüchlichkeiten, welche als Strukturprobleme des professionellen Handelns bezeichnet werden. Im deutschsprachigen Raum hat Schütze im bereits erwähnten Aufsatz von 1992 zu Sozialarbeit als ›bescheidener Profession‹ erstmals explizit herausgearbeitet, dass es in der Sozialen Arbeit aufgrund ihrer spezifischen Bedingungen »immer wieder zu Paradoxien professionellen Handelns« komme, »d. h. zu Schwierigkeiten und Dilemmata im Arbeitsablauf, die nicht aufhebbar und nicht umgehbar sind, in die sich also der Professionelle mit Notwendigkeit verstrickt.« Verschiedene Autorinnen haben seither solche Strukturprobleme thematisiert, wobei Anzahl, Bezeichnung und Systematisierung jeweils variieren (vgl. u. a. Gildemeister 1992; Galuske 2013). Auf der Basis unterschiedlicher Texte im aktuellen Professionalisierungsdiskurs werden nachfolgend wesentliche Strukturmerkmale und -probleme erläutert.

      3.2.1 Diffuse Allzuständigkeit für komplexe Probleme

      Klassische Professionen zeichnen sich aus durch ein Monopol hinsichtlich Zuständigkeit und Leistungen (image Kap. 3.1.1); die Medizin beispielsweise ist für den Bereich des menschlichen Körpers zuständig, für seine Gesundheit und deren Gefährdung – und sie kann eine einigermaßen klar umreißbare ›Krankheit‹ behandeln. Die Soziale Arbeit hingegen beschäftigt sich mit Problemen in sozialen Lebenssituationen und der individuellen alltagsweltlich konkreten Lebenspraxis – und diese sind potentiell sehr komplex und oftmals diffus. Die konkrete, praktische Problemstellung, welche es zu bearbeiten gilt, sei nur schwer und nie eindeutig einzugrenzen, so Gildemeister/Robert (1997:28 f.). Bommes/Scherr (2000:57) bezeichnen den Gegenstandsbereich der Sozialen Arbeit mit »Organisation unspezifischer Hilfsbereitschaft«. Gemäß Heiner (2004b:157) ist die »umfassende Zuständigkeit für alle Aspekte der komplexen Problemlagen der Klientel (von der zu engen Wohnung über die unzureichende Ausbildung bis zu Ehe-, Erziehungs- und Selbstwertproblemen)« kennzeichnend für die Soziale Arbeit. Alles, was das Alltagsleben an Problemen mit sich bringt, kann potentiell zum Gegenstand sozialpädagogisch-sozialarbeiterischer Unterstützungsleistungen werden, stellt Galuske fest (vgl. 2013:40), ein klarer Fokus ihres Tätigseins fehle, konstatiert Gildemeister (1992:209). So ist die Soziale Arbeit durch eine nicht klar bestimmbare Zuständigkeit, eine diffuse ›Allzuständigkeit für komplexe Probleme‹ gekennzeichnet, die sich am ehesten noch negativ bestimmen lässt: »Soziale Arbeit wird dann tätig, wenn andere Professionen nicht mehr oder noch nicht tätig werden können« (Kleve 2002b zit. in Becker-Lenz/Müller 2009:64). So haben wir denn auch in Kapitel 2.2.2 festgehalten, dass der Auftrag der Sozialen Arbeit ein nachrangiger ist.

      Eingrenzung der Zuständigkeit

      Diese ›Allzuständigkeit‹ ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Auf der Makroebene führt dies zur Schwierigkeit, eine Definition des Gegenstandes Sozialer Arbeit zu finden (image Kap. 2.1). Ebenso spiegelt sie sich wider in der großen Breite und Heterogenität der Arbeitsfelder (image Kap. 2.2.1). Für die Profession bedeutet dies, dass der Grad an Spezialisierung – zumindest in der Grundausbildung – nur sehr gering sein kann. Mit der Heterogenität der Arbeitsfelder einher geht auch eine fehlende Monopolisierung des Tätigkeitsfeldes (vgl. Galuske/Müller 2012:591). So arbeiten nur selten ausschließlich eine Sozialarbeiterin und ein Klient an einem Thema; meistens sind weitere Fachleute aus unterschiedlichen Professionen und Berufen in einen Fall involviert, mit denen die Sozialarbeiterin in irgendeiner Form zusammenarbeitet. Soziale Arbeit vollzieht sich also zumeist in interprofessionellen Kontexten (image Kap. 5.2). Dabei haben Professionelle der Sozialen Arbeit manchmal mit Statusproblemen