Lebensweise und Lebensbedingungen. Dies beinhaltet die Arbeit mit Einzelpersonen, Familien, Gruppen und Gemeinwesen. Auch wenn wir als AutorInnen die gesellschaftsbezogene Funktion der Sozialen Arbeit für wichtig erachten, so müssen wir akzeptieren, dass Einbezug und Thematisierung des politischen Mandats die Grenzen dieses Lehrbuches sprengen würde.
2.2.3 Grundorientierungen und Bedeutung von wissenschaftlichem Wissen
Wir haben gesehen, dass die Soziale Arbeit an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft befasst ist, wo sich immer wieder mögliche Problemlagen und Anforderungen zeigen, bei deren Bewältigung Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. In der Auseinandersetzung mit komplexen Problemstellungen geht es um Unterstützung in Hinblick auf eine möglichst selbstbestimmte Lebenspraxis. Soziale Arbeit will beitragen zu einem gelingenden, ›guten‹ Leben und in (Krisen-)Situationen – wenn eine autonome Lebensführung gefährdet ist und sich oft auch Sinnfragen stellen – Hilfe leisten und soziale Integration ermöglichen (vgl. Hochuli Freund/Hug 2017:50). Abschließend soll nun dargelegt werden, wie die Soziale Arbeit diese Aufgabe wahrnimmt.
Grundorientierungen und Grundprinzipien
In den letzten drei Jahrzehnten sind spezifische Theorien der Sozialen Arbeit entwickelt worden, welche den Gegenstand der Sozialen Arbeit genauer fassen, Problemstellungen differenziert darlegen, Zielsetzung und Aufgaben bestimmen und Zugänge beschreiben, wie diese Aufgaben wahrgenommen werden können. Dazu gehören u. a. das Konzept der Lebensweltorientierung von Thiersch (2002, 1992), der Lebensbewältigungsansatz von Böhnisch (vgl. u. a. Böhnisch 2008, 2012), die Theorie ›Integration und Lebensführung‹ (Sommerfeld et al. 2011), das Systemtheoretische Paradigma der Sozialen Arbeit (Staub-Bernasconi 2007a, 2012, Geiser 2013). Wir werden hier nicht näher auf diese einzelnen Entwürfe eingehen, sondern zunächst nur festhalten, dass sich Lebensweltorientierung und ein systemischer Zugang mittlerweile als allgemeine Grundorientierungen in der Sozialen Arbeit etablieren konnten. Des Weiteren möchten wir eine Gemeinsamkeit all dieser Theorien skizzieren und anschließend einige Grundprinzipien herausarbeiten, auf die in den aktuellen Methodenlehren (u. a. Galuske 2013, von Spiegel 2013, Stimmer/Ansen 2016, Wendt 2017, Cassée 2019, Thimm 2020) Bezug genommen wird und die heute zum Selbstverständnis der Sozialen Arbeit gehören.
Theoretische Grundlage sei überall eine bio-psycho-soziale Perspektive, so Pauls (2013:32 ff.). Alle Theorien weisen eine inhaltliche Nähe zum Person-in-Umwelt Modell (person-in-environment) und zum biopsychosozialen Modell auf, konstatiert auch Röh (2018a:103). Probleme der Lebensbewältigung werden demnach als komplexes Interaktionsgeschehen zwischen bio-psychischen, sozialen und kulturellen Dimensionen aufgefasst. Der besondere Zugang der Sozialen Arbeit besteht darin, im Rahmen des biopsychosozialen Modells – das auch in anderen Disziplinen wie Medizin und Psychologie zu den Grundlagen zählt – vor allem die soziale Dimension auszuleuchten. Dazu gehören auf Seite der Person alle interaktionalen Bezüge wie soziale Beziehungen und soziale Netzwerke, auf Seite der Umwelt geht es um soziostrukturelle und sozialökologische Aspekte.
Neben dem Blick auf die ›Person in ihrer Umwelt‹ und dem Fokus auf die soziale Dimension kann auch Ressourcenorientierung als allgemeines Grundprinzip der Sozialen Arbeit gelten (vgl. u. a. Buttner 2018:142, Schubert 2018:112). Dabei geht es sowohl um die Möglichkeiten, die in der Person selbst liegen (personale Ressourcen) wie auch um solche, welche die Umwelt, in der ein Mensch sich bewegt, bereithält (Umweltressourcen, vgl. Wendt 2017:32, oder auch: Schubert 2018:114 ff.). Hier geht es sowohl um Ressourcenaktivierung (so der Titel von Flückiger/Wüsten 2015) wie auch um Prozesse von Empowerment, wie Herriger sie in seinem Standardwerk (2020, 1. Auflage 1993) ausführlich beschrieben hat. Das im Abschnitt oben bereits erwähnte Prinzip ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ hängt hiermit eng zusammen.
Diese Prinzipien finden sich auch in der Darstellung von Wendt (2017), der die spezifischen Orientierungen der Sozialen Arbeit folgendermaßen zusammenfasst:
• Adressatenbezogene Perspektive, welche die Orientierung am Subjekt, an den Ressourcen und an der Mündigkeit beinhaltet (vgl. ebd. 30 ff.)
• Systembezogene Perspektive, welche Menschen in ihrem Lebensraum und in ihrer Lebenswelt betrachtet (ebd. 35 ff.)
• Empowerment als grundlegende Perspektive der Selbstbefähigung und Selbstermächtigung (vgl. ebd. 39 f.)
• Handlungsorientierende Perspektive, welche die Bedeutung eines Arbeitsbündnisses sowie von Wissen, Können und Haltung der Professionellen beinhaltet (vgl. ebd. 47 ff.)
Diese letztgenannte Perspektive wollen wir hier aufgreifen, denn sie enthält wichtige Prinzipien, die bisher nicht erwähnt wurden. Das Arbeitsbündnis zwischen Sozialarbeiterin und Klient gilt als ein Kernelement professionellen Handelns (vgl. Becker-Lenz/Müller 2009:371 f.,
Bedeutung von wissenschaftlichem Wissen
In allen aktuellen Methodenlehren der Sozialen Arbeit wird die grundlegende Bedeutung von wissenschaftlichem Wissen für das professionelle Handeln betont. Zum Wissenskorpus der Sozialen Arbeit gehören nicht nur die spezifischen Theorien und Konzepte der Disziplin, welche den Gegenstand und die Aufgaben der Sozialen Arbeit in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang stellen sowie das aus Forschung generierte empirische Wissen. Wichtig sind auch vielerlei Wissensbestände aus relevanten Nachbarsdisziplinen wie Psychologie, Soziologie, Recht etc.
In Hinblick auf professionelles/methodisches Handeln kann Wissen auch gemäß seiner Funktion in unterschiedliche Wissensarten ausdifferenziert werden. Von Spiegel (vgl. 2013:45–70) unterscheidet vier Kategorien: Beschreibungswissen – Erklärungswissen – Wertewissen – Veränderungswissen. Ähnlich unterteilt auch Preis (vgl. 2003:181 f.) das für die Fallbearbeitung nötige theoretische Hintergrundwissen und erläutert fünf Wissensformen; Neben Beschreibungs-, Erklärungs- und Wertewissen führt er zusätzlich ›Prognosewissen‹ auf, anstelle von ›Veränderungswissen‹ nutzt er den Begriff ›Verfahrenswissen‹.
Sich auf geeignetes wissenschaftliches Wissen zu beziehen, gehört also zum Selbstverständnis von Professionellen der Sozialen Arbeit.
2.3 Zusammenfassung der Erkenntnisse
Die Soziale Arbeit hat zwei Traditionslinien, eine sozialarbeiterische und eine sozialpädagogische Linie. Diese historische Unterscheidung zwischen Sozialpädagogik und Sozialarbeit gilt heute als überholt, als neuer Leitbegriff wird Soziale Arbeit verwendet. Bereits die beiden historischen Wurzeln verweisen auf verschiedene, durchaus unterschiedliche Praxisfelder. Aufgrund der Expansion der Angebote in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das Feld der Sozialen Arbeit noch breiter geworden. Neue Aufgabenfelder wurden erschlossen, innerhalb der einzelnen Praxisfelder vollzog sich eine Diversifizierung und Spezialisierung der Angebote, die auch einen qualitativen Ausbau bedeuteten. Das Feld der Sozialen Arbeit zeichnet sich heute aus durch Vielfalt und Heterogenität.
Soziale Arbeit ist eine junge Disziplin und zugleich eine Profession. Die Disziplin ist ein Wissenschaftszweig, sie untersucht den Forschungsgegenstand der Sozialen Arbeit mit spezifischen Fragestellungen und Methoden, generiert spezifisches Wissen und stellt die akademische Ausbildung des Nachwuchses sicher. Unter Profession wird das gesamte Praxissystem der Sozialen Arbeit verstanden: Sie umfasst die hier beruflich tätigen Personen ebenso wie die Orte und Institutionen und die offerierten Dienstleistungen. Die Profession zeichnet sich aus durch ihre Handlungsorientierung, es geht ihr um Veränderungen von Situationen und Personen. Professionelles Handeln zielt ab auf Wirksamkeit,