Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


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wo sie Hilfe leisten sollen. Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an die Wissensbasis einer Profession und an den Kompetenzerwerb. Professionen verfügen über ein besonderes Wissen in Bezug auf die sozialen Handlungsprobleme, sie haben eine exklusive Wissensbasis, ein systematisiertes, wissenschaftlich fundiertes (Sonder-)Wissen. Dieses bedarf spezieller Verfahren der Aneignung, d. h., es braucht akademische Ausbildungsgänge, die zumeist auch lange dauern.

      Autonomie in der Berufsausübung

      Menschen, die bei privaten, intimen Angelegenheiten Hilfe suchen bei Professionellen, sind in hohem Masse verletzbar. Deshalb muss verhindert werden, dass irgendwelche Interessensgruppen hier Einfluss nehmen könnten. Professionelle sind deshalb unabhängig von Weisungen in fachlichen Dingen, die praktische Berufsausübung geschieht in weitestgehender Autonomie. Das Ideal ist die selbständige, freiberufliche Tätigkeit. Mittel, um die Unabhängigkeit zu sichern, sind das Zeugnisverweigerungsrecht sowie eine materielle Privilegierung, welche die finanzielle Unabhängigkeit sicher stellen soll. Die Berufsausübung ist auch durch ein hohes Maß an Freiheit von Fremdkontrolle, d. h. von Beurteilungen der Leistungen von außen, gekennzeichnet. An deren Stelle tritt die Selbstkontrolle: Eine berufsständische Organisation übt eine fachliche Selbstkontrolle innerhalb der Profession aus und beschränkt die Möglichkeit, geschäftliche Eigeninteressen zu verfolgen. Dieses Recht der Profession auf Selbstkontrolle basiert auf einem impliziten Vertrag zwischen Gesellschaft und Profession.

      Berufsethische Codices

      Durch die Zuständigkeit für Probleme in sensiblen Lebensbereichen und die gemeinnützige Aufgabe ergeben sich ein spezifischer Wertbezug und eine am Gemeinwohl ausgerichtete Handlungsorientierung. Diese Bindung an zentrale gesellschaftliche Werte wird im Berufsethos verkörpert, welches die Standesorganisation (Berufsverband) auch nach außen hin offensiv artikuliert. In einer explizit artikulierten Professionsethik wird ein Kanon an kodifizierten Verhaltensregeln (code of ethics) festgelegt. Die Standesorganisation hat die Aufgabe, die Berufsausübung auch nach ethischen Standards zu überwachen. Mangelhafte Qualität der Arbeit in einem sensiblen Lebensbereich kann schwerwiegende Folgen für die Klienten haben, die abhängig sind von fachlicher Hilfe. Das wichtigste Mittel zur Vermeidung des Missbrauchs dieser Abhängigkeit ist die (Aus-)Bildung eines spezifischen professionellen Habitus: D. h., Professionelle internalisieren das Berufsethos und die zentralen professionellen Verhaltensregeln.

      Die Professionssoziologie befasst sich ausführlich mit diesen (Exklusivitäts-) Merkmalen und den unterschiedlichen Professionsmodellen. An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass die einzelnen Merkmale in den verschiedenen Professionalisierungstheorien unterschiedlich akzentuiert und kritisch untersucht werden.

      3.1.2 Soziale Arbeit – eine Profession?

      In der ersten Aufbruchsphase in den 1960er und 1970er Jahren orientierte sich die Soziale Arbeit – ähnlich wie die Bildungs- und die Pflegeberufe – an den Merkmalen des klassischen Professionsmodells. All diese Berufe erfüllen gemeinnützige Funktionen in sensiblen Lebensbereichen, in denen mangelhafte Qualität der Arbeit gravierende Folgen für die betroffenen Klientinnen haben kann. Dies begründete den Professionalisierungsbedarf dieser Berufe, insbesondere die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung. Alsbald machte sich – Mitte der 1970er Jahre – allerdings Ernüchterung breit. Denn trotz einer großen Bandbreite von Antworten in der Debatte zur Professionalisierung und Professionalisierbarkeit der Sozialen Arbeit bestand relative Einigkeit darin, dass die Soziale Arbeit gemessen an den oben beschriebenen Merkmalen noch keine Profession ist: Eine einheitliche wissenschaftliche Grundlage, ein Sonderwissensbestand fehlt weitgehend. Es ist kaum möglich, einen exklusiven Zuständigkeitsbereich der Sozialen Arbeit zu bestimmen, charakteristisch für die Soziale Arbeit ist vielmehr die enge Zusammenarbeit mit und auch Angewiesenheit auf andere Berufsgruppen. Auch die fachliche Autonomie ist weder gegeben noch erscheint sie – u. a. durch die Einbindung in bürokratische Handlungskontexte – erreichbar. In Hinblick auf materielle Privilegierung kann die Soziale Arbeit ebenfalls nicht mit den klassischen Professionen mithalten. Die berufsständische Selbstorganisation steckt in den Kinderschuhen – nur ein kleiner Teil der Berufsangehörigen gehört einer Berufsorganisation an – und eine professionelle Kontrollinstanz fehlt. Gleichzeitig formierte sich auch Widerstand gegen die ›Expertisierung‹ der Sozialen Arbeit, die in der Forderung nach ›Deprofessionalisierung‹ mündeten (vgl. Gildemeister 1992:208).

      Positionen

      All diese Befunde führten zunächst zu einer tendenziell negativen Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeit der Sozialen Arbeit von einem Beruf zur Profession. Dabei lassen sich verschiedenste Positionen unterscheiden, die von den Polen ›unerwünscht‹ bis hin zu ›realisierbar‹ reichen (vgl. Galuske 2013:127 ff.). Drei wichtige sollen im Folgenden skizziert werden.

      Die unvollständige Professionalisierung der Sozialen Arbeit wird als Zwischenphase in einem Entwicklungsprozess gesehen. Beim Sozialarbeitsberuf handle es sich um einen »halb professionalisierten Beruf«, konstatierte beispielsweise Lingesleben (1973:53 zit. in Galuske 2013:127), der sich auf dem Weg zur Profession befinde.

      Eine andere Position geht davon aus, dass Soziale Arbeit bestimmte Merkmale des klassischen Professionsmodells gar nie wird erfüllen können (aufgrund der erwähnten Bedingungen wie fehlende Autonomie, fehlende interne Standeskontrolle etc.). Deshalb könne die Soziale Arbeit lediglich den Status einer ›Semiprofession‹, d. h. einer ›halben Profession‹ oder ›Quasi-Profession‹ beanspruchen. Das Konzept der ›Semi-Profession‹ stammt aus dem US-amerikanischen Diskurs und bezeichnet Berufe, die nur teilweise und unvollkommen eine eigene Kompetenz gegenüber Laien wie auch der Gesellschaft durchsetzen können, die also kein klares gesellschaftliches Mandat für Probleme in einem spezifischen Lebensbereich haben. Daraus resultierten eine diffuse Allzuständigkeit und ein geringes Maß an Spezialisierung (vgl. Dewe/Otto 2011:1138 ff.).

      In einem Aufsatz von 1992 bezeichnete Fritz Schütze die Soziale Arbeit als ›bescheidene Profession‹. Im Bezugsrahmen der interaktionistischen Professionstheorie argumentiert er, dass die Soziale Arbeit zwar nicht über eine monopolisierte, exklusive Wissensbasis verfügt und nicht den Grad an Autonomie wie die klassischen Professionen erworben hat, dass sie jedoch ein gesellschaftliches Mandat für einen besonderen Dienst an Klienten hat sowie eine Lizenz, für die anbefohlenen Menschen Problembearbeitungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen, die zwar Hilfe zu bringen versprechen, zugleich aber in die Lebenssphäre von Betroffenen eindringen und von diesen selbst als unangenehm oder bedrohlich empfunden und u. U. auch abgelehnt werden können (vgl. Schütze 1992:142 f.). Dieser Widerspruch sei eine von vielen »universalen Systemschwierigkeiten und Paradoxien des professionellen Handelns«, die jede Profession grundsätzlich auszeichnen und die in der Sozialen Arbeit besonders prägnant zutage treten (ebd.:144).

      Wurzeln eines eigenständigen Professionalitätsmodells

      Seit den 1980er Jahren wurde zunehmend auch die Professionalisierungsdebatte selbst hinterfragt, weil sie sich viel zu stark am klassischen Professionsmodell ausrichte (vgl. z. B. Gildemeister 1992:208). So kritisiert beispielsweise Müller (2012a:959 ff.) die Professionalitätsansprüche, die an die Soziale Arbeit gestellt werden und verweist darauf, dass sich in der Geschichte der Sozialen Arbeit Wurzeln finden lassen für ein Professionalitätsmodell Sozialer Arbeit, das unabhängig von den Exklusivitätsmerkmalen der klassischen Professionen konzipiert ist. Er verortet den Beginn der Professionalisierung der Sozialen Arbeit bereits bei der Generation der Gründerinnen beruflicher Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Dabei unterscheidet er zwei Linien der Begründung eines eigenständigen Professionalitätsanspruchs und -modells, wovon sich eine auf die Methodisierung, die andere auf die Institutionalisierung der Sozialen Arbeit bezieht.

      Alice Salomon steht mit ihrem 1926 veröffentlichten Buch ›Soziale Diagnose‹ für die Begründungslinie der Methodisierung. Sie stellte den neuen Beruf der Sozialarbeiterin neben die klassischen Professionen (Pfarrer, Ärztin, Richter) und begründete dies mit der Entwicklung einer eigenen Methodik der Diagnose