Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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(um eine banale Redensart zu gebrauchen) mir häufig gegen den Strich geht, den ich jedoch niemals zu achten und – das kann ich getrost hinzufügen – gehörig zu fürchten aufgehört habe. Soll ich dir seinen Namen nennen?«

      »Der Lord Oberrichter, Lord Hermiston«, sagte Archie fast heiter; und das Paar tat einen ansehnlichen Schluck.

      Nach diesen Gefühlsergüssen war es etwas schwierig, die Unterhaltung wieder in natürlichen Fluß zu bringen. Aber der Richter füllte die Pausen mit freundlichen Blicken aus, zog eine sonst nur selten gesehene Schnupftabakdose hervor und wollte endlich, da er bereits an weiteren gesellschaftlichen Erfolgen verzweifelte, ein Buch herunterholen, um daraus irgendeine Lieblingsstelle vorzulesen, als an der Haustür jähes Klingelläuten erscholl und Carstairs Lord Glenkindie, auf dem Heimwege von einem mitternächtlichen Souper, ins Zimmer führte. Glenkindie bildete zu keiner Zeit eine reizvolle Erscheinung, da er plump und untersetzt war, mit einem grobsinnlichen Ausdruck gleich dem eines Bären. In diesem Augenblick jedoch, erhitzt von übermäßigem Trinken, mit gerötetem Gesicht und schwimmenden Augen, bot er einen überwältigenden Gegensatz zu der hohen, blassen, königlichen Gestalt Glenalmonds. Ein Heer wirrer Gedanken stürmte auf Archie ein – Scham, daß dieser einer von seines Vaters Busenfreunden wäre; Stolz auf die Tatsache, daß Hermiston zum mindesten seinen Alkohol vertrüge, und endlich Wut, hier vor sich den Mann zu sehen, der ihn verraten hatte. Zuletzt schwand jedoch auch dieses Empfinden, und er wartete in Ruhe seine Gelegenheit ab.

      Der angetrunkene Würdenträger erging sich sogleich in weitschweifigen Erklärungen. Da sei gestern ein noch unaufgeklärter Punkt gewesen, mit dem er absolut nicht zu Rande kommen könne, und da er noch Licht im Hause erblickt, habe er einen Augenblick vorgesprochen, um bei einem Glase Porter – in diesem Moment bemerkte er die Anwesenheit eines Dritten. Archie sah das Fischmaul und die feisten Lippen Glenkindies sich eine Sekunde lang zu gaffendem Erstaunen öffnen, dann funkelte Erkennen in des anderen Augen.

      »Wer ist denn das? Was? Ist’s möglich, unser Don Quichote? Und wie geht’s Ihnen eigentlich? Und wie geht’s Ihrem Vater? Und was sind das für Dinge, die wir von Ihnen hören müssen? Es scheint, Sie sind ja ein ganz Radikaler, nach allem, was die Leute behaupten. Kein König, keine Gerichte, und der Ekel steigt Ihnen vor den vollziehenden Beamten hoch, ehrenwerte Leute, die sie sind? Jessas, jessas! Liebe Zeit, liebe Zeit! Obendrein als Ihres Vaters Sohn! Höchst lächerlich!«

      Archie war hochgesprungen, ein wenig erhitzt über die Wiederkehr jener unglücklichen Redewendung, aber im übrigen vollständig beherrscht. »Mylord – und Sie, Lord Glenalmond, mein lieber Freund«, hub er an, »ich ergreife diese günstige Gelegenheit, mein Geständnis abzulegen und Sie beide gleichzeitig um Entschuldigung zu bitten.«

      »Wie? Was? Was soll das heißen? Geständnis? Das wird eine gerichtliche Angelegenheit, mein junger Freund«, rief der scherzhafte Glenkindie. »Und ich habe Angst, Sie anzuhören. Wenn Sie mich nun bekehrten!«

      »Mit Verlaub, Mylord«, lautete Archies Erwiderung, »es ist mir mit dem, was ich zu sagen habe, sehr ernst; vielleicht hätten Eure Lordschaft die Güte, Eure Scherze bis nach meinem Fortgehen aufzusparen?«

      »Vergessen Sie nicht, ich will nichts gegen die vollziehenden Beamten hören!« fiel der unverbesserliche Glenkindie ein.

      Doch Archie fuhr fort, als hätte jener nicht gesprochen.

      »Ich habe sowohl gestern wie heute eine Rolle gespielt, für die ich als einzige Entschuldigung meine Jugend anführen kann. Ich war so töricht, zu einer Hinrichtung zu gehen; es scheint, ich habe vor dem Galgen eine Szene gemacht; damit nicht zufrieden, redete ich noch am nämlichen Abend in einer studentischen Vereinigung gegen die Todesstrafe. Das ist das ganze Ausmaß meiner Verfehlungen, und falls mehr gegen mich vorgebracht wird, kann ich nur meine Unschuld beteuern. Ich habe meinem Vater bereits mein Bedauern ausgesprochen; er ist so gütig, mein Betragen zu übersehen – gewissermaßen und unter der Bedingung, daß ich mein juristisches Studium aufgebe …«

       Winter auf den Mooren

       Inhaltsverzeichnis

       I. In Hermiston

      Die Straße nach Hermiston führt auf weite Strecken durch das Tal eines Flüßchens, ein Lieblingsplatz der Angler und Mücken, voller Wasserfälle und Teiche, und von Weiden sowie einem natürlichen Birkengehölz beschattet. Hier und dort in großen Abständen zweigt ein Seitenweg ab, und man kann über irgendeiner Hügelfalte ein ödes Bauernhaus erspähen; größtenteils jedoch ist die Straße menschenleer und das Hügelland unbesiedelt. Die Gemeinde Hermiston ist eine der am dünnsten bevölkerten in Schottland; und ist man erst bis zu ihr vorgedrungen, wundert man sich kaum noch über die beispiellose Kleinheit der Kirche, eines zwergenhaften, uralten Baues mit etwa fünfzig Sitzplätzen, der zwischen einigen vierzig Gräbern auf einem grasbewachsenen Platz neben dem Bache steht. Das ganz in der Nähe gelegene Pfarrhaus ist, obwohl kaum größer als ein Bauernhaus, von der Farbenpracht eines Ziergartens und von den Strohdächern zahlreicher Bienenkörbe umgeben; und die ganze Ansiedlung – Kirche und Pfarrhaus, Garten und Friedhof – findet Schutz und einen Hafen in einem Hain von Ebereschen. Dort ruht sie jahraus, jahrein in einer großen Stille, unterbrochen nur von dem Summen der Bienen, dem Plätschern des Baches und den sonntäglichen Kirchenglocken. Eine Meile jenseits der Kirche entwindet sich die Straße über eine steile Anhöhe dem Tal und führt den Reisenden bald darauf nach dem Herrensitz Hermiston, wo sie in dem rückwärts gelegenen Hof vor der Wagenremise mündet. Jenseits und in der Runde dehnt sich das weite Feld der Hügel; Kiebitz, Moorhuhn und Lerche bevölkern es mit ihrem Schrei; der Wind bläst dort wie in einer Schiffstakelung, hart und kalt und rein; und die Hügelkämme drängen sich dicht aneinander gleich einer Viehherde bei Sonnenuntergang.

      Das Haus war sechzig Jahre alt, unansehnlich und behaglich; links lagen der Wirtschaftshof und ein Küchengarten mit einer Spaliermauer, an der kleine, harte, grüne Birnen gegen Ende Oktober ihre Reife erreichten.

      Das zum Hause gehörende Grundstück (wer hätte den Mut, es einen Park zu nennen?) war ziemlich ausgedehnt, aber sehr schlecht erhalten; Heide-und Moorgeflügel hatten die trennende Mauer durchbrochen und mehrten sich und nisteten darinnen; es hätte einem Landschaftsgärtner viel Kopfzerbrechen verursacht, anzugeben, wo das Grundstück endete und die ungepflegte Natur begönne. Mylord hatte sich durch Herrn Sheriff Scott zu ziemlich weitläufigen Anpflanzungen bewegen lassen; viele Hektar Landes waren daher mit jungen Tannen bestanden, und die kleinen, grünen Federbesen verliehen der Heide einen falschen Maßstab und ein seltsames, spielzeugähnliches Aussehen. Eine starke, würzige Süße von den Torfmooren erfüllte die Luft, und zu allen Jahreszeiten durchzitterte sie die unendliche Melancholie pfeifender Vogelstimmen. In seiner hohen, ungeschützten Lage war es ein kaltes, rauhes Haus, von Wetterstürzen gewaschen, von unermüdlichen Regengüssen durchnäßt, welche die Dachrinnen Wasser speien ließen, gezaust, geprellt von sämtlichen Winden des Himmels, und die Aussicht war oft schwarz von Gewittersturm und weiß von dem Schnee des Winters. Aber das Haus war wind-und wetterfest; die Kamine waren stets freundlich erhellt, die Räume von glühenden Torffeuern durchwärmt, und Archie konnte an den Abenden, wenn er das Feuer aus dem erdigen Stoff erblühen sah und beobachtete, wie der Rauch sich den Schornstein hinaufschlängelte, tief von den Genüssen der Behaglichkeit trinken, während draußen auf der Heide der Wind trompetete.

      So einsam der Ort auch war, Archie verlangte es nicht nach Nachbarn. Allabendlich konnte er, wenn der Sinn ihm danach stand, sich ins Pfarrhaus hinunter begeben. Dort trank er dann seinen Toddy mit dem Pastor – einem »spinneten« uralten Herrn, hochgewachsen, hager, aber noch immer rüstig, obwohl das Alter ihm die Knie gelockert hatte und seine Stimme sich fortwährend in kindischen, zitternden Fisteltönen überschlug – sowie mit dessen hochgeborener Frau Gemahlin, einer beleibten, stattlichen Dame, die außer guten Abend und guten Tag noch allerlei für sich zu sagen wußte. Wüste, verdrehte, junge Krautjunker aus der Nachbarschaft erwiesen ihm die Ehre eines Besuches. Der junge Hay von Romanes ritt auf seinem Stutzohrpony herüber; der junge Pringle von Drumanno erschien