Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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drei Uhr morgens in den Sattel zu schwingen; dort saß er schwankend (während Archie ihm mit der Lampe von der obersten Treppenstufe leuchtete), stieß ein vollkommen sinnloses Halali aus und verschwand dann plötzlich gespenstergleich aus dem kleinen Lichtkreise. Ein, zwei Minuten lang verkündete das Rasseln der Pferdehufe seine halsbrecherische Flucht, bis der dazwischenliegende steile Hügel es verschluckte; und wieder ertönte nach langer Pause geisterhaftes Rossegestampf weit unten im Tal von Hermiston und verriet, daß zum mindesten das Pferd, wenn nicht der Reiter, sich immer noch auf dem Heimwege befände.

      Außerdem gab es zu Crossmichael im Wirtshaus »Zu den gekreuzten Schlüsseln« noch einen Dienstagklub, allwo sich die jungen Herren aus der Nachbarschaft zusammenfanden und sich gegen einen Prozentsatz der eigentlichen Kosten volltranken, so daß zum Schluß derjenige der Gewinner war, der am meisten getrunken hatte. Archie fand keinen großen Geschmack an dieser Zerstreuung, aber er nahm sie hin, gleich einer gottgewollten Pflicht, beteiligte sich an ihr mit anständiger Regelmäßigkeit, stand seinen Mann beim Zechen, hielt angesichts der lokalen Witze den Kopf hoch und gelangte auch glücklich wieder nach Hause, wo er zu Kirsties und der Dienstmagd Bewunderung sogar noch imstande war, sein Pferd einzustellen. Er dinierte zu Driffels und soupierte auf Windielaws. Er besuchte den Silvesterball in Huntsfield, wurde mit offenen Armen aufgenommen und ritt hernach in Gesellschaft Lord Miurfells die Fuchsjagden mit, Lord Miurfells, eines waschechten Lords des Parlaments, bei dessen Namen meine Feder in diesem Buche, darin soviel von Würdenträgern des Gerichts die Rede ist, von Rechts wegen mit Ehrfurcht verweilen müßte. Jedoch auch hier erwartete ihn das gleiche Los wie in Edinburg. Einsamkeit ist eine Gewohnheit, die schwer zu brechen ist, und eine gewisse, ihm gänzlich unbewußte Strenge sowie Stolz, der sich in den Augen der anderen wie Arroganz ausnahm und doch vornehmlich Schüchternheit war, entmutigten und kränkten seine neuen Gefährten. Hay wiederholte nur zweimal den Besuch, Pringle überhaupt nicht, und es kam eine Zeit, in der Archie selbst den Dienstagklub mied und in allen Dingen zu dem wurde, was er dem Namen nach von Anfang an gewesen – zum Einsiedler von Hermiston. Zwischen der hochmütigen Miß Pringle von Drumanno und der hochtrabenden Miß Marshall of the Mains kam es, einem Gerücht zufolge, am Tage nach dem Ball zu einer Meinungsverschiedenheit – seinetwegen –; er ahnte nichts davon, wie sollte er auch auf den Gedanken kommen, daß diese bezaubernden Damen ihn überhaupt bemerkt hätten? Auf dem Balle selbst redete ihn Mylord Miurfells Tochter, Lady Flora, zweimal an, das zweitemal gleichsam mit einer leisen Bitte in ihrer Stimme, die ihr das Blut in die Wangen trieb und die Worte, gleich einer flüchtigen Schönheit in der Musik, in Archies Ohren nachzittern ließ. Er wich zurück, das Herz in Flammen, entschuldigte sich kalt, wenn auch nicht ohne Anmut, und mußte zusehen, als sie bald darauf in den Armen des jungen Drumanno – des Gecken mit dem leeren Lachen – an ihm vorübertanzte. Der Anblick ärgerte ihn, wütend sagte er zu sich selbst, daß es in dieser Welt einem Drumanno beschieden sei, zu gefallen, während er neidisch beiseite stehen müßte. Er schien, offenbar mit Recht, von der Gunst einer derartigen Gesellschaft ausgeschlossen – schien Lustbarkeit und Freude zu töten, wohin immer er auch kam, empfand sogleich heftig die Wunde, ließ von allem ab und zog sich in die Einsamkeit zurück. Hätte er nur die Figur, die er machte, erkannt, den Eindruck, den er in jenen schönen Augen und empfänglichen Herzen hinterließ: hätte er nur geahnt, daß der Einsiedler von Hermiston, jung, anmutig, gewandt im Reden, aber immer kalt, die Mädchen der Grafschaft mit dem Charme des Byronismus berührte zu einer Zeit, da der Byronismus noch neu war – sein Schicksal hätte sich selbst in dieser elften Stunde – vielleicht noch mildern lassen. Das darf zwar als Frage aufgeworfen, muß aber, meiner Ansicht nach, bezweifelt werden. Es stand in seinem Horoskop, daß er vor allen Schmerzen, ja selbst vor der Möglichkeit des Schmerzes, und sei es auf Kosten einer Gelegenheit zur Freude, zurückscheute; daß er ein schier römisches Pflichtgefühl sowie einen instinktiven Adel des Wesens und des Geschmacks besaß, kurz, daß er der Sohn Adam Weirs und Johanna Rutherfords war.

       II. Kirstie

      Kirstie war jetzt über fünfzig und hätte einem Bildhauer Modell sitzen können. Langgliedrig, immer noch leicht von Fuß, vollbrüstig und mit breiten Hüften, ohne einen einzigen Silberfaden in ihrem Goldhaar, war sie von den Jahren verschönt und geliebkost worden. Kraft einer üppigen, starken Mütterlichkeit schien sie einem Helden zur Braut und zur Mutter seiner Kinder bestimmt; und siehe: durch eine besondere Tücke des Geschicks war sie einsam durch ihre Jugend geschritten und näherte sich jetzt, eine kinderlose Frau, den Grenzen des Alters. Alle zärtlichen Hoffnungen, die sie bei ihrer Geburt empfangen, hatten Zeit und Enttäuschungen in unfruchtbare Arbeitswut und in eine krankhafte Sucht, sich einzumischen, verwandelt. Sie trug ihre verdrängten Lebensenergien in ihre Hausarbeit hinein: sie wusch die Fußböden mit ihrem leeren Herzen. Konnte sie nicht mit Liebe eines einzigen Menschen Liebe gewinnen, so mußte sie wenigstens alle durch ihre Launen beherrschen. Hitzig, wortreich und jähzornig, lebte sie mit der Mehrzahl ihrer Nachbarn in unentschiedenem Streit und mit den übrigen in nicht viel mehr als bewaffneter Neutralität. Die Inspektorsfrau war »hochnäsig« gewesen; die Schwester des Gärtners, die ihm die Wirtschaft führte, »frech«, und sie schrieb durchschnittlich einmal im Jahr an Lord Hermiston mit der gebieterischen Forderung, die Missetäter zu entlassen, wobei sie ihr Verlangen durch einen Überfluß an Beweisen begründete. Denn man darf beileibe nicht annehmen, daß der Streit sich etwa auf die Ehefrau beschränkte, ohne den Mann einzubeziehen – oder daß Kirstie es bei des Gärtners Schwester bewenden ließ und nicht sehr bald den Gärtner selbst in die Fehde verwickelte. Das Ergebnis all dieser kleinlichen Zänkereien und heftigen Reden war, daß sie sich (ähnlich dem Leuchtturmwächter auf seinem Turm) gleichsam von den Tröstungen menschlichen Verkehrs ausgeschlossen sah. Die einzige Ausnahme bildete ihre eigene schwer arbeitende Hausmagd, die als junges Ding, auf Gnade und Ungnade ihr ausgeliefert, sämtliche Launen der wetterwendischen Herrin ohne Klage über sich ergehen lassen mußte, bereit, Ohrfeigen wie Liebkosungen zu empfangen, so wie die jeweilige Stimmung es erheischte. Und Kirstie in dem warmen Spätherbst ihres Herzens, das sich nur widerwillig dem Alter unterwarf, sandten die Götter den zweifelhaften Segen von Archies Gegenwart. Sie hatte ihn von der Wiege her gekannt, hatte seine Ungezogenheiten weggestreichelt, aber sie war ihm seit seinem zwölften Lebensjahr und seiner letzten schweren Krankheit nicht wieder begegnet; daher fühlte sie sich jetzt angesichts dieses großen, schlanken, aristokratischen und leicht melancholischen jungen Herrn von zwanzig überrumpelt wie von einer neuen und unerwarteten Bekanntschaft. Er war »der junge Hermiston«, der »Gutsherr selbst«; er trug eine entschiedene Überlegenheit zur Schau; ein einziger kalter, gerader Blick seiner dunklen Augen schlug gleich zu Anbeginn der Frau cholerisches Temperament in Banden und schloß auf immer die Möglichkeit eines Streites aus. Er war neu und erregte daher ihre Neugier; er war zurückhaltend und hielt diese ständig wach. Und endlich war er dunkel und sie blond, er männlich und sie weiblich: der unversiegliche Quell allen Interesses.

      Ihr Gefühl für ihn hatte etwas von der sklavischen Treue einer Clansmännin, der Heldenverehrung einer unverheirateten Tante und der blinden Anbetung, die man einem Götzen schuldet. Er hätte alles von ihr verlangen können, Lächerliches und Tragisches, sie würde es für ihn getan haben und wäre glücklich dabei gewesen. Ihre Leidenschaft – denn es war nichts Geringeres als das – erfüllte sie vom Scheitel bis zur Sohle. Es war für sie ein wollüstiger Genuß, sein Bett zu machen, in seiner Abwesenheit seine Lampe anzuzünden, ihm die nassen Stiefel auszuziehen oder ihm nach seiner Rückkehr bei Tische aufzuwarten. Von einem jungen Manne, der also moralisch und physisch von dem Gedanken an eine Frau besessen wäre, hätte man mit Recht behauptet, er sei bis über beide Ohren verliebt, und er würde sich auch dementsprechend benommen haben. Kirstie jedoch – obwohl ihr Herz bei dem Klang seiner Schritte höher schlug, obwohl, wenn er ihr auf die Schulter klopfte, sie den ganzen Tag über strahlte –, Kirstie hatte keine Hoffnung und keinen anderen Gedanken als die Gegenwart und deren Fortsetzung bis in alle Ewigkeit. Bis an ihr Lebensende wünschte sie sich nichts Besseres, als mit Entzücken ihrem Idol dienen zu können und zum Lohne dafür (sagen wir, zweimal im Monat) auf die Schulter getätschelt zu werden.

      Ich sagte, daß ihr Herz höher schlüge – so lautet die gebräuchliche Redensart. Richtiger wäre es, zu sagen, daß, wenn sie sich allein in irgendeinem Zimmer befand und auf dem Korridor seinen Schritt hörte, etwas langsam in ihrem Busen höher stieg, bis ihr der Atem stockte, um dann ebenso langsam wieder in