Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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das Weib, deren Stimme sich zu einer Art beschwörendem Sing-Sang erhoben hatte, wandte sich mit einem Ruck und war verschwunden. Ich stand, wo sie mich verlassen hatte und die Haare standen mir zu Berge. In jenen Tagen glaubten die Leute noch an Hexen und zitterten vor einem Fluch. Und dieser, der so unerwartet niedergedonnert war, ein zufälliges Omen, mich warnend, an meinem Vorhaben festzuhalten, ließ mir das Mark in den Knochen erstarren.

      Ich setzte mich hin und starrte nach dem Hause der Shaws. Je länger ich hinsah, um so lieblicher erschien mir die ganze Gegend. Rings umher die Hagedornbüsche in voller Blüte, die Wiesen gesprenkelt mit weidenden Schafen, ein Zug Krähen hoch oben in der Luft, alle Anzeichen eines fruchtbaren Bodens und freundlichen Klimas. Doch diese Baracke inmitten all dieses Friedens wollte zu meinen Erwartungen so gar nicht passen.

      Es gingen wohl Bauersleute vorbei, als ich da so am Rande des Grabens saß, aber es fiel mir nicht ein, ihnen einen guten Abend zu wünschen. Endlich ging die Sonne unter und dann sah ich, sich scharf gegen den gelben Himmel abhebend, eine Rauchsäule aufsteigen, nicht viel dicker schien es mir als der Rauch einer Kerze. Aber immerhin sie war doch da und bedeutete Feuer und Wärme und Essen und irgend einen lebendigen Bewohner, der es angezündet haben mußte. Und das tröstete mein Herz ungemein – mehr, sicherlich, als eine ganze Flasche voll von jenem Maiglöckchenwasser, von dem Herr Campbell so viel Aufhebens machte.

      Und so setzte ich mich in Bewegung und folgte einer schwachen Spur im Grase, die in meiner Richtung führte. Sie war wirklich sehr schwach, als einziger Weg zu einem bewohnten Ort, aber ich sah keine andere. Endlich brachte sie mich zu einigen aufgeschlichteten Steinen mit einer ungedeckten Hütte daneben und einer Menge dürrer Äste darauf. Zweifellos hätte das wohl einmal ein Haupteingang werden sollen, war aber nie vollendet worden. Statt eines Gittertores aus getriebenem Eisen waren einige mit Stroh umwickelte Zaunpfähle im Boden befestigt, und da es keine Gartenmauer gab und kein Anzeichen einer Allee, folgte ich einem Pfad, der rechts an den Pfählen vorbei auf das Haus zu führte.

      Je näher ich kam, um so trostloser sah es aus. Es erschien wie der eine Flügel eines Hauses, das niemals beendet worden war. Was im Innern hätte sein sollen, stand frei sichtbar im oberen Stockwerk und hob sich mit Stufen und Stiegen eines unvollendeten Baues vom Himmel ab. Viele der Fenster waren ohne Scheiben und die Fledermäuse flogen ein und aus wie Tauben in einen Taubenschlag.

      Als ich nahe gekommen war, begann es langsam Nacht zu werden. In dreien der unteren Fenster, die ziemlich hoch oben waren und klein und fest vergittert, fing das flackernde Licht eines kleinen Feuers zu leuchten an.

      War dies das Schloß, zu dem ich gewandert war? Waren es diese Mauern, hinter denen ich neue Freunde und ein großes Vermögen suchen sollte? Nein, in meines Vaters Hause in Essendean pflegte das Feuer und die hellen Lichter eine Meile weit zu leuchten und die Tür sich beim ersten Pochen eines jeden Bettlers zu öffnen.

      Ich ging vorsichtig weiter und scharf hinhorchend, hörte ich jemand mit Schlüsseln klappern und ein schwaches trocknes Husten, das stoßweise kam; aber es war kein Ton einer menschlichen Stimme zu hören und kein Hund bellte.

      Die Tür war, so gut ich es im Finstern sehen konnte, aus starkem Holz, ganz mit Nägeln beschlagen und ich zog schwachen Mutes meine Hand unterm Rocke hervor, um zu klopfen. Dann stand ich und wartete. Im Hause war es totenstill geworden. Eine ganze Minute verging und nichts regte sich, nur die Fledermäuse oben. Ich klopfte wieder und horchte wieder. Jetzt waren meine Ohren schon so sehr an die Stille gewöhnt, daß ich das Ticken der Uhr drinnen vernahm, wie sie langsam die Sekunden zählte. Aber wer auch immer in diesem Hause sein mochte, er verhielt sich totenstill und mußte sogar seinen Atem anhalten.

      Ich war im Zweifel, ob ich davonlaufen sollte; aber der Zorn behielt die Oberhand und ich fing statt dessen an, mit Fäusten und Füßen gegen die Tür zu schlagen und laut nach Herrn Balfour zu schreien. Ich war in vollem Zug, als ich das Husten gerade über meinem Kopfe vernahm. Ich fuhr zurück, sah hinauf und erblickte den Kopf eines Mannes in einer großen Nachtmütze und die Mündung eines Gewehres in einem der Fenster des ersten Stockwerkes.

      »S' ist geladen«, sagte die Stimme.

      »Ich bin mit einem Brief hergekommen«, sagte ich, »für Herrn Ebenezer Balfour von Shaws. Ist er hier?«

      »Von wem ist er?« fragte der Mann mit der Flinte.

      »Das ist weder hier noch dort«, sagte ich, denn ich wurde ganz wütend.

      »Gut,« war die Antwort, »du kannst ihn auf die Türschwelle legen und dich fortscheren.«

      »Das werde ich nicht tun«, rief ich. »Ich werde ihn Herrn Balfour selbst übergeben, so wie es mir aufgetragen worden war. Es ist ein Empfehlungsbrief.«

      »Was ist es?« rief die Stimme scharf.

      Ich wiederholte, was ich gesagt hatte.

      »Wer bist denn du selbst?« war die nächste Frage nach einer beträchtlichen Pause.

       »Ich schäme mich meines Namens nicht,« sagte ich, »man nennt mich David Balfour.«

      Daraufhin mußte der Mann wohl zurückgefahren sein, denn ich hörte das Gewehr am Fensterbrett rasseln; und erst nach einer ziemlich langen Pause und mit merkwürdig veränderter Stimme folgte die nächste Frage:

      »Ist dein Vater tot?«

      Ich war so überrascht, daß mir die Stimme versagte. Ich stand still und starrte ihn an.

      »Ja,« hub der Mann wieder an, »er wird wohl tot sein, zweifellos, und das führt dich auch her und darum klopfst du an meine Tür.« Wieder Pause und dann verächtlich: »Na gut, junger Mann,« sagte er, »ich will dich herein lassen.« Und er verschwand vom Fenster.

      Kapitel III

       Ich mache die Bekanntschaft meines Onkels

       Inhaltsverzeichnis

      Gleich darauf hörte man ein schreckliches Rasseln von Ketten und Riegeln, die Tür wurde vorsichtig geöffnet und, sobald ich hineingegangen war, gleich wieder hinter mir geschlossen.

      »Geh in die Küche, aber rühr' dort nichts an«, sagte die Stimme, und während der Hausbewohner daran ging, die Verschanzung der Tür wieder in Ordnung zu bringen, tastete ich meinen Weg vorwärts und trat in die Küche.

      Das Feuer brannte nun hübsch hoch und zeigte mir den kahlsten Raum, den ich nur jemals in meinem Leben gesehen hatte, glaub' ich. Ein halbes Dutzend Schüsseln standen auf dem Sims; der Tisch war für das Abendessen gedeckt: ein Teller Suppe, ein Holzlöffel und ein Becher dünnen Bieres. Außer den Dingen, die ich aufgezählt habe, war auch nicht ein einziger Gegenstand in diesem großen, steinüberdeckten, leeren Raum, nur fest versperrte Kasten längs der Wände und ein Eckschrank mit einem großen Vorhängeschloß.

      Endlich, als die letzte Kette wieder vorgehängt war, kam mir der Mann nach. Er war ein schmächtiger, gebückter, schmalschultriger Kerl von fahler Gesichtsfarbe, und sein Alter mochte so zwischen fünfzig und sechzig liegen. Seine Nachtmütze war aus Flanell und ebenso sein Schlafrock, den er statt eines Rockes und einer Weste über seinem zerrissenen Hemd trug. Er war schon lange nicht rasiert, aber was mich am meisten abschreckte, ja sogar entsetzte, war, daß er die Augen weder von mir abwandte, noch mir gerade ins Gesicht sah. Was er nach Geburt und Stand sein mochte, war mehr als ich ergründen konnte; am ehesten glich er noch einem alten, unbrauchbaren Diener, dem man gegen ein Kostgeld die Aufsicht über dieses weitläufige Gebäude übergeben hatte.

      »Bist du müde gelaufen«, fragte er bis etwa zur Höhe meiner Knie schielend. »Kannst den Tropfen Suppen da essen.« Ich sagte, ich fürchtete, es wäre sein eigenes Essen.

      »Oh,« sagte er, »ich kann es leicht entbehren. Nur das Bier will ich nehmen, es lindert meinen Husten.« Er trank den Becher halb aus, wobei er mich während des Trinkens stets im Auge behielt und plötzlich streckte er die Hand aus und sagte: »Zeig' mir den Brief.«

      Ich sagte ihm, daß der Brief für Herrn Balfour