hatte. Aber ich fing an zu glauben, daß mein Onkel meine Stellung zu gering einschätzte und da ich mich mit ihm allein befand, wollte ich nicht, daß er mich für ganz hilflos hielt.
Er schien dies wohl zu überlegen und dann, »Davie, mein Junge,« sagte er, »du hast das Richtige getan, als du zu deinem Onkel Ebenezer kamst. Ich habe viel Sinn für die Familie und will dir Gutes tun. Aber ich will mirs noch ein wenig überlegen, wozu du wohl am besten taugst – ob zu Gericht oder zum Prediger oder vielleicht ins Heer – Buben wollen immer raufen; ich möchte nicht, daß die Balfours von einem gewöhnlichen Hochländer Campbell beschämt werden und bitte dich, vorläufig den Mund zu halten. Keine Briefe, keine Botschaften, kein Wort zu irgendjemand, oder sonst – dort ist die Tür!«
»Onkel Ebenezer,« sagte ich, »ich habe keinen Grund anzunehmen, daß du mir anders als wohl willst. Trotz alledem möchte ich, daß du weißt, auch ich habe meinen Stolz. Ich bin nicht aus freiem Willen hergekommen um dich aufzusuchen, und wenn du mir noch einmal die Tür weist, so werde ich dich beim Wort nehmen.«
Er geriet anscheinend ganz außer sich. »Ta-ta-ta,« sagte er, »nimm dich in Acht, Mensch! – Nimm dich in Acht! Bleib ein oder zwei Tage hier. Ich bin kein Zauberer, daß ich dein Glück im Suppenteller finden kann! Laß mir doch ein oder zwei Tage Zeit und sag' niemandem was; ich werde schon, so sicher wie nur etwas, das Richtige für dich finden.«
»Also gut,« sagte ich, »dann wollen wir nicht mehr davon sprechen. Wenn du mir helfen willst, dann werde ich sicherlich sehr froh sein und dir gewiß allen Dank wissen.«
Es schien mir (zu früh, muß ich wohl sagen), daß ich die Oberhand über meinen Onkel gewann und ich sagte gleich, daß mein Bettzeug gelüftet werden müsse; denn nichts könnte mich dazu bringen, in einem solchen Kellerloch zu schlafen.
»Ist das mein Haus oder deins?« sagte er mit seiner schrillen Stimme und dann brach er plötzlich ab. »Na, na,« sagte er, »ich hab's nicht so gemeint. Was mein ist, ist dein, Davie, mein Junge, und was dein ist, ist mein. Blut ist stärker als Wasser und es ist keiner außer dir und mir, der den Namen trägt.« Und dann faselte er weiter über die Familie und ihre einstige Größe und seinen Vater, der das Haus vergrößern wollte, und sich selbst, der den Bau als sündhafte Verschwendung eingestellt habe, und das brachte mich auf den Gedanken, ihm Jennet Cloustons Botschaft auszurichten.
»Die Vettel!« rief er, »zwölfhundertundneunzehn – das ist ebensoviel als Tage verstrichen sind, seitdem ich sie ausgepfändet habe. Gott, David, ich muß sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, früher werde ich keine Ruhe haben von ihr! Eine Hexe – eine ausgesprochene Hexe! Ich geh' sofort zu Gericht.«
Und mit diesen Worten öffnete er einen Schrank, nahm einen alten, gut erhaltenen blauen Rock samt Weste heraus und einen leidlich guten Biberhut, beides ohne Borten. Er zog schnell alles irgendwie an, nahm einen Stock aus dem Kasten, sperrte alles wieder zu und wollte eben hinausgehen, als ihn ein Gedanke zurückhielt.
»Ich kann dich nicht allein im Hause lassen,« sagte er, »ich muß dich aussperren.«
Das Blut stieg mir zu Kopf. »Wenn du mich aussperrst, hast du mich zum letztenmal im Guten gesehen.«
Er wurde sehr blaß und begann an seiner Oberlippe zu saugen. »Das ist nicht die Art,« sagte er und sah boshaft in eine Ecke auf den Boden, »... das ist nicht die Art, um meine Gunst zu gewinnen, David.«
»Herr,« sagte ich, »mit aller schuldigen Achtung vor Eurem Alter und unserem gemeinsamen Blut ist mir Eure Gunst keinen Pfennig wert. Ich wurde mit einiger Selbstachtung erzogen; und wärt ihr auch zehnmal mehr als alle Onkels und die ganze Familie, die ich auf der Welt besitze, möcht ich Eure Liebe nicht um solchen Preis erwerben.«
Onkel Ebenezer ging und sah zum Fenster hinaus. Ich sah, wie er zitterte und zuckte, wie in Krämpfen. Aber als er sich umwandte, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht.
»Gut, gut,« sagte er, »wir müssen dulden und verzeihen. Ich werde nicht gehen, das ist alles, was darüber noch zu sagen ist.«
»Onkel Ebenezer,« sagte ich, »ich verstehe das Ganze nicht. Du behandelst mich wie einen Dieb; du willst mich nicht im Hause haben; du zeigst es mir jeden Augenblick und mit jedem Wort; es ist unmöglich, daß du mich gern hast; und was mich anbelangt, so hab' ich zu dir gesprochen, wie ich niemals zu irgendjemand sprechen wollte. Warum versuchst du es dann, mich hier zu behalten? Laß mich zurückkehren – laß mich zu meinen Freunden zurückkehren, die mich lieben!«
»Na, na, na, na,« sagte er sehr ernst. »Ich habe dich sehr gern, wir werden uns noch sehr gut vertragen. Und um der Ehre unseres Hauses willen, könnte ich dich nicht dahin zurückkehren lassen, woher du gekommen bist. Bleib ruhig hier, sei ein guter Junge, bleib schön ruhig hier, ich bitte dich, und du wirst sehen, wir werden uns vertragen.«
»Nun gut, Herr,« sagte ich, nachdem ich mir die Sache im Stillen überlegt hatte, »ich will noch eine Weile bleiben. Es ist natürlicher, daß ich von meinem eigenen Blut unterstützt werde, als von Fremden; und sollten wir uns nicht vertragen, ich will mich bemühen, daß es nicht durch meine Schuld geschehe.«
Kapitel IV
Ich laufe eine große Gefahr im Hause meines Onkels
Für einen so übel begonnenen Tag verlief der Tag ganz leidlich. Wir hatten mittags wieder kalte Suppe und abends warme Suppe. Suppe und Dünnbier waren meines Onkels Diät. Er sprach wenig und das Wenige in derselben Art wie vorher. Er warf mir nach langem Stillschweigen eine Frage hin, und wenn ich versuchte, ihn in ein Gespräch über meine Zukunft zu ziehen, so entschlüpfte er mir. Ich fand in einem Zimmer neben der Küche – das er mir zu betreten erlaubte – eine große Anzahl Bücher, sowohl englische als auch lateinische, mit denen ich mich den ganzen Nachmittag mit viel Vergnügen beschäftigte. Die Zeit verging in dieser angenehmen Gesellschaft tatsächlich so schnell, daß ich schon anfing, mich mit meinem Aufenthalt in Shaws wieder auszusöhnen und nur der Anblick meines Onkels, dessen Blicke mit den meinen immer Verstecken spielten, erweckte immer wieder mein stärkstes Mißtrauen.
Eines fiel mir auf, worüber ich mir Gedanken machte. Ich fand auf dem Vorsatzblatt eines Buches eine Widmung von der Hand meines Vaters geschrieben: »Meinem Bruder Ebenezer, an seinem fünften Geburtstag.« Was mich daran nun so sehr in Erstaunen setzte, war, daß mein Vater, da er natürlich der jüngere Bruder war, entweder einen sonderbaren Irrtum begangen haben mußte oder, noch ehe er das fünfte Lebensjahr erreicht hatte, eine ausgezeichnete, leserliche, männliche Handschrift besessen hatte.
Das wollte mir nicht aus dem Kopfe gehen. Obwohl ich eine Menge interessanter Autoren herunternahm, alte und neue, Geschichte, Poesie, Erzählungen, immer wieder kam mir der Gedanke an meines Vaters Handschrift. Und als ich endlich in die Küche zurückging und mich wieder zu Suppe und Dünnbier setzte, war das erste, was ich meinen Onkel Ebenezer fragte, ob mein Vater nicht schon im frühesten Alter gut lesen und schreiben konnte.
»Alexander? Nein, er nicht!« war seine Antwort. »Ich lernte es viel früher. Ich war ein kluges Kerlchen, als ich noch jung war. Ja, ich konnte schon zur selben Zeit lesen wie er.«
Das versetzte mich in noch größere Verwunderung. Da ging mir ein Gedanke durch den Kopf und ich fragte ihn, ob sie vielleicht Zwillinge gewesen seien.
Er sprang vom Stuhle auf, der Löffel fiel ihm aus der Hand und auf den Boden. »Wozu fragst du das?« sagte er und packte mich vorne am Rock und sah mir diesmal gerade in die Augen. Die seinen, die klein und hell und schimmernd waren, wie die eines Vogels, tanzten und blitzten gar seltsam.
»Was willst du,« fragte ich ganz ruhig, denn ich war viel stärker als er und nicht leicht zu erschrecken. »Nimm deine Hand weg von meinem Rock. Das ist keine Art sich zu benehmen.«
Mein Onkel schien sich mühsam zu bezwingen. »Gott, David, mein Junge,« sagte er, »du solltest nicht mit mir über deinen Vater sprechen. Das ist der Fehler.« Er saß eine Weile zitternd da und stierte