Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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er zitterte noch.

      Nun dieses letzte Ereignis, daß er Hand an mich gelegt und mir dann plötzlich seine Liebe zu meinem toten Vater bekannte, war glatt über meinem Verständnis und es erfüllte mich mit Angst und Hoffnung zugleich. Einerseits fing ich an zu glauben, daß mein Onkel geisteskrank sei und vielleicht gefährlich werden könnte; anderseits kam mir (ganz zufällig und beinahe wider meinen Willen) eine Geschichte in den Sinn – wie eine Ballade, die ich einmal singen gehört – von einem armen Knaben, der rechtmäßiger Erbe war, und von einem bösen Anverwandten, der versuchte, ihm sein Eigentum vorzuenthalten. Denn wozu sollte mein Onkel mit einem Verwandten, der beinahe als Bettler an seine Tür gekommen war, eine Komödie spielen, wenn er nicht in seinem Herzen einen Grund hatte, ihn zu fürchten?

      Mit diesem Gedanken, der zwar noch unklar war, sich aber immer bestimmter in meinem Kopfe festsetzte, fing ich nun an, seine versteckten Blicke nachzuahmen. So saßen wir bei Tisch wie Katze und Maus, einer den anderen heimlich beobachtend. Er wußte mir kein Wort mehr zu sagen, weder gut noch böse, sondern schien emsig damit beschäftigt, irgend etwas in seinem Kopfe hin und her zu wälzen. Und je länger wir beisammen saßen und je mehr ich ihn beobachtete, um so klarer wurde es mir, daß dieses Etwas mir feindlich war.

      Sobald er die Schüssel geleert hatte, stopfte er sich seine Pfeife, genau so wie am Morgen, rückte sich einen Stuhl in die Ecke zum Kamin und saß eine Weile still rauchend mit dem Rücken zu mir.

      »Davie,« sagte er endlich, »ich habe mir gedacht,« dann machte er wieder eine Pause und dann sagte er es nochmals. »Es ist ein kleines bißchen Silber da, das ich dir versprochen habe, noch eh du auf der Welt warst,« fuhr er fort, »ich habe es deinem Vater versprochen. Oh, nichts Gesetzliches, weißt du, so wie Männer, die bei einem Glase Wein zusammen sitzen. Nun dieses bißchen Geld, das hab' ich aufgehoben – es war zwar eine große Auslage, aber ein Versprechen ist ein Versprechen – na und all die Zeit über ist es gewachsen, bis es jetzt eine Sache sein dürfte von genau – ganz genau,« hier hielt er inne und stotterte – »von ganz genau vierzig Pfund!« Das stieß er hervor mit einem seitlichen Blick über die Schulter und setzte im nächsten Augenblick beinahe mit einem Schrei hinzu: »schottisch!«

      Da ein schottisches Pfund soviel wert war wie ein englischer Schilling, war der Unterschied ein beträchtlicher. Ich konnte außerdem leicht sehen, daß die ganze Geschichte eine Lüge sei, zu irgend einem Zweck erfunden, den zu erraten es mich lockte. So machte ich gar keinen Versuch, den spöttischen Ton meiner Stimme zu verbergen, als ich ihm antwortete.

      »Oh, Herr, denkt nochmal nach! Pfund Sterling, glaube ich.«

      »Ja, das sag' ich eben,« antwortete mein Onkel. »Pfund Sterling! Und wenn du einen Augenblick zur Tür hinausgehen wolltest, um vielleicht nach dem Wetter zu sehen, so will ich es für dich herausholen und dich dann wieder hereinrufen.«

      Ich tat nach seinem Wunsche und lächelte im Stillen höhnisch, daß er glauben könnte, ich wäre so leicht zu betrügen. Es war eine finstere Nacht und nur wenige Sterne standen am Himmel. Als ich eben vor der Tür stand, hörte ich das dumpfe Heulen des Windes drüben in den Bergen. Ich sagte mir, daß das Wetter nach Umschlag und Gewitter aussehe und wußte nicht, von wie großer Bedeutung dies noch für mich werden sollte, ehe der Abend verging.

      Als ich wieder hineingerufen wurde, zählte mir mein Onkel siebenunddreißig Goldguineen auf die Hand; der Rest lag in kleinen Gold- und Silbermünzen in seiner Hand, aber da versagte ihm die Kraft, und er kramte das Kleingeld wieder in seine Tasche.

       »Da,« sagte er, »da siehst du, ich bin ein sonderbarer Mensch und fremd gegen Fremde, aber mein Wort ist ein Pfand, und dies ist der Beweis dafür.«

      Mein Onkel schien so elend, daß ich durch seine plötzliche Freigebigkeit wie vor den Kopf gestoßen war und keine Worte finden konnte, ihm zu danken.

      »Nein, nein, kein Wort!« sagte er. »Keinen Dank, ich will keinen Dank. Ich tue meine Pflicht. Ich will nicht sagen, daß ein jeder sie getan hätte; aber ich für meinen Teil, wenn ich auch ein vorsichtiger Kauz bin, mir macht's Freude, dem Sohn meines Bruders Gutes zu tun; und es macht mir Freude, zu glauben, daß wir uns nun als gute Freunde vertragen werden, so wie es sich für uns gehört.«

      Auch ich sprach so freundlich und in so schönen Worten zu ihm, wie ich es nur konnte; aber all die Zeit über war ich neugierig, was dann kommen würde und warum er sich von seinen kostbaren Guineen getrennt hatte. Denn was den Grund anbelangte, den er selbst vorgab, so hätte den auch nicht einmal ein Baby anerkannt.

      Dann sah er mich von der Seite an.

      »Und siehst du,« sagte er, »dies für das!«

      Ich erklärte mich bereit, ihm meine Dankbarkeit innerhalb vernünftiger Grenzen zu beweisen, worauf ich eine ungeheure Forderung erwartete. Doch als er endlich den Mut fand, zu sprechen, sagte er mir nur (noch dazu sehr freundlich, wie es mir schien), daß er alt werde und gebrechlich und daß er mich bäte, ihm dabei behilflich zu sein, Haus und Garten zu bestellen.

      Ich sprach ihm in meiner Antwort meine Bereitwilligkeit aus, ihm zu dienen.

      »Gut,« sagte er, »wir wollen gleich anfangen.« Er zog einen riesigen Schlüssel aus seiner Tasche hervor. »Da,« sagte er, »da ist der Schlüssel zur Turmstiege am Ende des Hauses. Du kannst nur von außen dazu gelangen, denn dieser Teil des Hauses ist nicht ausgebaut. Geh dort hinein und die Stiege hinauf und bring mir die Kiste herunter, die ganz oben steht. Es sind Papiere drin«, fügte er hinzu.

      »Kann ich ein Licht haben, Herr«, sagte ich.

      »Nein,« sagte er schlau, »kein Licht in meinem Hause.«

      »Sehr gut, Herr«, sagte ich. »Ist die Stiege gut?«

      »Sie ist sehr breit,« sagte er und als ich mich zum Gehen wandte, »halte dich an der Mauer,« fügte er hinzu, »es ist kein Geländer da. Aber die Stiege ist gut und breit.«

      Hinaus ging ich in die Nacht. Der Wind heulte noch immer in der Ferne, obwohl kein Hauch bis an das Haus der Shaws gelangte. Die Finsternis war tiefer hereingebrochen als jemals und ich war froh, als ich, an der Mauer entlang tastend, endlich zur Tür der Turmstiege am anderen Ende des unfertigen Flügels gelangte. Ich hatte den Schlüssel ins Schlüsselloch gebracht und ihn eben umgedreht, als plötzlich, ohne eine Spur von Wind oder Donner, der ganze Himmel hell aufleuchtete in wilden Flammen und wieder verschwand. Ich mußte meine Hand vor die Augen legen, um mich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen; und ich war tatsächlich schon halb blind, als ich in den Turm hineinging.

      Drinnen war es so finster, daß man kaum atmen zu können meinte. Aber ich tastete mit Händen und Füßen weiter und stieß endlich mit jenen gegen die Wand und mit diesen an die unterste Stufe. Die Mauer war, soviel ich greifen konnte, aus gut behauenem Stein; die Stufen waren auch, obwohl etwas steil und eng, gut polierte Mauerarbeit, regelmäßig und fest. Eingedenk der Worte meines Onkels bezüglich des Geländers, hielt ich mich eng an der Turmseite und tastete meinen Weg durch die Finsternis mit klopfendem Herzen.

      Das Haus der Shaws war volle fünf Stockwerke hoch, den Boden nicht mitgezählt. Als ich nun so vorwärts kam, schien es mir, als ob die Stiege luftiger werde und eine Spur heller. Ich wunderte mich und dachte, was wohl der Grund dieser Veränderung sein könnte, als zum zweitenmal das Wetterleuchten aufblitzte und verschwand. Wenn ich nicht aufschrie, so geschah es nur, weil mir die Angst die Kehle zuschnürte; und wenn ich nicht fiel, so geschah es mehr durch Gottes Gnade als durch meine eigene Kraft. Nicht nur, daß der Blitz von allen Seiten hereinschien, durch unzählige Löcher in der Mauer, so daß ich auf einem freien Gerüst in die Höhe zu klettern schien, sondern die vorübergehende Helle zeigte mir, daß die Stufen ungleich lang waren und meine Füße in diesem Augenblick nur zwei Zoll weit vom inneren Absturz entfernt waren.

      Dies war die breite Stiege! Ich dachte nach, und mit dem Denken kam der Eigensinn und der Mut eines Verzweifelten über mich. Mein Onkel hatte mich sicherlich hierher geschickt, auf daß ich große Gefahr laufe, vielleicht auf daß ich sterbe. Ich schwor dieses »vielleicht« festzustellen und sollte ich dabei auch den Hals brechen. Ich ließ mich auf Knie und Hände nieder, und langsam wie eine Schnecke, jeden Zoll vor mich hintastend