Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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meines Vaters?«

      »'s wär' merkwürdig, wenn ich ihn nicht kennen sollte,« antwortete er, »er war doch mein leiblicher Bruder. Und so wenig ich und mein Haus und meine gute Suppe dir zu gefallen scheinen, so bin ich doch dein leiblicher Onkel, Davie, mein Junge, und du mein leiblicher Neffe. Also gib uns den Brief und setz' dich nieder und füll' dir den Magen.«

      Wäre ich einige Jahre jünger gewesen, so wäre ich zweifellos vor Scham, Müdigkeit und Enttäuschung in Tränen ausgebrochen. Aber so wie es war, konnte ich keine Worte finden, weder gut noch böse, sondern händigte ihm den Brief ein und setzte mich zur Suppe nieder, mit so geringer Lust zum Essen, wie nur je ein junger Mann empfunden haben mag.

      Inzwischen drehte mein Onkel, über das Feuer gebeugt, den Brief in seinen Händen hin und her.

      »Weißt du, was drin steht«, fragte er mich plötzlich.

      »Ihr könnt ja selbst sehen, Herr, daß das Siegel nicht erbrochen ist«, sagte ich.

      »Ja,« sagte er, »aber was hat dich hergeführt?«

      »Den Brief abzugeben«, sagte ich.

      »Nein,« sagte er schlau, »du hast doch sicherlich irgend welche Hoffnungen gehabt?«

      »Ich gestehe, Herr,« sagte ich, »als ich hörte, daß ich wohlhabende Anverwandte hätte, wiegte ich mich wohl in der Hoffnung, daß sie mir auf meinem Lebensweg behilflich sein könnten. Aber ich bin kein Bettler. Ich schiele nicht nach Gnaden von Eurer Hand und will keine Geschenke, die nicht freiwillig gegeben werden. Denn, so arm ich auch scheinen mag, so hab' ich doch eigene Freunde, die mir gerne helfen werden.«

      »Ta – ta – ta!« sagte Onkel Ebenezer, »mußt mich nicht gleich anschnauzen und beleidigt sein. Wir werden uns schon ganz gut vertragen. Und dann, Davie, mein Junge, wenn du die Suppe nicht mehr essen willst, kann ich ebenso gut selbst einen Löffelvoll davon nehmen. Ja,« fuhr er fort, nachdem er mir Stuhl und Löffel abgenommen hatte, »'s ist ein gutes, nahrhaftes Essen, Suppe.« Er murmelte leise irgend ein Tischgebet und fiel darüber her. »Dein Vater war ein guter, um nicht zu sagen starker Esser; während ich von den Speisen immer nur kaum naschen konnte.« Er nahm einen Schluck Dünnbier und sein nächster Ausspruch lautete: »Wenn deine Kehle vielleicht trocken ist, hinter der Tür findest du Wasser.«

      Darauf gab ich keine Antwort, sondern stand steif auf meinen zwei Beinen und sah zornerfüllt auf meinen Onkel nieder. Er, für sein Teil, fuhr fort zu essen, wie einer, der es eilig hat und warf kleine flüchtige Blicke bald auf meine Schuhe, bald auf meine handgestrickten Socken. Einmal nur, als er zufällig wagte, ein wenig höher zu schielen, begegneten sich unsere Blicke, und kein Dieb, auf frischer Tat ertappt, hätte lebhaftere Zeichen von Verlegenheit zeigen können. Dies erweckte in mir den Gedanken, ob sein scheues Wesen nicht vielleicht daher stamme, daß er jeder menschlichen Gesellschaft so lange entwöhnt war, und ob es nicht auf einen kleinen Versuch ankäme dies zu ändern und mein Onkel vielleicht ein ganz anderer Mensch werden könnte. Seine schrille Stimme weckte mich aus diesen Betrachtungen.

      »Dein Vater ist schon lang tot?« fragte er.

      »Drei Wochen, Herr«, sagte ich.

      »Er war ein verschlossener Mann, Alexander – ein verschlossener, schweigsamer Mann«, fuhr er fort. »Er sprach nie viel, so lange er jung war. Er wird wohl nicht viel von mir erzählt haben?«

      »Ich wußte nicht einmal, Herr, daß er überhaupt einen Bruder hatte, ehe Ihr es mir jetzt selbst gesagt habt.«

      »Nein, du meine Güte!« sagte Ebenezer. »Auch wohl von Shaws nicht, wie?«

       »Nicht einmal den Namen, Herr«, sagte ich.

      »Denk einer nur mal!« sagte er. »Ein sonderbarer Mensch!«

      Trotz alledem schien er merkwürdig zufrieden, aber ob mit sich selbst oder mit mir oder mit dem Benehmen meines Vaters war mehr, als ich enträtseln konnte. Sicherlich aber schienen dieser Abscheu und das Übelwollen, die er anfangs gegen meine Person gezeigt hatte, zu schwinden. Denn plötzlich sprang er auf, schritt durch das Zimmer auf mich zu und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. »Wir werden uns noch ganz gut vertragen!« rief er. »Ich bin eigentlich froh, daß ich dich hereingelassen habe. Und jetzt komm ins Bett.«

      Zu meiner Verwunderung zündete er weder eine Lampe noch eine Kerze an, sondern ging in den finsteren Vorraum hinaus, tastete, schwer atmend, seinen Weg ein Stockwerk höher die Stiege hinauf und blieb vor einer Tür stehen, die er aufsperrte. Ich war ihm, so gut ich konnte, nachgestolpert und folgte ihm dicht auf den Fersen. Er ließ mich eintreten, denn dies wäre mein Zimmer. Ich tat, wie er mich hieß und bat ihn zum Schlafengehen um ein Licht.

      »Ta – ta – ta,« sagte Onkel Ebenezer, »der Mond scheint hell genug.«

      »Weder Mond noch Sterne, Herr. Es ist stockfinster«, sagte ich. »Ich kann das Bett nicht sehen.«

      »Ta – ta – ta!« sagte er, »Lichter im Haus, das ist so eine Sache, mit der ich nun einmal nicht einverstanden bin. Ich fürchte mich vorm Feuer. Gute Nacht, Davie, mein Junge!« Und ehe ich noch Zeit hatte, weitere Einsprüche zu erheben, schlug er die Tür zu und ich hörte, wie er mich von außen einsperrte.

      Ich wußte nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Das Zimmer war so kalt wie ein Brunnen und das Bett, als ich meinen Weg dahin gefunden hatte, so feucht und dumpf wie eine Torfgrube. Aber zum Glück hatte ich mein Bündel und meine Decke mit heraufgebracht, und so wickelte ich mich gut ein, legte mich auf den Boden, windgeschützt durch das große Bettgestell, und schlief augenblicklich ein.

      Beim ersten Morgengrauen öffnete ich die Augen. Ich befand mich in einem großen Zimmer; die Wände waren mit gepreßtem Leder tapeziert, schöne, gestickte Möbel standen darin und das Licht fiel durch drei große, helle Fenster herein. Vor zehn oder zwanzig Jahren mußte es eines der schönsten Zimmer gewesen sein, in dem man zu schlafen oder aufzuwachen nur wünschen konnte. Aber Feuchtigkeit, Schmutz, Unbenütztheit, Mäuse und Spinnen hatten seither alles getan, was in ihrer Macht gestanden hatte. Außerdem waren viele Fensterscheiben zerbrochen; aber das war tatsächlich ein so gewohnter Anblick an der Fassade dieses Hauses, daß ich annehme, mein Onkel mußte einmal von Seiten seiner entrüsteten Nachbarn eine Belagerung ausgestanden haben – vielleicht mit Jennet Clouston an der Spitze.

      Inzwischen schien draußen hell die Sonne. Da mir in diesem elenden Zimmer sehr kalt war, klopfte und schrie ich solange, bis mein Kerkermeister kam und mich herausließ. Er führte mich an die Hinterseite des Hauses, wo ein Ziehbrunnen war und hieß mich, mir dort Gesicht und Hände waschen, wenn ich wollte. Nachdem dies geschehen war, fand ich, so gut ich konnte, allein den Weg in die Küche zurück, allwo er das Feuer bereits angezündet hatte und die Suppe bereitete. Der Tisch war gedeckt mit zwei Schüsseln und zwei Löffeln, aber nur ein Maß Dünnbier wie gestern. Vielleicht ruhte mein Auge mit einigem Erstaunen auf dieser Einzelheit und vielleicht hatte mein Onkel dies bemerkt. Denn er hub an, wie in Beantwortung meines Gedankens, und fragte mich, ob ich gern Bier tränke.

      Ich sagte ihm, daß dies wohl eine Gewohnheit sei, bat ihn aber, sich deswegen nicht stören zu lassen.

      »Na, na,« sagte er, »ich will dir nichts abschlagen, was recht und billig ist.«

      Er holte einen zweiten Becher vom Sims herunter, und dann goß er, zu meiner größten Verwunderung, anstatt mehr Bier zu holen, genau die Hälfte von seinem Becher in den anderen. Es lag eine Art Vornehmheit darin, die mir den Atem raubte. Wenn mein Onkel auch sicherlich ein Geizhals war, so war er doch wenigstens ein so wohlerzogener, daß sein Laster dadurch beinahe geadelt wurde.

      Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, sperrte mein Onkel Ebenezer einen Kasten auf, nahm eine Tonpfeife und einen Tabaksbeutel heraus, stopfte die Pfeife und sperrte den Tabak wieder ein. Dann setzte er sich an eines der Fenster in die Sonne und rauchte schweigend. Von Zeit zu Zeit schweiften seine Blicke zu mir herüber und er stieß eine seiner Fragen hervor. Einmal war es: »Und deine Mutter?« Und als ich ihm gesagt hatte, daß auch sie bereits tot sei, »ja, sie war ein liebes, gutes Mädchen!« Dann wieder nach einer langen Pause: »Wer sind denn deine Freunde, die du hast?«

      Ich