dem schweren Ritt für die Tafel zurechtzumachen.
Sehr bald kehrten sie zurück und nahmen die ihnen eingeräumten Plätze, Herr von Uechteritz zwischen den beiden elternlosen Besitzerstöchtern, Fritz Warsow zwischen Edith und Frau Stoltzmann.
„Aber Ihre Wette, Herr Rittmeister!“ rief der Reckensteiner von der gegenüberliegenden Seite der Tafel. „Edith hat mir nie ein Wort davon erzählt.“
„Ich hatte sie völlig vergessen,“ gab diese zurück
„Ja, Ihre Wette!“ tönte es von mehreren Seiten zu ihm herüber.
„Ich hatte mit Fräulein von Barrnhoff vor einem Jahre, als ich ihren Geburtstag in unverantwortlicher Weise vergessen hatte, gewettet, dass ich bei der nächsten Wiederkehr dieses Tages zur Stelle sein würde, und wenn ich von meiner Garnison aus in einer Strecke bis in Ihren Esssaal hineinreiten müsste.“
„Und haben glänzend gewonnen!“ rief die temperamentvolle Bürgermeistersfrau, und ihre Wangen blühten wie die roten Nelken auf ihrer Brust. Solch ein Abenteuer und Reiterkunststück, das war nach ihrem Geschmack! Was sie noch hinzugewünscht hätte, und was ihr eigentlich fehlte, war, dass Fritz Warsow seine Wette nicht wörtlich ausgefochten und mit seinem Kameraden mitten ins Esszimmer gesprengt war. Und hätten sie dabei die ganze Tafel in Grund und Boden geritten! Der stürzende Tisch und die klirrenden Scherben — es wäre ein richtiger rheinischer Karneval gewesen, und der war das einzige, was sie bei aller Anpassung und Eingewöhnung im nüchternen Norden entbehrt und diesem bis zum heutigen Tage nicht verziehen hatte!
Aber auch der alte Reckensteiner schmunzelte behaglich vor sich hin. Das Stück gefiel ihm. Er hatte den Fritz immer gern gehabt. Er war ja selber Soldat mit Leib und Seele gewesen, alle Übungen hatte er mitgemacht, noch bis vor zehn Jahren. Dann hatte er aufhören müssen. Aber den Titel „Major“ hatte er erhalten und war stolz darauf. „Und wenn es einmal darauf ankommt, ich bin der erste, der mitmacht — am liebsten gegen die Russen!“ pflegte er zu sagen.
„Wie lange sind Sie unterwegs gewesen, Herr Rittmeister?“ wandte sich Frau Lisa aufs neue zu Fritz, und ihr frohes Auge lachte ihm voller Wohlgefallen entgegen.
„Acht Stunden, gnädige Frau, die kurze Mittagsrast nicht eingerechnet. Aber zuletzt sind wir auch wie die Teufel geritten, ich weiss nicht, trieb uns der Hunger oder die Sehnsucht.“
Edith kannte ihn sonst nur ernst, um so mehr gefiel ihr sein heiteres Wesen und der frische Humor, der ihm gut stand. Er war keine in die Augen fallende Erscheinung, vielmehr von untersetzter, beinah kleiner Gestalt, aber in seinem Gesicht war ein Zug von Kraft und Energie, und sein Blick war klug und gut zugleich.
Nun zog ihn Frau von Ubitzsch in ein sehr eingehendes Verhör. Eine Weile hielt er ihr geduldig stand, dann brach er ein wenig unvermittelt ab und beteiligte sich an der lustigen Plänkelei, die sein Freund Uechteritz mit zwei jungen Landdamen aus der Nachbarschaft eröffnet hatte. Aber mit wenig Eifer; er hatte hübsche Mädchen gern, doch das eigentlich Gesellschaftliche und der leichte Ton, den es erforderte, lag ihm nicht. Das Kräftige und Männliche seines Wesens paarte sich mit einer gewissen Schüchternheit, über die er schwer Herr wurde.
Es war stiller an der Tafel geworden. Aus dem Garten klang, nicht so laut und quellend mehr wie vorhin, aber mit noch süsserem Wohllaut, die Musik des Vogels, der das Hohelied der Liebe und Minne sang. War es Jubel oder Traurigkeit?
Man hatte nicht lange bei Tisch gesessen, der Garten da draussen lockte. Fritz Warsow ging an Frau Lisas Seite. Die warme Luft zitterte im Frühlingsblütenduft, ein wenig Mond war schon da: eine ganz schmale Sichel, die blass und milchweiss über den zackigen Wipfeln der Bäume hing. Etwas Geborgenes und Beruhigendes ging von dem scheidenden Tag aus, der Himmel war ein Spiel von aufglühenden und verlöschenden Farben. Vom Hofe her klang das Brüllen der Kühe, ab und zu auch das Wiehern eines Pferdes aus den Ställen. Alles war Stille und Frieden.
„So etwas kann man nur auf dem Lande haben,“ sagte Fritz Warsow, und mit einem Seufzer der Befreiung und Erleichterung, der aus einem aufrichtigen Herzen kam: „Hier ist man doch wirklich einmal Mensch!“
Frau Lisa war nicht ganz seiner Meinung; sie liebte auch das Land, aber sie liebte es wie ein Mensch, der nicht mit ihm verwachsen ist: mehr von der Ferne, wie ein angenehmes Schauspiel, dem man ein paar Stunden zusieht. Aber in der Seele gepackt und ergriffen ist man nicht von ihm; von seinen lösenden Geheimnissen, seiner tiefen Schöpferkraft hat man nie etwas erfahren, sein Atem ist einem nicht ins Herz gedrungen. Sie widersprach nicht, doch sie nahm die nächste Gelegenheit wahr, in ihrer munteren Beredsamkeit ein Loblied auf die Stadt zu singen, die die wirkenden Kräfte des Menschen im Zusammensein mit den andern, im frohen Wettstreit von Arbeit und Lust mehr wachrufe als das beschauliche Land.
Er liess sie reden und hatte sein stilles Gefallen an ihrer sprudelnden Begeisterung. Aber bei der Sache war er nicht. Als ginge er ganz allein durch diesen wunderbaren Abend, so gab er sich der Fülle seiner Eindrücke und dem linden Zauber hin, der aus jedem Beet, jedem Strauch zu ihm sprach.
Als sie in den Park einbogen, kam ihnen ein andres Paar entgegen: Edith an der Seite von Uechteritz, der in seiner frohen Soldatenart auf die Stillere einredete. Bald hatten sie die Plätze gewechselt, und keiner schien mit dem Tausch unzufrieden. Fritz ging jetzt mit Edith, und Frau Lisas helles Lachen klang wie helles Vogelgezwitscher zu ihnen herüber, während sie sich in die Tiefe des Parkes verloren. An dem Stamme einer alten Rotbuche, deren Zweige bis tief auf die Erde reichten, blieb Edith stehen: „Ist es wahr, Fritz, wirklich wahr?“
Er verstand sie sofort. „Ja,“ sagte er, „es ist wahr. Ich habe noch mit keinem darüber gesprochen. Aber du magst ein Recht haben, es zu erfahren.“
„Du gehst?“
„Ich habe gestern mein Gesuch eingereicht. Zuerst den üblichen Urlaub auf ein halbes Jahr oder länger. Doch das ist nur die Einleitung.“
„Und dann?“
„Nehme ich meinen Abschied — es scheint dich nicht angenehm zu berühren.“
„Ich erlaube mir kein Urteil. Aber ganz begreiflich ist es mir nicht.“
Ein Schatten flog über sein Antlitz. „Und ich glaubte, niemand würde es verstehen wie du.“
„Vielleicht, wenn du mir Zeit lässt, mich dareinzufinden — heute ist es mir etwas Fremdes. Du hast mich ja schon einmal schwerfällig genannt.“
Eine alte Erinnerung schien in ihm wach zu werden, er lächelte. „Glaubst du, dass es mir so leicht geworden? Unsre Naturen sind so unähnlich nicht. Ich habe lange genug mit dem Entschluss gerungen, jetzt ist er unabänderlich.“
„Eben jetzt, wo du befördert und nach Berlin in den Generalstab berufen bist.“
„Gerade deshalb gehe ich.“ Und als sie schwieg: „Man überschätzt meine Fähigkeiten. Ich kann nur gedeihen und wirken in der frischen Luft, in der Natur, auf dem Pferde, das durch Felder und Wälder fliegt. Die sitzende Lebensweise, das Arbeiten in der engen Stube ist nichts für mich.“
„Du hast deine Verdienste. Man würde deinen Wünschen Rechnung tragen, der Vater meinte es gestern erst.“
„Er irrt. Im Soldatenberuf gibt es kein Wünschen, sondern nur Gehorchen. Man bestimmt uns den Platz, wir wählen ihn nicht. Und es ist recht so. Will ich mein eigner Herr sein und mir ein Dasein zimmern, wie es meiner Eigenart entspricht, so bleibt mir nichts als das Gehen.“
Ein heimliches Dunkel schlich über die Wege. Unter den Bäumen war es kühl geworden. Ein Stern leuchtete auf.
„Und wenn man dich nun in deiner Garnison gelassen hätte?“
„Vielleicht wäre ich geblieben,“ erwiderte er nach kurzem Nachdenken, „vielleicht auch nicht. Sieh, Edith, es ist ein eigen Ding um den Beruf des Soldaten im Frieden. Er ist für den Krieg geschaffen.“
„Wer weiss, wie bald wir ihn haben werden!“
„Dann wäre es Lust und Glück, Soldat zu sein!“
„Und