Artur Brausewetter

Wer die Heimat liebt wie du


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Lande drängt, auf dem ich grossgeworden, mit dem ich mich eins fühle. Die Grossstadt würde mich ersticken, die letzte Kraft in mir lahmlegen. Ein andrer kann es mir nicht nachfühlen, ich aber weiss es.“

      „So ist es dein Ernst, Landmann zu werden?“

      „Es stand mir seit Jahr und Tag fest, ich konnte nur nicht zum Entschluss kommen. Nun ist der letzte Zeitpunkt da, später wäre ich zu alt, um noch einmal in die Schule zu gehen.“

      „Du willst nach Bärwalde zu deinem Onkel?“

      „Ich gedenke morgen von hier herüberzureiten und das Nähere mit ihm zu besprechen. Wenn er auch jetzt kränklich ist und sich um die Wirtschaft nicht viel kümmert, so hat man doch viel von ihm, denn er ist klüger als all die andern und hat eine reiche Erfahrung. Und sein Inspektor, du kennst ihn ja, der alte Borowski, ist der beste Lehrer, den ich haben kann. Auch in dem steckt mehr, als sein schlichtes Wesen auf den flüchtigen Blick zeigt.“

      Edith kannte Fritz, sie wusste, dass er nie von dem abzubringen war, was er sich vorgenommen. Sie schlug deshalb einen scherzenden Ton an, den er seit den Kinderjahren an ihr geliebt, und der von jeher so manches ernste Gespräch zwischen ihnen beschlossen hatte. „Höre mal, wenn du jetzt mit einem Male aus einer verheissenden Laufbahn herausgehst und ausgerechnet Landwirt wirst, und noch dazu bei dem alten kinderlosen Onkel in Bärwalde, was werden deine Kameraden sagen? Werden sie auch so harmlos an die Reinheit deiner Neigung glauben wie ich?“

      Er lachte. „Du meinst, sie werden mich für einen geriebenen Jungen halten, der sich beizeiten das warme Nest sichern will. Du kannst ruhig sein, gegen einen solchen Verdacht bin ich gefeit. Bärwalde ist noch nicht Majorat, aber es ist stets als solches behandelt worden, man ist genau nach den Gesetzen des Alters verfahren. Und da Hans der ältere von uns beiden ist —“

      „Hans? — Der?!“ fragte sie, und ihre Stimme hatte mit einem Male einen gleichgültigen, einen beinah geringschätzigen Klang. „Der kommt doch gar nicht in Betracht. Der lebt ja nur in höheren Gefilden und fühlt sich in seiner Dozententätigkeit von Herzen wohl. Er schreibt einen Aufsatz nach dem andern, man kann kaum eine Zeitung oder Zeitschrift aufschlagen, ohne seinen Namen zu lesen.“

      „Du hast von seiner geistigen Tätigkeit nie sehr hoch gedacht.“

      Sie schürzte die Lippen. „Sie liegt uns, sie liegt euch Bärwaldern allen eigentlich sehr fern. Es ist etwas — ich möchte dich oder ihn nicht verletzen, aber ich kann mich nicht anders ausdrücken — etwas nicht ganz Männliches in ihr. Ihr, eure Vorfahren, alle, wie du mir so oft erzählt, bebauten ihr Land oder führten das Schwert. Er studierte Theologie und Philosophie und wer weiss was noch und wurde ein Held der Feder.“

      „Es war sein Steckenpferd schon auf der Prima. Und du kannst nicht leugnen, dass er es zu etwas gebracht hat. Sein Name ist weithin bekannt geworden.“

      „Das mag sein. Ihr, und besonders du in deiner übergrossen Bescheidenheit, habt ja immer wer weiss was aus ihm gemacht. Aber mir scheint deine Tätigkeit wertvoller, selbst wenn du Landmann wirst, kann ich es auch unter diesen Umständen noch viel weniger verstehen.“

      „Dann muss ich es eben ohne deine gütige Zustimmung wagen.“ Ein abweisender Ton, wie sie ihn nie von ihm vernommen hatte, war in seiner Antwort. „Aber was Hans betrifft, so tust du ihm unrecht, hast es immer getan. Und das verdriesst mich.“

      Sie zuckte die Achseln. „Was weiss ich von ihm? Er ist über fünfzehn Jahre älter als ich und hat sich nie um mich gekümmert. Du nahmst dich als Junge der kleinen Nachbarstochter ritterlich an und warst später mein Tänzer in Rodenburg und auf den Gütern hier. Er war immer der Erhabene, stand immer abseits. Er spielte als Junge nicht und tanzte nicht als Mann. Seine Bücher waren ihm die Welt und sein Ehrgeiz. Was galt ihm Reckenstein, ja selbst Bärwalde?“

      „Alle Ferien, jede nur erdenklich freie Zeit verbrachte er in Bärwalde.“

      „Jawohl. Er sass oben auf seiner Stube, allenfalls mal im Garten und schrieb seine Bücher!“

      „Ganz recht. Er schrieb sein Werk über Ostpreussen,“ gab er mit scharfer Betonung zurück und fuhr fort: „Es lag ihm als Theologen fern und ist nach dem Urteil aller Fachleute das Beste, was je über unsre Provinz geschrieben ist. Nein, du kennst ihn nicht, Edith. Er schloss sich ab — es war einmal seine Anlage. Aber in ihm ist dasselbe Blut und dieselbe Sehnsucht wie in uns. Niemand liebt seine Heimat wie er.“

      Seine ernsten Worte machten vielleicht einen gewissen Eindruck auf sie, überzeugten sie aber nicht. „Du erzähltest einmal, dass er ordentlicher Professor in Königsberg werden sollte. Wie ist es eigentlich damit geworden?“

      „Er scheiterte im letzten Augenblick an irgendeiner Richtungsfrage, die in der Theologie ja immer eine Rolle spielt. Er hat es nie überwunden. Ich glaube —“ Er wollte noch etwas hinzufügen, brach jedoch ab und sagte: „Nun haben wir immer nur von mir und von uns gesprochen. Aber von deinem Vater hast du mir noch nichts gesagt. Wie steht es um ihn?“

      Ein Schatten flog über ihr Antlitz. „Er will nichts aufkommen lassen, beileibe nicht! Darum nimmt er sich zusammen, oft wohl über seine Kraft, besonders wenn Besuch da ist. Aber ich weiss am besten, dass er seit dem Tode der Mutter nicht mehr der Alte ist. Den Sommer bekomme ich ihn hier nicht los. Er kann sich von der Wirtschaft nicht trennen und sitzt jeden Tag noch zu Pferde. Er will in der Übung bleiben, wie er sagt. Aber zum Winter müssen wir nach Rodenburg, Geheimrat Faber will eine regelmässige Behandlung mit ihm vornehmen. Hoffentlich hilft sie.“

      Durch den stillen Park hallten helle Rufe. Jetzt erst merkten sie, dass ihr langes Fortbleiben aufgefallen, dass die Nacht vorgeschritten war. Sie schickten sich an, in das Haus zurückzukehren. Aber bevor sie auf die Veranda traten, sagte Edith: „Erzähle mir doch das noch schnell von Hans! Du führtest deinen Satz vorhin nicht zu Ende. Was glaubst du?“ Er besann sich: „Ich glaube,“ sagte er dann, „dass seine fehlgeschlagene Königsberger Hoffnung massgebend für einen Entschluss geworden ist, den ihm niemand zugetraut hätte.“

      „Was für einen Entschluss?“

      „Ich darf darüber nicht sprechen. Selbst dir gegenüber nicht, Edith, so gern ich es täte. Vielleicht teilt er ihn dir selber mit.“

      „Er wird mich dieser Ehre kaum würdigen.“

      „Vielleicht doch. Er kündigte mir sein Kommen nach Bärwalde in einigen Wochen an und schrieb auch von einem Besuch in Reckenstein.“

      Sie waren in das Haus getreten. Uechteritz stand am Flügel und sang Schumannsche Lieder. Er hatte eine weiche Baritonstimme, die sich in die Seelen der Frauen stahl und in ihnen haftete, oft mehr als seiner kleinen eifersüchtigen Frau lieb war. Frau Lisa begleitete ihn, die andern waren ganz Ohr, nur der Reckensteiner sass mit Rodenburgs erstem Bürgermeister in dem abgelegeneren Herrenzimmer bei einer Flasche Rotwein und verhandelte in jener gespannten Art, die ihren Gesprächen meist zueigen war, politische Fragen. Sie wussten beide, dass sie dabei nie zu irgendeinem Schluss kommen würden, fingen aber doch jedesmal davon an, vielleicht weil sie sich über andre Dinge noch weniger geeinigt hätten.

      Edith war mit ihrem Vater über die Felder geritten. Der alte Herr hatte noch auf dem Vorwerke zu tun, und sie war, da sie die endlose Ausdehnung seiner Gespräche mit dem Hofmeister aus langjähriger Erfahrung kannte und fürchtete, auf geradem Wege nach Hause geritten.

      „Ein Herr wartet bereits seit einer halben Stunde auf die Herrschaft,“ meldete der Diener und reichte ihr die Karte. „Lic. Dr. Hans Warsow, Privatdozent. Bonn“ las sie.

      Im Herrenzimmer standen sie sich gegenüber. Er im schwarzen Überrock und mit schwarzer Binde, ebenso ernst wie tadellos angezogen. Sie noch im Reitkleide, die Mütze mit einer Nadel mit blitzendem Knauf durch die dichten Haare gesteckt, die eine braune, leise ins Rötliche schillernde Farbe hatten. Etwas von dem matten Glanze herbstlichen Laubes war in ihnen. Auf den roten Wangen lag noch die Spur der frischen Bewegung.

      Sie sah Herren im langen Überrock fast nie, auf den Gesellschaften trugen sie den Leibrock, allenfalls den Halbfrack, sonst das helle Jackett, wie es auf das Land gehörte. Er kam ihr wunderlich vor