muss doch irgendeine gute Einführung bei Ihnen haben, denn obwohl wir oft genug Nachbarn waren, haben sich unsre Kreise wenig berührt.“
„Sie hatten bessere Dinge zu tun,“ gab sie leichthin zurück, indem sie die Reitmütze aus den Haaren löste.
„Bessere nicht,“ erwiderte er ruhig und offen, „aber wichtigere, ich gebe es gern zu. Ich war und bin bis zu einem gewissen Grade vielleicht heute noch mit der Krankheit behaftet, die jeden harmlosen Genuss zerstört: das Leben und seine Pflichten ernst zu nehmen. Ich glaube, es ist Egmont, der einmal sagt: ‚Wenn ihr das Leben gar zu ernst nehmt, was ist denn daran?‘ Sehr richtig — aber man kann eben nicht anders, das ist das Unglück.“
„Sie haben dafür auch Ihren Lohn empfangen: Sie sind ein bekannter Mann geworden, wie Ihr Bruder Fritz es mir erst vor einigen Tagen auseinandersetzte. Ich für meine Person lese wenig, auch Ihre Bücher und Schriften kenne ich nicht, damit ich es gleich sage.“
„Bekannt bin ich nur in einem sehr kleinen Kreise; dass mein Leben von besonderem Glück begleitet gewesen, kann ich kaum sagen.“
Sie sah ihn an, zum erstenmal. Er hatte gar keine Ähnlichkeit mit dem jüngeren Bruder. Sein bleiches Gesicht war klug und anziehend, aber die kräftige und energische Spannung, die ihr Fritzens Züge so lieb machte, fehlte ihm; es lag zuviel des Verträumten und Versonnenen in diesem Antlitz, sie liebte die harten, eckigen Stirnen bei den Männern mehr. Die Tat war ihr das, was dem Manne Wert verlieh, nicht der Gedanke. Er hatte von jeher für sie etwas Untergeordnetes besessen.
„Sie wissen, dass Fritz im Begriff ist, umzusatteln,“ sagte Hans Warsow, wohl in dem Wunsche, dem Gespräch eine sachlichere Wendung zu geben. Ihr aber war, als hätte er aus ihrem Blick gelesen, was sie eben im stillen empfunden hatte. „Und dass er sich in Bärwalde bereits in seinem neuen Beruf einlebt, wissen Sie wohl auch?“
„Er teilte es mir mit, als er unerwartet an einem Abend hier erschien.“
Der Gedanke an diesen Abend, an Fritzens Ankunft hoch zu Pferde, hier oben auf der Veranda, wachte mit solcher Lebendigkeit in ihr auf, dass ein heiteres Lächeln über ihren hübschen Mund flog. Sie erzählte den Vorfall. Aber er ging nicht auf ihre Heiterkeit ein, im Gegenteil, er wurde noch ernster, und sein Gesicht erschien ihr in der leise einfallenden Dämmerung einen Schatten blasser und finsterer als bisher.
„Das sieht ihm ähnlich! Obwohl er alt genug wäre, sich solche Streiche abzugewöhnen.“
Sie ärgerte sich über seine Worte. Das war Hans Warsow, genau wie er in ihrer Erinnerung stand, wie sie ihn oft vom Vater, der ihm wenig wohlwollte, hatte schildern hören: von sich eingenommen und von hoher Warte herab das Tun der andern abfällig beurteilend. Wie nett, ja mit welcher Bewunderung und Liebe hatte Fritz von ihm gesprochen! Und er? Er nahm die erste Gelegenheit wahr, den jüngeren Bruder in ihren Augen herabzusetzen.
„Ich glaube, Ihr Urteil über Ihren Bruder ist nicht ganz gerecht. Fritz ist im Grunde seines Wesens ernst, zu ernst beinahe. Dass er dann einmal einen lustigen Reiterstreich wagt und im frohen Kreise auch froh sein kann, macht ihn für mich nicht schlechter. Ich liebe die Menschen nicht, die nicht einmal aus Herzensgrund lachen können.“
„Und zu ihnen zählen Sie mich?“
„Ich habe nicht die Freude, Sie so gut zu kennen, um mir ein Urteil über Sie zu gestatten.“
Sie sagte es in jener kalt abweisenden Art, die ihr immer zu Gebote war, wenn sie sich verletzt fühlte.
„Aber Ihr Wort traf mich, denn Sie haben recht gesagt: so aus dem Herzensgrunde lachen, wie Sie sich ausdrückten, habe ich nie gekonnt — von meiner Kindheit an nicht. Und niemand hat das wohl so schwer empfunden wie ich selber.“
Ein leiser Zug von Mitgefühl flog über ihr Antlitz. Er wollte es nicht, man merkte es ihm an, dass es ihm nicht angenehm war. Ein befangenerer Ton kam in ihre Unterhaltung.
„Dass Ihr Bruder, jetzt auf einem gewissen Höhepunkt seiner Laufbahn angelangt, den Mut hat, mit ihr zu brechen,“ sagte Edith nach einer kurzen Pause, „und sich ein ganz neues Leben durch eigne Kraft aufzubauen, spricht doch auch für den Ernst seiner Anschauungen.“
„Nein, nein!“ fiel er mit plötzlich erwachter Lebhaftigkeit ein, „das ist es nicht. Das wenigstens nicht allein. Es ist ein andres — dasselbe wie bei mir. So verschieden wir auch sonst in unsrer Lebensanschauung sind, hierin sind wir von einem Schlag.“
„Und was wäre dieses andre?“
Eine leise Glut war in sein Antlitz getreten. Sie färbte es nicht rot, aber sie gab ihm einen Hauch der Wärme, den es bisher nicht besessen. „Sehen Sie, ich bin weit in der Welt umhergekommen und habe viele Leute und Länder kennengelernt. Als ich meine Prüfungen bestanden, erhielt ich ein grösseres Stipendium, das mich in den Stand setzte, in Griechenland und in Italien Studien zu machen.“
„Ich hörte davon durch Ihren Bruder. Wieviel des Schönen müssen Sie gesehen haben!“
„Gewiss. Ich verkenne das auch nicht. Unvergessliches empfing ich in Athen, Florenz und Rom. Gerade in dem Alter, in dem man dafür am empfänglichsten ist, öffneten sich mir die Schätze der Welt. Mein Wissen erweiterte sich, mein künstlerischer Sinn erhielt reiche Anregung. Und dennoch kam ich auf allen diesen Reisen nie zu einem wirklichen Genuss. Ich suchte ihn zu erzwingen, war ärgerlich und empört über mich selber — es war alles vergeblich. Wie ein Kranker wanderte ich durch die herrlichen Uffizien und die alten Bauwerke der Städte.“
„Es war das unaufhörliche Empfangen neuer Eindrücke; das greift an die Seele. Ich habe Ähnliches, wenn auch in geringerem Massstabe erlebt. Als der Vater bald nach dem Tode der Mutter mit mir eine Reise nach Italien machte, hatte ich auch nicht annähernd den Genuss, den ich mir versprochen hatte.“
„Ich sah, dass es nicht so weiterging, und suchte einen festen Wohnsitz. Zuerst blieb ich ein Jahr in Rom dann ein zweites in Florenz, eine Zeitlang lebte ich, mit einer grösseren Arbeit über die Anfänge des Christentums in Rom beschäftigt, in der Schweiz, in Zürich und Bern — schliesslich ging ich nach Deutschland zurück.“
„Sie liessen sich in Bonn nieder?“
„Ja, meine Arbeit war erschienen, man ermunterte mich, dort Vorlesungen zu halten!“
„Und nun kamen Sie zur Ruhe?“
„Nein — ich kam auch hier nicht zur Ruhe, ich fühlte mich ebenso friedlos wie dort im Süden. Ich habe viel gearbeitet in dieser Zeit, ich darf es wohl behaupten. Es war wie eine Notwehr gegen das, was in meinem Inneren gärte. Und nun will ich Ihnen auch sagen, was es war.“
Er fuhr ruhiger, aber mit einer Bewegung fort, die durch jedes seiner Worte bebte: „Wir Leute hier oben aus dem Nordosten können im Süden nicht gedeihen, und auch nicht im Westen. Dort ist alles weich, geglättet, eben; bei uns ist es uneben, scharf und kantig. Aber gerade weil es so ist, lieben wir dies Land mit einer Zähigkeit und Kraft, von der die Leute im Süden und im Westen keine Ahnung haben. Und wenn wir uns von ihm trennen und suchen die Gegenden Süddeutschlands oder gar des blühenden Italiens — gewiss, wir sind nicht blind für die Schönheit dort, die uns auf Schritt und Tritt entgegentritt. Aber wir können das alles nur geniessen und uns seiner freuen für eine kurzgemessene Zeit, für eine Ferienfrist. Dann erwacht nur um so stärker die Liebe zur Heimat. Dann erscheint uns inmitten all der Weichheit der Luft und Linien, all der landschaftlichen und künstlerischen Pracht unser kantiges, knorriges Land nur um so liebenswerter und herrlicher. Dann müssen wir zurück, nordwärts, in den hohen Osten, in die härtliche, stählerne Luft, ohne die wir nicht gedeihen können. Und wenn wir diesen Trieb unterdrücken und ihm Gewalt antun, dann werden wir krank, wie es mir ergangen ist.“
Sie hatte ihm mit wachsender Anteilnahme zugehört, es sprach eine solche Tiefe und Aufrichtigkeit aus jedem Wort, er war ihr plötzlich ein ganz andrer erschienen. „Wunderbar“ — aber dann stockte sie; nein, das konnte sie ihm doch nicht sagen —
„Sie hätten mir das alles nie zugetraut,“ ergänzte er sie ohne jede Spur von Empfindlichkeit. „Aber es ist nun einmal so, und