um nicht einen Zollbreit von der heimatlichen Scholle zu weichen. In meiner Geschichte Ostpreussens ist die ausführliche Chronik Bärwaldes und der Warsows enthalten. Sie ist bewundernswert in ihrer Kraft und in ihren Leiden.“
„Fritz hat mir oft davon erzählt. Aber ich ahnte nicht, dass Sie das alles noch viel genauer wussten. Ich hielt Sie für einen Mann des Geistes, einen Helden der Feder, der sein Vaterland da fand, wo er schreiben und schaffen konnte.“
„Gewiss, ich bin ein Mann des Geistes. Die Probleme unsrer Zeit, die Fragen des Glaubens und Wissens brennen in meiner Seele, und ich will sie verkünden von dem Lehrstuhl oder von der Kanzel, so lange ich kann. Aber ich bin vor allem Ostpreusse mit Leib und Seele. Und es gibt nur ein Land, in dem sich meine geistigen Fähigkeiten fruchtbar entwickeln können. Das verstehen die andern nicht; sie haben mich oft deshalb gehänselt. Nur wir wissen es, die wir das ostpreussische Blut in den Adern tragen von vielen Geschlechtern her, die wir diese Luft geatmet von Geburt an, uns vom Mark dieser Erde genährt haben.“
„Deshalb war es Ihr Wunsch, einen Lehrstuhl in Königsberg zu erhalten?“
Es war nicht sehr zart von ihr, ihm das zu sagen, gerade jetzt nicht. Sie wusste es und tat es doch. Eine kleine Demütigung konnte ihm nicht schaden.
Er antwortete fast gleichmütig: „Fritz hat Sie gut unterrichtet. Ja, ich hoffte es einmal und war sehr enttäuscht, als sich die Sache zerschlug. Aber ich fand mich bald. Mir waren inzwischen Bedenken aufgetaucht, ob es richtig wäre, mein ganzes Leben der akademischen Laufbahn zu widmen.“
„Ich glaubte, eine andre würde für Sie gar nicht in Betracht kommen.“
„O doch. Eigentlich wiesen mich meine Neigung, vielleicht auch meine Fähigkeiten mehr auf die des Pfarramts. Gerade während meiner Dozentenjahre in Bonn waren mir neben den Vorzügen auch die Mängel dieser Tätigkeit klar geworden. Ich entbehrte die Berührung mit den grossen Volkskreisen, in die ich meine Gedanken und Ziele wirksamer tragen konnte als in einen kleinen Kreis von Studenten. — Ich war heute vormittag in Rodenburg. Deshalb sehen Sie mich auch in dieser feierlichen Gewandung. Da ich guten Anschluss hatte, fuhr ich mit dem Schnellzug hierher. Fritz wollte mich heute abend von hier nach Bärwalde abholen lassen. Vielleicht kommt er auch selber.“
Ein Schimmer der Freude flog über Ediths schöne Züge. Er entging ihm nicht. Diese letzten Worte schienen ein stärkeres Interesse in ihr auszulösen, als alles, was er ihr bisher erzählt hatte. Nun aber wandte sie sich wieder seiner Angelegenheit zu:
„Sie waren in Rodenburg? Ich verstehe nicht, in welchem Zusammenhange das mit dem stehen kann, was Sie mir eben sagten.“
„In einem sehr einfachen. In Rodenburg wird die erste Stelle an der Nikolaikirche frei. Ich habe mich um sie beworben.“
„Sie? In Rodenburg — und an der Nikolaikirche?“
Ein helles Erstaunen lag in ihren Worten, die sie einzeln und in grösseren Zwischenräumen hervorbrachte.
„Das scheint Sie wunderzunehmen —?“
„Ja, grosses — Sie, der Mann von Geist, zu dem Fritz mit einer Ehrfurcht emporblickt, die mir — verzeihen Sie! — manchmal rührend, manchmal ein klein wenig komisch erscheint. Sie, das Licht der Familie Warsow, dessen Bücher und Schriften ich nicht zu lesen wagte, weil sie mir zu hoch für meinen dürftigen Geist erschienen. Sie — einfacher Pfarrer in einer Stadt, die, wenn auch nicht gerade klein, doch nur von mittelmässiger Bedeutung ist, jedenfalls verschwindend gegen Königsberg, wo Sie eine Professur erstrebten, die gewiss für Sie passend und Ihrer würdig gewesen wäre. Und nun Pastor in Rodenburg, der Nachfolger des alten braven, aber sehr simplen Maleischke, meines Einsegnungspfarrers — nein, das kommt mir zu überraschend. Was sagt denn Fritz dazu?“
„Er versteht es, weil er mich kennt,“ gab er zurück, jetzt hörbar gereizt durch die Art, mit der sie seine Mitteilung aufnahm. „Weil er weiss, dass mich die immerhin untergeordnete Dozententätigkeit in Bonn nicht befriedigen kann, dass ich wirken muss mit allen meinen Kräften und dies nirgend so gut und gern kann wie als Pfarrer einer grossen Gemeinde. Ich finde, es liegt doch genug des Ähnlichen in seinem und in meinem Entschluss. Er verlässt eine angesehene Stellung, die ihm vielleicht ein bedeutendes Fortkommen verhiess, um als einfacher Lehrling von der Pike an zu lernen.“
Sein Vergleich war zutreffend. Aber sie gab es ihm gegenüber nicht zu. „Doch mit dem Unterschiede,“ sagte sie, „dass aus ihm nie etwas gemacht wurde, dass er trotz seiner anerkannten Tüchtigkeit stets gegen Sie zurücktrat.“
Jetzt lebte es in seinen dunklen Augen auf, die so leicht einen müden, beinah toten Ausdruck hatten; „Ich weiss nicht, wer Ihnen das Recht gibt, mich immer als den weniger Bescheidenen, den sich Überhebenden hinzustellen. Sie kennen mich doch nur aus den Urteilen andrer, die sich — mit Ausnahme von Fritz — mit wenig Liebe und Verständnis mit mir beschäftigt haben. Wollen Sie es mir zur Last legen oder zur Sünde anrechnen, wenn ich durch die Anlage meiner Natur immer abseitsstand?“
Sie hatte nicht gedacht, dass eine solche Leidenschaft aus dem stillen Denker reden konnte. Er mochte recht haben: sie kannte ihn nicht. Sie wollte ein rechtfertigendes Wort sagen, da rollten Räder über die Auffahrt vor dem Hause. In einem einfachen, aber gutbespannten Selbstfahrer, die Zügel führend, sass Fritz; neben ihm der noch immer mit einer bewundernswerten Straffheit sich aufrecht haltende Schikor, der für Fritz in seinen Kindertagen als Lenker und Leiter des herrschaftlichen Kutschstalles eine Respektsperson gewesen und jetzt uralt war wie alles in Bärwalde.
„Nun, hast du deine Angelegenheit in Rodenburg erledigt?“ fragte Fritz, nachdem er Edith und seinen Bruder begrüsst hatte. „Und bist du zufrieden?“
„Darüber lässt sich vorläufig nichts sagen.“
„Hast du Edith von deinem Besuch bei Stoltzmann erzählt? Der ist doch wohl der Obermacher von der ganzen Sache?“
„Wir sind so weit noch nicht gekommen.“
„So weit noch nicht gekommen? Du musst doch schon eine ganze Weile hier sein.“
„Wir sprachen über allgemeinere Dinge,“ fiel Edith ein, „dein Bruder teilte mir eben erst seinen Entschluss mit, sich um die Rodenburger Pfarrstelle zu bewerben. Ich wunderte mich über ihn.“
„Warum wundern? Ich finde, es ist ein sehr vernünftiger Gedanke. Der Mann muss sich praktisch betätigen, das ist die Hauptsache; und für Hans ist es gut, wenn er sich von der unausgesetzt geistigen Beschäftigung auch einmal der rauheren Wirklichkeit zuwendet. Er wird seine Sache schon machen, da kannst du sicher sein.“
Die alte Liebe und Hochschätzung für den älteren Bruder sprach aus seinen Worten. Er sah in dem einfachen dunkelbraunen Jackettanzug nicht mehr so schmuck und schneidig aus wie in der kleidsamen Kürassieruniform. Aber die scharfgeschnittenen Züge seines Gesichts traten um so mehr hervor, und seine braunen Augen blitzten wohlgemut und guter Dinge in die Welt hinein. „Jeder muss am besten wissen, was für ihn gut ist, und kein andrer soll ihm dareinreden. Ich habe es an mir selbst erfahren.“
„Und fühlst du dich wohl in deiner neuen Tätigkeit?“
Er lächelte, sein kluges, stilles Lächeln. „Na, weisst du, anfangs musste ich mich doch verdammt fügen. So von der Pike auf! Und der alte Borowski, den ich bis dahin nur als jovialen guten Mann kannte, ist ein verdammt strenger Herr. Und wehe dem, der seinen Zorn heraufbeschwört! Ich sah ihn einmal, wie er sich auf einen aufsässigen Arbeiter stürzte, und wundre mich heute noch, dass der Mann mit seinem Leben davonkam. Aber wir beide arbeiten gut miteinander.“
„Und der alte Bärwalder?“
„Mit dem kann ich mich vorzüglich verständigen, gerade weil er so knapp und karg in seinen Worten ist. Das hebt mich über vieles hinweg, besonders über die Einsamkeit, die manchmal doch ein bisschen lastend ist.“
„Aber die Hutemach ist noch immer deine beste Freundin?“
„Na ob! Der alte Herr ist manchmal schon ein bisschen eifersüchtig, wenn sie zu gut bei Tisch auf mich aufpasst und mir regelmässig meine Lieblingsspeisen