führte ihn zur regelmässig festgesetzten Stunde, die auf die Sekunde eingehalten werden musste, je nach dem Stand der Witterung im grossen, wohlgepflegten Garten oder auf der Landstrasse spazieren und hegte und pflegte ihn, wie es eine Frau nicht hätte besser tun können.
Auch jetzt beim Abendessen sass sie neben dem „Herrn Hauptmann“ — wie der Reckensteiner und andre Nachbarn wurde auch er noch immer mit dem Titel einer längst verflossenen Soldatenzeit genannt —, reichte ihm die Speisen, gab ihm, was für ihn bekömmlich war, und machte es ihm sorgsam zurecht.
Nun kam auch Fritz mit Borowski, dem Inspektor, von der Arbeit. Er hatte sich vollständig umgekleidet, war frisch und guter Dinge und sehr erfreut, wenn der Bruder einmal bei ihnen zu Tische sass. Und mit welcher Lust er zugriff! Im Sommer eine grosse Satte mit dicker Milch und dem groben Landbrot. Im Winter ein hochgefüllter Teller mit warmer Grütze und nachher, wenn es irgend ging, Stippe mit Speck und grauen Erbsen, oder, wenn es hochkam, Schmandkartoffeln mit Bratklops und Quark oder Glumse, das waren seine Leibgerichte. Freudig liess er sie für alle Herrlichkeiten, die die Hutemach für den Onkel und Hans aufgetischt hatte. Denn der war doch ein wenig mehr Kulturmensch geworden und hatte einen zarteren Magen, der für die schwere ostpreussische Küche nicht ganz eingerichtet war. Nur die Sauerampfersuppe mit dem zerlassenen Ei darin oder den Teller mit unverfälschtem Königsberger Fleck liess auch er sich nicht nehmen; eins von beiden musste immer das Mittagessen eröffnen, wenn er einmal da war.
Zum Spätherbst war er sogar für eine ganze Woche auf Urlaub nach Bärwalde gekommen. Das waren Festtage, einer wie der andre.
„Höre, Fritz,“ sagte Hans gleich den ersten Abend, „morgen muss ich zum alten Teichgräber, nach Pronitten, und du musst mit. Es ist unerhört, dass du dem alten Herrn noch nicht einen Besuch gemacht hast.“
„Zum Besuche machen haben wir auf dem Lande keine Zeit, Hans. So hohe kulturelle Ansprüche darfst du an uns nicht stellen. Wir sind Bauern und pflügen unsre Scholle. Um die Menschen, ihre Formen und Gebräuche kümmen wir uns nicht.“
„Aber mit seinem Pfarrer muss man eine Ausnahme machen,“ warf der alte Bärwalder ein, „der Pronitter Pastor hat uns immer nahegestanden. Selbst ich, obwohl ich auf Kirchlichkeit keinen Anspruch machen möchte, bin ab und zu in seine Predigten gefahren. Schon ihm zuliebe.“
„Siehst du, Fritz,“ bemerkte Hans, „dann hättest du den Onkel jetzt, wo er es nicht mehr kann, vertreten müssen, und bist gewiss noch nicht ein einziges Mal da drüben zum Gottesdienst gewesen.“
„Nee, mein Lieber! Nicht ein einziges Mal! Des Sonntags bleibe ich in der Klappe, es ist ja der einzige Tag, wo ich es kann, manchmal bis in den Mittag hinein. Und mein Gottesdienst — na, Hans, diese Wiesen und Felder, das grasende Vieh, die Fohlen in den Koppeln und die rauschenden Wälder rings um uns her, meinst du denn, dass das alles kein Gottesdienst ist, wenn man nur Augen hat, es zu sehen, und Ohren, es zu hören? Für mich wenigstens ist es einer, ich bedarf der Kirche nicht.“
Hans runzelte die Stirn. „Du weisst, wie ich das alles liebe. Aber eine gute Predigt — und der Alte da drüben versteht seine Sache — erhöht mir die Freude daran. Ich glaubte übrigens, du hättest deine Ansicht hierin ein wenig geändert.“
„Herr Warsow hat völlig recht,“ mischte sich jetzt die Hutemach ins Gespräch, deren Wort in Bärwalde viel galt, und die auch den beiden jüngeren Männern gegenüber ein nie angefochtenes Ansehen besass. „Sehen Sie, Herr Rittmeister, wie oft ich Ihnen das gesagt habe! Aber Sie wollten es nicht glauben und meinten, es wäre genug, wenn ich für Sie betete.“
Fritz lenkte ein. „Lass man gut sein, Hans. Ich komme morgen mit, wenn auch nicht gleich, denn du wirst schon des Nachmittags fahren wollen, da habe ich zu tun; aber zum Abend hole ich dich mit der Droschke ab, wäre es auch nur, um dem hübschen Rotkäppchen aus Samaria meine Aufwartung zu machen.“
„Immer der alte!“ sagte Hans, und jetzt war etwas wie Unwillen in seiner Stimme. „Wen meint er denn mit dem hübschen Rotkäppchen aus Samaria?“ wandte er sich an die Hutemach.
„Eine Enkelin vom Herrn Pastor. Sie verlor früh ihre Eltern, da nahmen die beiden Alten sie zu sich nach Pronitten.“
„Ach, ich weiss schon! Die Tochter von Theo, dem Doktor. Er verlor seine Frau an einer schleppenden Krankheit, machte sich Vorwürfe, dass er sie falsch behandelt hatte, und starb dann bald selber. Der Alte hat es schwer genug überwunden, nur sein kindlicher Glaube half ihm dazu.“
Eine kurze Pause.
„Aber warum nennst du sie das Rotkäppchen aus Samaria?“
Fritz lachte. „Weil ich sie eines Mittags hier in unserm Dorfe mit einer roten Kappe auf den blonden Haaren und einem grossen Korbe traf, in dem sie eine Flasche Wein und andre Stärkungsmittel für den alten Karenke brachte.“
„War der krank?“
„Ja, sehr krank. Er blickt öfters so tief ins Glas, dass Beelzebub und andre Teufel in ihm rasen.“
„Nein, Herr Rittmeister, Sie müssen immer Ihren Spott haben!“ sagte die Hutemach, und zu Hans erläuternd: „Die kleine Teichgräber wollte gar nicht zu ihm, sondern zu seiner Frau, die seit langer Zeit schwer leidend ist, und die der Herr Pastor immer besucht, wenn er nach Bärwalde kommt.“
„Aber die Flasche Wein sollte für ihn sein, damit er sich den Fusel abgewöhnt! Das ist Tatsache. Die Kleine hat übrigens was Gutes damit angerichtet, denn seitdem ist der alte Karenke vornehm geworden und trinkt nur noch Rotwein. Und Onkels Marke bevorzugt er. Oder spreche ich wieder die Unwahrheit?“ Und mit einem triumphierenden Blick zu der Hutemach, mit der er bei aller Freundschaft öfters auf dem Kriegsfuss stand: „Warum haben Sie denn die Marie, seine Tochter, die doch ein so gutes Stubenmädchen war, eines Tags Knall und Fall entlassen? Weil Herr Borowski in der Stube des Alten zehn leere Flaschen von der Sorte, die dort auf dem Tische steht, gefunden hat. Aber es geht nichts über die Samariterdienste junger Damen.“
Nun lachte auch der alte Bärwalder. Und nichts freute die Hutemach mehr, als wenn er es einmal tat. Er konnte noch so herzlich und kindlich froh lachen.
In der mit Pfeifenkraut dicht überwucherten Laube des Pronitter Pfarrgartens war der Kaffeetisch gedeckt. Eine hochgetürmte Schüssel voll frischgebackenen Glumsekuchens stand, von zwei altmodischen Vasen mit herbstlichen Blumen eingefasst, in der Mitte der Tafel. Das saftige Goldgelb des Teigs mit den vielen dunklen Punkten der grossen und kleinen Rosinen lockte auch den verwöhntesten Geschmack; denn niemand verstand sich auf die Glumsekuchen so gut wie die Frau Pastor; seit langer Zeit hatte sie diesen Ruf in der ganzen Umgegend. In einer silbernen Kanne, die, ein altes Erbstück der Pfarrfamilie, schon Jahrhunderte überdauert, schimmerte der Schmandt. Der Kaffee war noch nicht da, der wurde erst bereitet, wenn der Besuch im Anzuge war.
In einem bequemen Gartenstuhl sass der Pfarrer und las die Zeitung, die eben angekommen war. Er war ein Mann von Mittelgrösse und muskulösem Körperbau. Auf dem gedrungenen Rumpfe sass ein grosser, eckiger Kopf mit weissen, aber noch ganz dichten Haaren, einem festgefügten Munde und kleinen mausgrauen Augen, die unter buschigen Brauen träumten. Früher hatten sie gewiss geblitzt, jetzt waren sie stiller geworden — ein rechter, echter Gelehrtenkopf mit dem Hang zur Nachdenklichkeit, aber nicht ohne Neigung zur Tat. Auf den trotz seiner siebzig Jahre noch frischen Zügen der Ausdruck einer Reife und Geklärtheit, der man anzusehen meinte, dass sie erst nach manchem harten Kampf gewonnen wurde.
Seine Frau sah viel älter und sorgengebeugter aus als er, obwohl sie zehn Jahre jünger war. Sie hatte ein kleines, feines Gesicht und einen müden Klang in der Sprache; sie krankte noch immer an dem frühen Tode des einzigen, hoffnungsvollen Sohnes. Die Widerstände des Lebens, die ihn stark und fest gemacht, hatten sie gebrochen. Ein Fussleiden, das sich seit Jahresfrist eingestellt, zwang sie, beim Gehen einen Stock zu Hilfe zu nehmen; dennoch war sie von unaufhaltsamer Tätigkeit in ihrer Wirtschaft.
„Dass der Hans seinen alten Lehrer nicht vergessen würde, das wusste ich wohl,“ sagte der Pfarrer, indem er Zigarre und Zeitung fortlegte. „Wie oft haben wir hier gesessen und über allerlei theologische und philosophische Fragen verhandelt! Er hatte damals schon