und Fritz mögt sie ja besser kennen. Aber ich finde, es liegt etwas in ihr — ich will es nicht Hochmut nennen, aber etwas Ablehnendes, etwas sich Ausschliessendes von dieser Art gemeinsinniger Tätigkeit.“
„Es käme auf die Probe an. Du sprachst immer davon, dass du dem alten Herrn deinen Besuch machen müsstest, du könntest bei dieser Gelegenheit mit ihr sprechen.“
Einen Augenblick besann er sich. „Gut,“ sagte er dann, „ich werde morgen zu ihr gehen.“
Edith war eben mit ihrem Vater vom Arzt nach Hause zurückgekehrt, als ihr Hans Warsow gemeldet wurde.
Dem alten Reckensteiner ging es wesentlich besser. Die Kur hatte Wunder getan. Aber in die Stadt und ihre wunderlichen Gepflogenheiten konnte er sich noch immer nicht finden. Und da er Besuche höchstens des Nachmittags und zum Abend kannte, murrte er über diese zwecklose Störung seiner Ruhe, die ihm vor dem Essen verordnet war.
„Ich lasse mich nicht sehen; sprich du mit ihm, wenn’s sein muss. Aber mach’s kurz!“
„Mein Besuch gilt auch in der Hauptsache Ihnen, Fräulein von Barrnhoff,“ erwiderte Hans, als sie den Vater mit seiner Krankheit entschuldigte. Und um sofort zu seinem eigentlichen Zweck zu kommen: „Ich wollte Sie bitten, in den Vorstand eines Diakonievereins einzutreten, den wir nach dem Vorgang andrer auch in unsrer Nikolaigemeinde gründen wollen.“
„Einen Diakonieverein — was ist das? Verzeihen Sie meine Unwissenheit in diesen Dingen.“
„Ein Verein, in dem sich unter dem Vorsitz des Pfarrers eine Anzahl von Damen zusammentut, um persönlich die Pflege der Armen und Kranken zu übernehmen.“
„Und wie geschieht das? Ich meine, wie machen sie das?“
„Nun, indem sie sie in ihrer Wohnung aufsuchen, ihre Lebensverhältnisse prüfen und ihrer Not durch Besorgung von Nahrungsmitteln oder in einer andern geeigneten Weise steuern.“
„Sie suchen sie in ihren Wohnungen auf?“
„Ja, gerade auf diese persönliche Betätigung und Anteilnahme legen wir Wert. Die Armen und Kranken sollen merken, dass man auch in den oberen Schichten ein Herz für sie hat. Eine Brücke soll gebaut werden, den Kampf der Klassen zu versöhnen, der auch unsre Stadt erfüllt.“
„Den Kampf der Klassen zu versöhnen —“ wiederholte sie langsam, und ein stilles Lächeln lag auf ihren Lippen. Sein Auge ruhte auf ihrer Erscheinung. Ihre schlanke Gestalt mit dem Ebenmass der Glieder und den weichen, etwas langsamen Bewegungen, der Kopf mit dem scharfgeschnittenen Gesicht und jener ausgesprochenen Bestimmtheit in ihm, die weiss, was sie will, und nicht lange fragt, und über alledem die Krone der wundervollen Haare, etwas ausgesprochen Deutsches und ländlich Aristokratisches zugleich sprach aus ihrer Erscheinung und ihrem Antlitz. Er konnte sich dem Eindruck ihrer Persönlichkeit nicht entziehen. Sie war die erste Frau, die eine gewisse Gewalt auf ihn übte.
„Ich bin Ihnen dankbar, Herr Pfarrer, für das Vertrauen, das Sie in mich setzen,“ erwiderte sie nach kurzer Überlegung. „Aber Sie dürfen es mir nicht zur Last legen, wenn ich es nicht rechtfertige. Ihre Wahl ist nicht auf die Richtige gefallen.“
„Ich war auf diese Antwort vorbereitet,“ sagte er sehr ruhig, „und doch wüsste ich gern, weshalb Sie mir eine so kurz abschlägige Antwort geben.“
Sie zögerte einen Augenblick. „Weil es mir die Hauptsache für einen Menschen und sein Handeln erscheint, dass er weiss, wo seine Bestimmung liegt, und wessen er sich fähig fühlt. Denn nur da kann er mit Erfolg und Befriedigung wirken. Dieser Art von Arbeit, wie Sie sie von mir wünschen, halte ich mich nicht für fähig.“
„Nein,“ antwortete er mit derselben Ruhe, „daran liegt es nicht. Aber Sie wollen nicht, das ist es.“
„Wer sagt Ihnen, dass ich nicht will?“
„Ihr ganzes Verhalten von Anfang an. Stets haben Sie mit Geringschätzung, manchmal beinah feindlich, auf das gesehen, worin ich meine Bestimmung erblickte, was ich mit gutem, redlichem Willen begann. Mein geistiges Streben haben Sie verachtet, meine Bücher nie gelesen, nicht einmal das über Ostpreussen. Bei manchen Kapiteln, die ich in stiller Stunde schrieb, habe ich an Sie gedacht, an den Eindruck, den es wohl auf Sie machen würde — und Sie lasen es nicht einmal —“
„An mich haben Sie gedacht?“
In ihrer Stimme war mit einemmal ein andrer Klang: etwas Erstauntes, Erschrecktes beinahe, zugleich etwas Weiches, Warmes, wie er es bisher noch nicht an ihr gehört hatte.
„Ja, an Sie,“ gab er offen zurück. „Es ist etwas in Ihnen, in Ihrer Erscheinung, in Ihrem Wesen, das mir dies Land in seiner Kraft und Grösse verkörpert.“
Sie sah ihn an, ein wunderbarer Glanz war in ihren Augen — aber nur für eine Sekunde, dann hatte es wieder jenen Ausdruck von leiser Starrheit, der ihm so oft zu eigen, und den er in ihnen nicht mochte.
„Ich wechselte meine Tätigkeit“, fuhr er fort, und seine Sprache wurde lebhafter und schneller, „und kam als Geistlicher hierher. Ich mag im neuen Amte manches falsch angefasst, manchen Irrtum begangen haben — es ist nicht leicht, sich in so veränderte Verhältnisse zu finden, besonders wenn man in allem, was man sagt und tut, vorbildlich sein soll —, aber eins darf ich von mir behaupten: ich brachte auch hierher den guten, redlichen Willen und, wenn es sich nicht überhebend anhört: das reine Herz.“
„Ich glaube es Ihnen.“
„Aber Sie helfen mir nicht, wenn ich Sie bitte.“
„Ich möchte Ihnen etwas sagen, Herr Pastor Warsow, selbst auf die Gefahr hin, dass wir uns dann gar nicht mehr verstehen werden —“
Er merkte, dass es ihr nicht leicht wurde, fortzufahren.
„Ich — ja, ich kann auch von dieser Art von werktätiger Arbeit nicht so viel halten wie Sie. Die Pflege der Armen und Kranken der Gemeinde, es ist ein schöner, edler Gedanke. Aber glauben Sie wirklich, dass die Frauen, die Sie zu diesem Zweck zusammenrufen, fähig sind, ihn in die Tat umzusetzen?“
„Es wird ihnen im Anfang schwer sein; dann werden sie in ihre Aufgabe hineinwachsen.“
„Am guten Willen wird es ihnen nicht fehlen, sicher nicht. Sie werden mit vollen Händen geben — immer dem Falschen! Denn woher haben sie den Blick für die wirkliche Not, woher die Übung? Ich fürchte, was sie auf diese Weise schaffen, ist wiederum ein Dilettantismus der Arbeit, der mir von jeher verhasst gewesen.“
„Vielleicht haben Sie selber noch nicht einen Versuch gemacht?“
„Ich bin in Reckenstein nicht müssig gewesen und habe meine Erfahrungen; da kannte ich die Leute beinah alle — und gab doch immer dem Unrechten. Mich jetzt zu ganz fremden Leuten in einer unbekannten Gemeinde mit einer so verantwortungsvollen Sendung zu begeben, dazu fehlt mir der Mut.“
Sie hatte sich erhoben und stand ihm in gerader Haltung gegenüber; dann war das herb Verschlossene auch in ihrer Gestalt.
Als Hans von Edith ging, war beides in ihm: Unwille und Traurigkeit. Und er wusste nicht, was von beiden das grössere war.
Von dieser Stunde an war eine Veränderung in ihm. Man merkte sie in seinem Wesen wie in seinem Wirken. Er war fleissiger und hingebender in seiner Arbeit denn je. Aber er kämpfte mit manchen Schwierigkeiten in seinem Amte, die ihn um so mehr berührten, je gewissenhafter er alles nahm.
Der Frühling kam und brachte einige schöne Tage des Zusammenseins der drei Geschwister in Bärwalde. Aber auch Fritz fand den Bruder verändert.
„Es ist die unausgesetzte geistige Tätigkeit, die ihn mitgenommen hat,“ sagte er zu Else. „Hätte er meine gesunde Arbeit in der freien Natur, dann wäre er frisch und wohl wie ich.“
An einem Abend auf der Hofveranda nahmen sie ihn beide vor: er müsste ausspannen und etwas für sich tun. Er sträubte sich.
Als aber der Sommer näher kam, und die Tage in Rodenburg heiss und lähmend für die Arbeit wurden, packte