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Klappentext
Yorkshire, zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Das Leben der jungen Caroline, die nach dem Tod des Vaters und dem Weggang der Mutter ohne Vermögen und Zukunftsperspektive in der Nähe ihres Cousins Robert lebt, erfährt eine Wendung, als Shirley Keeldar in ihr Leben tritt: Die junge Gutsbesitzerin, die von ihren Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt hat, ist selbstbewusst, unabhängig und unkonventionell, und stört sich nicht am spießigen Regelkodex ihrer Zeit. Die beiden jungen Frauen inspirieren sich gegenseitig und schmieden Zukunftspläne – in denen auch Cousin Robert und dessen Bruder Louis wichtige Rollen zugedacht sind ...
Charlotte Brontë (1816–1855) war eine britische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte ihre Romane unter dem Pseudonym Currer Bell und war eine der drei hochbegabten Brontë-Schwestern, von denen jede bleibende literarische Werke schuf.
Eine Kurzbiographie der Autorin finden Sie im Anhang.
ERSTES BUCH
I – Levitisch
In den letzten Jahren hat sich ein wahrer Sturzregen von Hilfsgeistlichen über den Norden Englands ergossen. Sie sind dicht über die Hügel verteilt. Jedes Kirchspiel hat einen oder mehrere. Sie sind jung genug, um sehr tatkräftig zu sein, und könnten viel Gutes bewirken. Doch nicht von den jüngsten Jahren reden wir, wir gehen zurück zum Anfang unseres Jahrhunderts. Späte Jahre, wie die gegenwärtigen, sind staubig, sonnenverbrannt, heiß, trocken. Wir wollen die Hitze vermeiden, sie in der Siesta vergessen, den Mittag im Schlummer verleben und von der Morgendämmerung träumen.
Lieber Leser, wenn du nach diesem Vorspiel glaubst, dass etwas wie eine Romanze vor dir ausgebreitet werden soll, so hast du dich gewaltig geirrt. Erwartest du Sentimentalität, Poesie und Träumerei? Hast du mit Leidenschaft, Aufregung und Melodramatik gerechnet? Mäßige deine Erwartungen, bringe sie auf einen geringeren Stand. Etwas Wirkliches, Kühles und Solides liegt vor dir, etwas ebenso unromantisches wie ein Montagmorgen, wenn alle, die zu arbeiten haben, mit dem Bewusstsein aufwachen, dass sie aufstehen und daran gehen müssen. Wir wollen nicht mit Sicherheit behaupten, dass du nicht vielleicht in der Mitte oder am Ende dieser Mahlzeit etwas Pikantes finden könntest, aber so viel ist gewiss: Der erste Gang, der auf die Tafel gesetzt wird, wird einer sein, den ein Katholik – ja sogar ein englischer Katholik – am Karfreitag essen kann. Kalte Erbsen und Essig ohne Öl, ungesäuertes Brot mit bitteren Kräutern und kein Lammbraten.
In den letzten Jahren, sagte ich, hat sich ein wahrer Sturzregen von Hilfsgeistlichen über den Norden Englands ergossen, aber um 1811, 1812 war derselbe noch nicht niedergegangen. Hilfsgeistliche waren selten. Es gab noch keine Seelsorge-Hilfe, keine Hilfsgeistlichen-Gesellschaft, die überarbeiteten alten Pfarrherren und Würdenträgern eine helfende Hand ausstreckte und ihnen Mittel verlieh, einen kräftigen, jungen Kollegen aus Oxford oder Cambridge zu bezahlen. Die jetzigen Nachfolger der Apostel, Schüler des Dr. Pursey und Werkzeuge der Propaganda, wurden damals noch in Wiegenbetten gehätschelt oder erlitten ihre Wiedergeburt durch die Nottaufe im Handbecken. Du hättest durchaus nicht vermuten können, wenn dir einer derselben vor die Augen gekommen wäre, dass die italienisch gebügelte Doppelkrause seines Haarnetzes die Augenbrauen eines präordinierten, ganz speziell geweihten Nachfolgers des heiligen Pauls, Peters oder Johannes umgebe, ebenso wenig, wie du in den Falten seiner langen Nachtjacke das weiße Chorhemd vermutet hättest, in welchem später die Seelen seiner Gemeinde aufs Grausamste eingeübt und sein altmodischer Vikar völlig in die Enge getrieben werden sollte, wenn das weitärmelige Gewand hoch oben auf einer Kanzel gehandhabt wurde, das zuvor nie höher als über das Lesepult ausgebreitet worden war. Aber selbst in jenen Tagen des Mangels gab es dennoch Hilfsgeistliche. Diese kostbare Pflanze war zwar selten, fand sich aber doch. Ein gewisser begünstigter Landstrich an der Westgrenze von Yorkshire konnte sich dreier Aaron-Stäbe rühmen, die in einem Umfang von zwanzig englischen Meilen blühten. Du sollst sie sehen, lieber Leser. Gehe in das nette Gartenhaus am Ende von Whinbury, tritt in den kleinen Salon – da sitzen sie bei Tisch. Vergönne mir, sie dir vorzustellen. Mr. Donne, Hilfsgeistlicher von Whinbury, Mr. Malone, desgleichen von Briarfield, Mr. Sweeting, ebenso von Nunnely. Dies ist Mr. Donnes Zimmer, zur Wohnung eines gewissen John Gale, eines kleinen Tuchmachers, gehörend. Mr. Donne hat seine Brüder freundlich eingeladen, mit ihm zu speisen. Du und ich, wir wollen ebenfalls dabei sein, sieh also, was zu sehen, und höre, was zu hören ist. Jetzt speisen sie aber noch und während sie dies tun, wollen wir zur Seite treten.
Diese Herren stehen in der Blüte der Jugend. Sie besitzen alle Tatkraft dieses interessanten Alters, eine Emsigkeit, die ihre abgestumpften alten Vikare gern in den Kanal ihrer Pastoralspflichten leiten, indem sie oft den Wunsch äußern, sie durch eine sorgfältige Überwachung der Schulen und fleißige Besuche bei ihren kranken Gemeindemitgliedern ausgedehnt zu wissen. Die jugendlichen Leviten halten dies jedoch für unnütz. Sie ziehen es vor, ihre Kräfte an eine Lebensweise zu verschwenden, die, wenn sie auch anderen Augen langweiliger und eintöniger als die Arbeit eines Webers an seinem Webstuhl erschiene, ihnen doch eine unabsehbare Menge von Vergnügen und Beschäftigung zu gewähren scheint.
Ich meine nämlich damit ein stetes Hin- und Herwandern zwischen ihren Quartieren, keine Runde, sondern ein Dreieck von Besuchen, die sie sich das ganze Jahr hindurch, Winter und Frühling, Sommer und Herbst, abstatten. Jahreszeit und Witterung machen keinen Unterschied. Mit unermüdlichem Eifer trotzen sie Schnee und Hagel, Wind und Regen, Schlamm und Staub, um sich zu besuchen, Tee zu trinken und mittags und abends zu essen. Es ist schwer zu sagen, was sie so zueinander zieht. Freundschaft ist es nicht, denn sooft sie zusammenkommen, streiten sie sich. Religion ist es nicht, dieses Thema wird nie von ihnen berührt. Theologie mögen sie wohl gelegentlich besprechen, aber Frömmigkeit – nie. Auch ist es nicht Liebe zum Essen und Trinken, denn jeder könnte ebenso gut eine Hammelkeule und Pudding, ebenso starken Tee und saftigen Toast zu Hause haben, wie es ihm von seinen Brüdern vorgesetzt wird. Mrs. Gale, Mrs. Hogg und Mrs. Wipp, ihre jeweiligen Wirtinnen, versichern, dass sie es bloß deshalb tun, um anderen Leuten Unbequemlichkeiten zu bereiten. Unter den anderen Leuten verstehen die guten Damen sich selbst, denn sie werden allerdings durch dieses System gegenseitiger Einladung in steter Unruhe gehalten.
Mr. Donne und seine Gäste sitzen also beim Mittagsessen. Mrs. Gale wartet ihnen auf, aber ein Funke heißen Küchenfeuers funkelt in ihren Augen. Sie bedenkt, dass das Vorrecht, gelegentlich zu einem Mittagsmahl ohne viele Beschwerden einzuladen (ein Vorrecht, das in die Bedingungen mit aufgenommen worden ist, unter welchen sie vermietet hat), doch zuletzt völlig hinreichend ausgeübt worden ist. In dieser Woche ist es erst Donnerstag, und bereits am Montag ist Mr. Malone, der Hilfsgeistliche von Briarfield, zu Frühstück und Mittagsessen gekommen, Dienstag Mr. Malone und Mr. Sweeting aus Nunnely zum Tee, sie waren zum Abendessen geblieben, hatten das Gastbett eingenommen und sie mit ihrer Gesellschaft beim Frühstück am Mittwochmorgen beehrt und jetzt, am Donnerstag, waren sie beide zu Mittag hier und Mrs. Gale fest überzeugt, sie würden die ganze Nacht über verweilen. »C’en est trop!«1 würde sie gesagt haben, wenn sie Französisch sprechen könnte.
Mr. Sweeting zerschneidet die Scheibe Roastbeef auf seinem Teller und klagt, dass sie sehr zäh sei. Mr. Donne sagt, ihr Bier sei schal. Oh! Das ist das Schlimmste von allem. Wenn sie nur wenigstens höflich wären, würde Mrs. Gale es nicht so genau nehmen. Wenn sie nur wenigstens mit dem zufrieden zu sein schienen, was sie bekämen, würde sie es noch hingehen lassen, aber diese jungen Leute sind so vornehm und so hochmütig, sie setzen jedermann unter sich herab, sie behandeln sie sogar geradezu unhöflich, weil sie keine Magd hält, sondern alles im Haus selbst verrichtet, wie ihre Mutter es auch getan hat, und dann sprechen sie auch stets Böses von den Yorkshirer Straßen und Yorkshirer Leuten, sodass Mrs. Gale eben dadurch überzeugt wird, dass keiner von ihnen ein echter Gentleman oder von guter Herkunft sei. Der alte Pfarrer ist mehr wert, als das ganze Bündel von diesen Schulknaben. Er kennt die guten Sitten und ist freundlich gegen Hohe und Niedere.
»Mehr Brot!« schrie Mr. Malone in einem Ton, der, obgleich er nur um zwei Silben verlängert war, ihn doch sogleich als den