Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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halbverhängten Fenster, der Anblick von Gläsern auf einem runden Tisch und Zechender auf einer eichenen Bank den Geistlichen von seinem Weg abgelenkt. Er dachte sehnsüchtig an einen Tummler mit Whisky und Wasser. An einem fremden Ort würde er seinen Traum sogleich verwirklicht haben, aber die in dieser Gaststube versammelte Gesellschaft bestand aus Mr. Helstones eigenen Gemeindemitgliedern. Sie kannten ihn alle. Er seufzte und ging vorüber.

      Jetzt musste er die Heerstraße verlassen, da man den restlichen Weg nach Hollow’s Mill durch einen Querweg über die Felder bedeutend verkürzen konnte. Diese Felder waren eben und monoton. Malone ging geradeaus durch dieselben, und sprang über Hecken und Mauern. Nur an einem Gebäude kam er vorbei und dieses schien ihm groß und anständig, obgleich unregelmäßig. Man konnte einen hohen Giebel erkennen, dann eine lange Fassade, dann wieder einen niedrigen Giebel und zuletzt eine starke und hohe Reihe von Schornsteinen, dahinter einige Bäume. Es war finster, kein einziges Licht schien aus einem der Fenster. Ganz still war es auch. Der Regen rann aus den Dachrinnen und das ziemlich stürmische, aber doch sehr leise Flüstern des Windes um die Schornsteine und durch die Äste war das einzige Geräusch.

      Hinter diesem Gebäude senkten sich die bis dahin flachen Felder schnell abwärts. Offenbar lag ein Tal da unten, und man konnte Wasser durch dasselbe rauschen hören. Ein Licht flimmerte aus der Tiefe. Auf dieses Leuchtsignal steuerte Malone zu.

      Er gelangte zu einem kleines weißen Haus – dass es weiß war, konnte man selbst durch die dichte Finsternis sehen – und klopfte an die Tür. Eine rotwangige Magd öffnete. Durch ein Licht, das sie hielt, wurde ein enger Gang sichtbar, der an einer ebensolchen Treppe endete. Zwei mit rotem Filz verkleidete Türen und ein Streifen roten Teppichs die Treppen hinab stachen von den weiß gestrichenen Wänden und der weißen Diele ab, wodurch der kleine Raum hell und freundlich aussah.

      »Mr. Moore ist daheim, wie ich hoffe.«

      »Ja, Sir, aber nicht hier.«

      »Nicht hier! Wo ist er denn?«

      »In der Fabrik, im Kontor.«

      Hier öffnete sich eine der roten Türen.

      »Sind die Wagen da, Sarah?« fragte eine Frauenstimme und zugleich ließ sich ein Frauenkopf sehen. Der Kopf einer Göttin war es freilich nicht, denn ein gedrehter papierener Haarwickel auf jeder Seite der Schläfe ließ diese Annahme nicht zu, aber es war auch nicht der einer Gorgone4. Dennoch schien Malone ihn im letzten Licht für eine solche zu halten. So stark und groß wie er war, schreckte er bei diesem Anblick schüchtern in den Regen zurück und eilte mit den Worten: »Ich will zu ihm gehen«, in anscheinender Hast eine kurze Strecke fort über einen dunklen Hof zu einem großen, schwarzen Fabrikgebäude.

      Die Arbeitsstunden waren vorüber, die Werkleute fortgegangen, die Maschinerie stand still, die Fabrik war verschlossen.

      Malone ging um dieselbe herum. An ihrer breiten, rußigen Seite sah er endlich ein Licht blinken. Er klopfte wieder an eine Tür, wozu er sich des dicken Endes seines Knüppels bediente und damit ein lautes Geräusch machte. Ein Schlüssel wurde gedreht und die Tür geöffnet.

      »Ist es Joe Scott? Wie steht’s mit den Wagen, Joe?«

      »Nein, ich bin es. Mr. Helstone hat mich hergeschickt.«

      »Oh, Mr. Malone!« Als die Stimme diesen Namen sprach, lag einiger Verdruss darin, doch so wenig wie möglich. Nach einer augenblicklichen Pause fuhr sie höflich, doch etwas förmlich fort:

      »Haben Sie doch die Güte, hereinzukommen, Mr. Malone. Ich bedauere sehr, dass Mr. Helstone es für notwendig erachtet hat, Sie so weit hierher zu bemühen. Es wäre gar nicht nötig gewesen. Ich sagte es ihm auch – und in einer solchen Nacht – doch kommen Sie herein!«

      Malone folgte durch ein dunkles, nicht näher zu erkennendes Gemach dem Sprecher in einen hellen und glänzenden inneren Raum. Hell und glänzend kam er den Augen allerdings vor, die sich seit einer Stunde bemüht hatten, die doppelte Finsternis von Nacht und Nebel zu durchdringen. Abgesehen von einem vortrefflichen Feuer und einer elegantem Lampe, die auf einem Tisch einen munteren Schein verbreitete, war jedoch alles sehr einfach gehalten. Die hölzerne Diele war ohne Teppich, die drei bis vier steiflehnigen, grün lackierten Stühle schienen ehemals in die Küche einer Pächterwohnung gehört zu haben. Ein Tisch von starker, solider Form, der vorhin erwähnte, und einige eingerahmte Bilder an den steinfarbig gestrichenen Wänden, Pläne zu Gebäuden und Gärten, sowie Muster zu Maschinen usw. darstellend, vervollständigten die Möblierung.

      So einfach es auch war, so schien es doch Malone zu befriedigen, der, als er seinen durchnässten Oberrock und Hut aufgehängt hatte, einen der rheumatisch aussehenden Stühle an den Kamin zog und seine Knie fast ganz innerhalb der Stangen des roten Rostes stellte.

      »Sie wohnen hier recht hübsch, Mr. Moore, und so ganz sich selbst gehörend.«

      »Allerdings, aber meiner Schwester würde es sehr angenehm sein, Sie zu sehen, wenn Sie lieber in das Haus gehen wollten.«

      »Ach nein! Die Damen sind am besten allein. Ich war nie ein großer Damenfreund. Sie halten mich doch nicht etwa für meinen Freund Sweeting, Mr. Moore?«

      »Sweeting? Welcher ist denn das? Der Herr in dem schokoladenfarbenen Oberrock oder der kleine Herr?«

      »Der kleine, der aus Nunnely, der Ritter der Misses Sykes, in welche alle sechs er verliebt ist, ha, ha, ha!«

      »Besser, im Allgemeinen in alle, als im Speziellen in eine, sollte ich in dieser Beziehung glauben.«

      »Aber er ist auch speziell in eine verliebt, denn als ich und Donne in ihn drangen, eine Auswahl unter der schönen Schar zu treffen, so nannte er – wen denken Sie wohl?«

      Mit einem sonderbaren ruhigen Lächeln entgegnete Mr. Moore: »Dora gewiss, oder Harriet?«

      »Ha, ha, ha! Sie können vortrefflich raten. Aber warum kommen Sie gerade auf diese beiden?«

      »Weil sie die größten, die schönsten sind. Dora ist wenigstens die ansehnlichste, und da Ihr Freund, Mr. Sweeting, nur klein und mager ist, schloss ich daraus, nach einer in solchen Fällen oft vorkommenden Regel, dass er seinen Kontrast vorzieht.«

      »Sie haben recht, Dora ist es. Aber er hat keine Aussicht, nicht wahr, Moore?«

      »Was hat denn Mr. Sweeting außer seiner Stelle als Hilfsgeistlicher?«

      Diese Frage schien Malone erstaunlich zu beunruhigen. Er lachte länger als drei Minuten und antwortete dann:

      »Was Sweeting hat? Nun, David hat seine Harfe oder Flöte, was auf eines hinausläuft. Auch hat er noch eine Art von Talmi-Uhr, gleichfalls einen Ring sowie eine Lorgnette. Das ist es, was er hat.«

      »Wie könnte er denn da Miss Sykes nur allein mit Unterröcken ausstatten?«

      »Ha, ha, ha! Vortrefflich! Ich frage ihn dazu, sobald ich ihn sehe. Ich will ihn wegen seiner Anmaßung schon auf den Rost legen. Aber zweifellos hofft er, der alte Christoph Sykes werde ihm etwas entgegenkommen. Er ist reich, nicht wahr? Er wohnt in einem großen Haus.«

      »Sykes leben auf großem Fuß.«

      »Daher muss er vermögend sein, Sir?«

      »Daher muss er mit seinem Vermögen frei schalten können, und in diesen Zeiten würde es ebenso gut sein, Geld damit verdienen zu wollen, seinen Töchtern Ausstattungen zu geben, als wenn ich diese Hütte hier niederrisse, um mir auf ihren Ruinen ein Haus zu bauen, so groß wie Fieldhead.«

      »Wissen Sie, was ich neulich hörte, Moore?«

      »Nein. Vielleicht, dass ich im Begriff stünde, so etwas zu tun? Ihre Briarfield’schen Klatschbasen sind imstande, so etwas und vielleicht noch tolleres Zeug zu schwatzen.«

      »Dass Sie Fieldhead pachten wollten – nebenbei gesagt, kam es mir, als ich heute Nacht vorüberging, sehr unfreundlich vor – und dass es Ihre Absicht sei, eine Miss Sykes dort als Gebieterin einzuführen, kurz, sich zu verheiraten, ha, ha, ha! Nun, welche ist es?