Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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gebauter Mann, mit wahrhaft irischen Beinen und Armen und einem ebensolchen Gesicht, nicht dem milesischen, nicht im Stil Daniel O’Connels, sondern der wilden, nordamerikanisch-indianischen Art von Gesicht, das einer gewissen Klasse der irischen Vornehmen eigen ist und ihm ein versteinertes und stolzes Ansehen gibt, wie es sich besser für den Besitzer einer Sklavenplantage, als den Landeigner unter freien Bauern eignet. Mr. Malones Vater nannte sich einen Gentleman, er war arm und verschuldet und von lächerlichem Stolz, und sein Sohn gleicht ihm vollkommen.

      Mrs. Gale gab ihm das Brot.

      »Schneiden Sie es, Frau!« sagte ihr Gast, und ›die Frau‹ schnitt es auch. Wäre sie ihrer Neigung gefolgt, würde sie auch den Pfarrer geschnitten haben. Ihr Yorkshire-Gemüt empörte sich heftig gegen diese Art zu befehlen.

      Die Herren hatten guten Appetit, und wenn das Rindfleisch auch zäh war, aßen sie doch ein tüchtiges Stück davon. Sie tranken auch eine erträgliche Menge des ›schalen Biers‹, während eine Schüssel mit Yorkshire-Pudding und zwei mit Gemüse verschwanden, wie Blätter vor Heuschrecken. Auch der Käse bekam ausgezeichnete Spuren ihrer Aufmerksamkeit zu spüren und ein ›Gewürzkuchen‹, der als Dessert folgte, wurde unsichtbar wie eine Erscheinung, und seine Spur ward nicht mehr gefunden. In der Küche sang Abraham, Mrs. Gales Sohn und Erbe, ein Junge von sechs Sommern, dessen Elegie. Er hatte mit der Rückkehr desselben gerechnet, und als die Mutter den leeren Teller hereinbrachte, erhob er seine Stimme und weinte bitterlich.

      Währenddessen saßen die Hilfsgeistlichen und tranken ihren Wein, ein Getränk anspruchsloser Lese, mäßig erheiternd. Mr. Malone hätte allerdings lieber Whisky gehabt, aber da Mr. Donne Engländer war, besaß er dieses Getränk nicht. Indem sie zechten, disputierten sie, nicht über Politik, noch weniger über Philosophie, am wenigsten über Literatur. Diese drei Gegenstände waren ohne jedes Interesse für sie. Selbst nicht über praktische oder wissenschaftliche Theologie, sondern über kleinliche Punkte der kirchlichen Disziplin; Frivolitäten, die allen anderen außer ihnen als bloße Seifenblasen vorkommen mussten. Mr. Malone, dem es glückte, zwei Gläser Wein zu trinken, während seine Mitbrüder sich mit einem begnügten, wurde nach und nach auf seine Weise lustig, das heißt, er wurde ein wenig grob, sagte rohe Dinge in anmaßendem Ton und lachte überlaut über seinen eigenen Witz.

      Jeder seiner Gefährten wurde der Reihe nach seine Zielscheibe. Malone hatte eine Menge von Scherzreden zu ihren Diensten, die er bei gastlichen Gelegenheiten, wie der gegenwärtigen, regelmäßig servierte, doch selten veränderte. Das war aber auch kaum nötig, da er sich selbst nie für monoton hielt und sich auch nicht darum kümmerte, was andere dachten. Mr. Donne beglückte er durch Anspielungen auf dessen außerordentliche Magerkeit und Sticheleien über seine Stupsnase, besonders aber mit Sarkasmen auf einen gewissen fadenscheinigen schokoladenfarbenen Überrock, welchen dieser Gentleman gewohnt war, wenn es regnete oder Regen zu erwarten war, zu tragen, sowie mit Kritiken über einen ausgesuchten Vorrat gezierter Phrasen und Arten, die Worte auszusprechen, die Mr. Donne ganz eigen waren und wegen der Eleganz und Feinheit, die sie seinem Stil verliehen, wohl bemerkt zu werden verdienten.

      Mr. Sweeting wurde wegen seines Wuchses aufgezogen. Er war ein kleiner Mann, ein wahrer Knabe an Größe und Stärke in Vergleich zu dem riesenhaften Malone. So scherzte dieser auch über dessen musikalische Kenntnisse. Er spielte die Flöte und sang Hymnen wie ein Seraph, wenigstens glaubten es einige junge Damen seiner Gemeinde. Ferner neckte er ihn als Liebling der Damen und verspottete ihn wegen seiner Mutter und Schwestern, nach denen der arme Sweeting sich oft sehnte und von denen er, töricht genug, manchmal in Gegenwart des geistlichen Lustigmachers sprach, bei dessen körperlichen Merkmalen das Ergänzen der natürlichen Zuneigung irgendwie vergessen worden war.

      Die Schlachtopfer nahmen diese Angriffe jeder nach seiner eigenen Art und Weise auf. Mr. Donne mit einer vornehmen Selbstgefälligkeit und einer halb trotzigen Teilnahmslosigkeit, dem einzigen Zeichen seiner außerdem etwas verkrüppelten Würde, Mr. Sweeting mit der Gleichgültigkeit einer heiteren, leichten Laune, welche nie voraussetzte, dass sie irgendeine Würde aufrecht zu halten habe.

      Wenn Malones Scherze zu derb wurden, was nicht selten geschah, vereinten sich beide, dieselben gegen ihn zu kehren, indem sie ihn fragten, wie viele Knaben ihm ›irischer Peter‹ (Malones Name war Peter, der hochwürdige Peter Augustus Malone) nachgerufen hätten, als er heute hierher unterwegs gewesen war. Auch baten sie ihn um Auskunft, ob es bei Geistlichen in Irland Mode sei, dass sie geladene Pistolen in den Taschen hätten und einen Prügel in den Händen, wenn sie Gemeindebesuche machten, und sie erkundigten sich ebenso nach der Bedeutung solcher Worte wie: vele, firrum, hellum und storrum (so sprach Malone nämlich stets veil [Schleier], firm [fest], helm [Ruder], storm [Sturm] aus) und wandten noch andere Methoden der Wiedervergeltung an, wie es ihnen ihre angeborenen Geisteskräfte erlaubten.

      Dies half aber jetzt nichts. Malone, der weder gutmütig noch teilnahmslos war, befand sich jetzt in einer erregten Stimmung. Er schrie, er gestikulierte. Donne und Sweeting lachten. Er schmähte sie als Sachsen und Pöbel in den kräftigsten Ausdrücken seiner hohen keltischen Stimme. Sie neckten ihn damit, dass er in einem eroberten Land geboren sei. Er drohte mit Rebellion im Namen seines Vaterlandes und goss seinen Hass gegen die englische Herrschaft aus, sie aber sprachen von Lumpen, Bettlern und Pestilenz. Das kleine Zimmer war in Aufruhr. Man hätte glauben sollen, auf solche gewaltigen Reden müsse ein Duell folgen; zu verwundern war es nur, dass Mr. und Mrs. Gale bei dem Lärmen keine Angst bekamen und sie nicht nach dem Constabler schickten, um Frieden zu stiften. Sie waren jedoch an solche Demonstrationen gewöhnt und wussten recht gut, dass die Hilfsgeistlichen nie ohne ähnliche Übung miteinander speisten oder Tee tranken, daher waren sie wegen der Folgen völlig beruhigt, davon überzeugt, dass diese klerikalen Streitigkeiten ebenso harmlos wie geräuschvoll wären, sich in ein Nichts auflösen würden und in welcher Weise auch jene Herren zur Nacht auseinandergingen, sie doch gewiss des anderen Morgens als die besten Freunde wieder zusammenkommen würden.

      Als nun das würdige Paar so an seinem Küchenfeuer saß und auf die wiederholten und hell klingenden Berührungen von Malones Faust mit der Mahagoniplatte des Speisetisches und folglich auf das Klirren und Klingen der Flaschen und Gläser, das jedem Anfall folgte, horchte sowie auf das Spottgelächter der vereinten englischen Disputanten und die stammelnde Deklamation des einzelnen Iren, vernahmen sie an der äußeren Tür Fußtritte und dann erklang der Klopfer rasch an ihr.

      Mr. Gale ging und öffnete.

      »Wer ist oben bei Ihnen im Salon?« fragte eine Stimme, eine sehr merkwürdige Stimme, mit näselndem und abgehackten Unterton.

      »Oh, Mr. Helstone, sind Sie es, Sir? Ich konnte Sie in der Dunkelheit kaum erkennen. Wollen Sie nicht hereinkommen?«

      »Ich muss erst wissen, ob es der Mühe wert ist. Wen habt ihr oben?«

      »Die Hilfsgeistlichen, Sir.«

      »Wie? Alle zusammen?«

      »Ja, Sir.«

      »Und sie speisen hier?«

      »Ja, Sir.«

      »Gut!«

      Mit diesen Worten trat eine Person ein – ein Mann mittleren Alters, schwarz gekleidet. Er ging geradewegs durch die Küche an die innere Tür, öffnete diese, streckte den Kopf vorwärts und horchte. Es gab auch etwas zu horchen, denn der Lärm oben war lauter denn je.

      »Aha!« sprach er zu sich selbst, dann aber an Mr. Gale gewandt: »Haben Sie oft solche Auftritte?«

      Mr. Gale war Kirchenvorsteher gewesen und daher nachsichtig gegen die Priester.

      »Es sind junge Leute, Sir! Sie wissen es ja – junge Leute!« sagte er vermittelnd.

      »Jung! Sie brauchen noch Schläge. Die abscheulichen Buben! – Und wenn Sie ein Dissenter2 wären, John Gale, statt ein guter Anglikaner zu sein, würden sie dasselbe tun – Sie würden sich selbst preisgeben, aber ich will –«

      Und als Ende dieser Bemerkung ging er durch jene Tür, machte sie hinter sich zu und stieg die Treppe hinauf. Hier hörte er wieder einige Minuten