Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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Hammelrippchen sind fertig. Ist es der Punsch auch?«

      »Da ist ein Glas voll. Kosten Sie ihn. Wenn Joe Scott und seine Männer nach Hause kommen, sollen sie etwas davon haben, vorausgesetzt, dass sie die Sachen unangetastet mitbringen.«

      Malone war in der besten Laune beim Abendessen. Er lachte über Kleinigkeiten überlaut, machte schlechten Spaß und beklatschte sich dann selbst, kurz, er wurde unbescheiden lärmend. Dagegen blieb sein Wirt so ruhig wie zuvor.

      Du aber, lieber Leser, musst doch eine Idee von dem Aussehen dieses Wirts erhalten. Ich will versuchen, sein Porträt zu entwerfen, wie er hier bei Tisch sitzt.

      Er ist, wie du zweifellos auf den ersten Blick sagen würdest, ein sonderbar aussehender Mann, denn er ist mager, bleich, fremden Aussehens, mit dunklem Haar, das ihm ungeordnet über die Stirn hängt. Es scheint, als ob er wenig Zeit für seine Frisur verwende, sonst würde er sie wohl mit mehr Geschmack geordnet haben. Er scheint es nicht zu wissen, dass seine Züge schön sind und eine gewisse südländische Symmetrie, Reinheit und Regelmäßigkeit besitzen. Auch wird, wer ihn anschaut, dessen nicht eher gewahr, bis er ihn genau betrachtet hat, denn ein gewisser besorgter Ausdruck, eingefallene Wangen und gewisse verhärmte Züge verwandeln die Idee der Schönheit in die des Kummers. Seine Augen sind groß, ernst und grau. Ihr Ausdruck ist klug und nachdenklich, eher forschend als sanft, eher gedankenvoll als mild. Wenn er seine Lippen zu einem Lächeln öffnet, werden seine Züge angenehm, nicht dass sie selbst dann frei und freundlich wären, doch man empfindet den Einfluss eines gewissen ruhigen, verführerischen Reizes, ob wahr oder täuschend, von einer besonnenen, ja vielleicht wohlwollenden Natur, von Gefühlen, die daheim wohltätig wirken können, geduldigen, ertragenden, womöglich vertrauensvollen Gefühlen. Er ist noch jung – nicht älter als dreißig. Seine Gestalt ist schlank, sein Gesicht mager. Seine Art zu sprechen missfällt. Er hat einen ausländischen Akzent, der, ungeachtet einer studierten Sorglosigkeit in Aussprache und Redeweise, einem britischen Ohr, und insbesondere einem aus Yorkshire, wehtut.

      Mr. Moore war in der Tat nur zur Hälfte Brite, und dies kaum. Er war von mütterlicher Seite her fremder Herkunft und selbst auf fremdem Boden geboren, ja zum Teil erzogen. Ein Mischling von Natur, besaß er auch zweifellos in vielen Beziehungen gemischte Gesinnungen, wenigstens in Bezug auf Patriotismus. Es ist wahrscheinlich, dass er unfähig war, sich an Parteien, Konfessionen, selbst Klimata und Gewohnheiten zu binden. Ebenso besaß er wohl auch eine Neigung, seine Individualität von aller Gemeinschaft, in welche sein Los temporär geworfen werden könnte, zu entfernen, und er hielt es für die größte Weisheit, die Geschäfte Robert Gérard Moores unter Ausschluss menschenfreundlicher Rücksichten auf allgemeine Interessen zu betreiben, denen er nach Ansicht besagten Robert Gérard Moores nicht verpflichtet zu sein glaubte. Handel war Mr. Moores ererbter Beruf.

      Die Gérards aus Antwerpen waren seit zwei Jahrhunderten Kaufleute gewesen, ehemals reiche Kaufleute, aber Unsicherheiten und Geschäftsverwicklungen waren auch über sie gekommen, missglückte Spekulationen hatten nach und nach die Stützen ihres Kredits gelockert, das Haus hatte ein Dutzend Jahre lang auf schwankendem Grund gestanden und war endlich beim Anstoß der französischen Revolution in gänzlichen Ruin geraten. In den Fall desselben war die englische Firma Moores aus Yorkshire verwickelt worden, die mit dem Haus in Antwerpen in enger Verbindung stand und von welcher einer der in Antwerpen wohnenden Teilnehmer, Robert Moore, Hortense Gérard mit der Aussicht, dass sie ihres Vaters, Constantine Gérard, Teil an dem Geschäft erben werde, geheiratet hatte. Sie erbte jedoch, wie wir sahen, bloß ihren Anteil an den Verbindlichkeiten der Firma und diese übernahm, obgleich durch eine Übereinkunft mit den Kreditoren gänzlich beseitigt, ihr obengenannter Sohn Robert seinerseits als eine Erbschaft, die er eines Tages bei denselben zu tilgen und das gefallene Haus Gérard und Moore wieder in einen Zustand zu bringen strebte, der dessen früherer Größe wenigstens gleich käme. Wahrscheinlich nahm er sich die Vergangenheit sehr zu Herzen, und wenn eine an der Seite einer schwermütigen Mutter unter Ahnung kommenden Unglücks verlebte Jugend und Männerjahre durch das mitleidslose Hereinbrechen des Sturms verstört und entblättert und auf den Geist schmerzliche Eindrücke machen können, so war der seine wahrscheinlich nicht in goldenen Buchstaben geprägt.

      Obgleich er nun Aussicht auf eine große Wiederherstellung hatte, stand es doch nicht in seinem Vermögen, große Mittel zu deren Verwirklichung aufzuwenden. Er war genötigt, mit dem Fortschritt kleiner Dinge zufrieden zu sein. Als er nach Yorkshire kam, er, dessen Vorfahren eigene Lagerhäuser in diesem Seehafen und Werkstätten in der inneren Stadt gehabt hatten, sah er keinen Weg für sich offen, als eine Tuchfabrik in einem abgelegenen Winkel einer abgelegenen Region zu mieten, eine nahegelegene Hütte zu seiner Wohnung zu nehmen und als Weide für sein Pferd und Raum für seine Tuchrahmen zu seinen Besitzungen noch einige wenige Acker steilen, steinigen Landes, das die Schlucht begrenzte, durch die sein Mühlstrom brauste. All dies hatte er nur für eine hohe Pacht (denn die Kriegszeiten waren hart und alles war teuer) von den Vormündern der fieldhead’schen Besitzungen, die damals einer Unmündigen gehörten, erhalten.

      Zu der Zeit, in der diese Erzählung beginnt, hatte er erst zwei Jahre in dieser Gegend gelebt. Während dieser Periode hatte er sich zumindest als ein ungemein tatkräftiger Mann erwiesen. Die schmutzige Hütte war in eine ordentliche, geschmackvolle Wohnung verwandelt worden. Aus einem Teil des rauen Bodens hatte er Gartenland gemacht, das er mit ganz besonderer, ja, flämischer Sorgfalt und Genauigkeit bebaute. Was die Fabrik betraf, ein altes Gebäude mit alter Maschinerie, die jetzt unwirksam und unzeitgemäß geworden war, hatte er sogleich die größte Verachtung gegen all ihre Einrichtungen und Zubehör gezeigt und sich bemüht, sie von Grund auf umzugestalten, was er denn auch, so weit sein sehr beschränktes Kapital es ihm gestattete, in die Tat umgesetzt hatte, und eben die Beschränktheit dieses Kapitals und eben deshalb dieses Hindernis bei seinem Vorhaben war etwas, was seinen Geist sehr ängstigte und bekümmerte. Moore musste immer beschäftigt sein. ›Vorwärts!‹ war die in seine Seele geprägte Inschrift, doch Armut beugte ihn. Manchmal schäumte er mit dem Mund (im übertragenen Sinne), wenn die Zügel zu scharf angezogen wurden.

      Man kann nicht erwarten, dass er bei dieser Gesinnungsweise lange darüber nachdachte, ob sein Vorwärtskommen für andere von Nachteil sei oder nicht. Da er in der Nachbarschaft weder geboren, noch für lange Zeit dort heimisch war, kümmerte es ihn kaum, wenn die neuen Erfindungen die alten Werkleuten um ihre Arbeit brachten. Er fragte sich nicht lange, woher die, denen er nicht länger den Wochenlohn bezahlte, ihren Unterhalt nähmen, und glich in diesem Unbekümmertsein bloß Tausenden, an welche der notleidende Arme in Yorkshire noch berechtigte Forderungen stellte.

      Die Periode, von der hier die Rede ist, war in der britischen Geschichte, und im Besonderen in jener der nördlichen Provinzen, eine sehr traurige. Der Krieg war damals auf dem Höhepunkt, ganz Europa war darin verwickelt. England war, wenn nicht ermüdet, doch durch langen Widerstand zerrüttet, ja, und doch war die Hälfte der Bevölkerung überdrüssig, und rief nach Frieden um jeden Preis. Nationalehre war ein bloßer leerer Name in vieler Augen geworden, weil ihr Blick durch Hunger verdüstert war, und für ein Stück Brot würden sie ihr Geburtsrecht verkauft haben.

      Die Kabinettsbefehle, hervorgerufen durch Napoleons Mailänder und Berliner Dekrete, die neutralen Mächten untersagten mit Frankreich zu handeln, hatten, indem sie Amerika beleidigten, den Hauptmarkt für den yorkshire’schen Wollhandel verschlossen und diesen an den Rand des Ruins gebracht. Kleinere ausländische Märkte waren überfüllt und nahmen nichts mehr an. Brasilien, Portugal, Sizilien waren für einen fast zweijährigen Verbrauch versorgt. In dieser Krise wurden gewisse Maschinerie-Erfindungen in den einzelnen Fabriken des Nordens eingeführt, die, indem sie die Zahl der benötigten Arbeiter gewaltig reduzierten, Tausende arbeitslos machten und sie der redlichen Mittel beraubten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Dazu kam eine schlechte Ernte. Die Not wurde immer größer. Grenzenloser Mangel streckte dem Aufruhr die brüderliche Hand zu. Unter den Hügeln der nördlichen Grafschaften fühlte man die sich erhebenden Geburtswehen einer Art moralischen Erdbebens.

      Wie es aber in solchen Fällen zu geschehen pflegt, achtete niemand darauf. Wenn ein Nahrungsaufruhr in einer Fabrikstadt ausbrach, wenn eine Wagenfabrik niedergebrannt oder das Haus eines Fabrikanten angegriffen, Gerätschaften auf die Straße geworfen und die Familie gezwungen wurde, ihr Leben durch die Flucht