Will Berthold

Vollstreckt - Johann Reichart, der letzte deutsche Henker


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      Will Berthold

      Vollstreckt

      Johann Reichart, der letzte deutsche Henker

      SAGA Egmont

      Vollstreckt - Johann Reichart, der letzte deutsche Henker

      Vollstreckt Johann Reichart, der letzte deutsche Henker

      Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

      Originally published 1984 by Goldmann Verlag, Germany

      Copyright © 1982, 2017 Will Berthold Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711727324

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Vorwort

      Das erste Mal sah ich ihn im Vorfrühling des Jahres 1958, auf Wunsch eines Verlegers, der die Erinnerungen des Johann Reichhart für ein exemplarisches Zeitdokument hielt. Ich hatte mich lange dagegen gewehrt, mit einem Mann zusammenzutreffen, der über dreitausend Menschen mittels Fallbeil und Strick »legal« vom Leben zum Tode brachte, obwohl ich als früherer Polizeireporter der größten Zeitung Süddeutschlands gegen makabre Begegnungen abgehärtet war.

      Das Grundgesetz hatte die blutige Höchststrafe abgeschafft. Diese humanitäre Tat stand einem Land besonders gut an, in dem zwölf Jahre lang der Justizmord als Staatsdoktrin betrieben worden war. Unsere betont liberale Verfassung konnte zwar das Fallbeil einmotten, nicht jedoch den Mord ausschließen. Es hatten sich in der Tat einige grausame Fälle, besonders an Taxifahrern, gehäuft, und Politiker, selbst Minister, witterten Morgenluft und gingen auf Stimmenfang durch Blutrunst.

      Sachlicher war die Diskussion zwischen Strafrechtlern: Die einen bewiesen, daß die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung habe, die anderen konnten unwiderlegt auf eine Reihe von Triebverbrechen hinweisen, die sich nicht ereignet haben würden, wenn man die Täter gleich nach ihrem ersten Verbrechen mit dem Fallbeil aus der Welt geschafft hätte.

      In dieser Situation schien es mir angebracht, mit einem Mann zusammenzukommen, der das legale Töten als Beruf erlernt hatte. Wie würde er zu seinem schauerlichen Lebenswerk stehen? Plagten ihn Gewissensbisse? Oder war er so abgestumpft, daß er auch heute noch die Ungeheuerlichkeit nicht spürte, deren technischer Handlanger er im Staatsauftrag gewesen war?

      Ich ging also, mit gemischten Gefühlen zwar, zu dem für mich arrangierten Rendezvous mit dem Henker. Ich ließ mich, da mir nicht wohl dabei war, von einem befreundeten Journalisten begleiten. Wir waren in einem Speiserestaurant in Münchens Lucille-Grahn-Straße verabredet, zu einem Vorgespräch und Mittagessen.

      Reichhart kam auf die Minute pünktlich, ein mittelgroßer, hagerer Mann mit schütteren Haaren und hellen Augen. Ein Gesicht von der Stange, zerklüftet und runzelig, das Gesicht eines Mannes, der im Leben viel mitgemacht haben mußte. Er stellte sich halblaut vor, er hatte einen kräftigen Händedruck und ein verlegen-mißtrauisches Lächeln, das, sowie er Zutrauen gefaßt hatte, einer treuherzig-pfiffigen Miene wich.

      Er sprach schnell, leicht polternd, im oberbayerischen Dialekt. Vom Typ her glich Reichhart einem ländlichen Handwerker, der in der benachbarten Stadt Arbeit und Auskommen findet. Mit fünfundsechzig hatte er soeben das Pensionsalter erreicht, dreizehn Jahre nachdem bei Nacht und Nebel seine, wie es im Amtsdeutsch hieß, »Fallschwertmaschine« in der Donau versenkt worden war. Zuvor hatte sich Reichhart mit seiner auf einem Lastwagen montierten, zerlegbaren Guillotine in einem späten Schneesturm des Frühjahrs 45 verfahren – was einigen Verurteilten im letzten Moment das Leben rettete.

      Von allen Männern aus dem Strandgut des Dritten Reiches, die ich kennengelernt hatte – keineswegs wenigen –, war Johann Reichhart, wie sich schon bei unserer ersten Begegnung zeigte, nicht der Schuldigste, wohl aber der Ärmste; er schlug sich in dieser Zeit schlecht und recht durch, mit Haarwasser, Heiligenbildern und Hunden handelnd, die er in Deisenhofen, an Münchens östlichem Stadtrand, züchtete.

      In seiner Umgebung war er bekannt und – meistens – gemieden. Wenn er sich in einem Wirtshaus an einen Tisch setzte, mußte er damit rechnen, daß die Gäste aufstanden und sich einen anderen Platz suchten. Ebenso kam es natürlich auch vor, daß sich Leute um ihn drängten, um sich Schauer des Gruselns zu holen. Sie saßen um Reichhart herum wie Zaungäste, die an eine Unfallstelle drängen.

      Selbst während Johann Reichhart die Speisekarte las, redete er pausenlos. Unangegriffen verteidigte er sich fortgesetzt, unschwer waren aus seinen Wortsuaden die Selbstvorwürfe herauszuhören. Ich hatte vor der Begegnung gelesen, was in den Zeitungsarchiven über den »Scharfrichter des Dritten Reiches« und sein Fach geschrieben worden war. Daß die meisten Meldungen Eintagsfliegen der Sensation waren, wußte ich schon, bevor ich ein Wort mit dem Fünfundsechzigjährigen gewechselt hatte. Da hieß es, der Mann, der nicht durch freie Wahl, sondern aus Gründen der Tradition – die Reichharts waren seit dreihundert Jahren Henker in Bayern – seinen Beruf gewählt hatte, sei heute ein entschiedener Gegner der Todesstrafe. Ein anderes Boulevardblatt brachte die Nachricht, Reichhart sei einer rechtsradikalen Partei beigetreten, weil sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe eintrete. Eine Zeitungsente widerlegte die andere.

      Er trug einen dunklen Anzug, der viel zu feierlich war für den Tag und für die Stunde; offensichtlich sein gutes Stück, wie es die Bauern anziehen, wenn sie zu ihren feinen Verwandten in die Stadt fahren. Die Sonntagsmontur war gepflegt und doch abgetragen. Auf einmal hatte ich die Zwangsvorstellung, daß Reichhart sie auch bei seinen Amtshandlungen getragen haben könnte.

      Ich fragte ihn danach.

      »Eigentlich waren Gehrock und Zylinder als meine Amtstracht vorgeschrieben«, antwortete er. »Zumindest in den ersten zehn oder zwölf Jahren meiner Tätigkeit. Später aber genügte der dunkle Anzug.« Er deutete auf sich: »Ich hab’ nur diesen einen.«

      Ich sah auf seine Hände. Sie waren derb und knochig, unsensibel, zupackende Hände, die Hände eines Mannes, der zeitlebens viel gearbeitet hatte. Ich mußte an Schillers Worte denken, die er in »Wallensteins Tod« Gordon in den Mund legt: »Zu Henkers Dienst drängt sich kein edler Mann.« Gut eineinhalb Jahrhunderte später kam der Psychologe Edmund Metzger zu der Aussage: »Das Töten als Beruf und gegen Entgelt widerspricht grundsätzlich unserer Vorstellung von der Würde des Menschen.«

      Das Gespräch brach ab. Ich starrte wieder auf die Hände. Ich roch jetzt nicht mehr den leichten Geruch von Mottenpulver, der vom Anzug meines Tischnachbarn ausging, ich hatte auf einmal den widerlich-süßlichen Geschmack des Blutes im Mund, und ich fragte mich, bei wie vielen Gelegenheiten der Mann mit dem geröteten Gesicht seinen Sonntagsanzug getragen haben mochte. Tausendmal? Doppelt so oft? Oder noch öfter? Abgesehen von einigen hohen Festtagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten hatte wohl jeweils mindestens ein Mensch sterben müssen, wenn Reichhart das sorgfältig verwahrte Kleidungsstück aus dem Schrank genommen hatte.

      Es war zu viel für meine Magennerven.

      Ich stand auf, hastete hinaus, kam gerade noch, bevor ich mich übergeben mußte, bis zur Toilette. Ich ging zurück, entschuldigte mich und gab der Kellnerin einen Wink, mein Essen abzutragen.

      »Hat’s nicht geschmeckt?« fragte sie.

      »Doch«, behauptete ich und orderte einen Magenbitter.

      Als der Schnaps serviert wurde, demonstrierte Reichhart gerade mit dem Zeigefinger am Nacken meines Begleiters, naiv, mit dem Berufsstolz des Fachidioten, wie man einen