Will Berthold

Vollstreckt - Johann Reichart, der letzte deutsche Henker


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      »Nicht wahr, Sie würden uns beide also auch ziemlich schmerzfrei hängen?« fragte mein Begleiter.

      Reichhart überhörte die Ironie. »Darauf können Sie sich verlassen«, versicherte er ernsthaft; es fehlte nur noch, daß er hinzugefügt hätte, daß wir bei ihm in guten Händen seien.

      Was er über das »humane Hängen« sagte, war mir bekannt, er spielte wohl auf die »Wiener Schule« des Scharfrichters Josef Lang an, des einzigen Henkers, der – vom Volksmund »Hauptmann Pepi« genannt – zu einiger Beliebtheit gekommen und deshalb sogar zum Staatsbeamten aufgerückt war. Man rühmte »sein weiches Herz«. Lang hätte – wie sein Biograph Oskar Schalk feststellte – »keinem Tier etwas zuleide tun können, und mancher Kutscher hat sich böse Händel mit ihm eingewirtschaftet, wenn er seine Pferde mißhandelte … ein durch und durch human denkender und empfindender Mensch … ein gemütlicher Spezi … ein närrischer Kinderfreund und überhaupt ein grübiger Wiener vom Grund«.

      Solcherlei Qualifizierung war eine absolute Ausnahme. Der Henker, eine Erscheinung aus atavistischer Zeit, war bei allen Völkern und in allen Epochen mehr geächtet als geachtet. Die »Bambergische Halsgerichtsordnung« aus dem Jahre 1507 unterstellt dem Scharfrichter »eine böse, unordentliche Begierde in Vergießung des Menschen Blut«. In unserer Gegenwart stellt der Strafrechtler Eberhart Schmidt, als Sachverständiger vom Bonner Bundestag gehört, fest: »Es hat noch keinen Henker gegeben, und es wird auch nie einen Henker geben, der die Todesstrafe um des reinen, rechtlichen Solls willen vollzieht. Der Henker tötet und verurteilt, wie man Vieh schlachtet.«

      »Du sollst nicht töten«, heißt es in der Bibel, aber der Mensch hat zu allen Zeiten das göttliche Gebot mit den Füßen getreten. Die weltliche und geistliche Obrigkeit tötete nicht nur, sie tat es auch besonders grausam. Die Vollstreckungen fanden öffentlich statt. Es waren »Galgenfeste«, bei denen die Damen der höheren Stände in Ohnmacht fielen und ihre Galane sich häufig beschwerten, daß zu wenig und zu schnell hingerichtet worden sei. Typisch für die Roheit, die eine ohnedies unmenschliche Prozedur noch abstoßender machte, war zum Beispiel die Hinrichtung des fränkischen Ritters Wilhelm von Grumbach, der mit seinen Anhängern am 18. April 1567 von sechs Scharfrichtern in Gotha »justifiziert« wurde. Der schwerkranke Delinquent konnte nicht auf eigenen Beinen gehen; er wurde von acht Stockknechten zur Richtstätte getragen. Dort legte man ihn nieder, fesselte ihn und schnitt ihm das Herz aus dem Leib. Der Richter schlug es ihm mit den Worten: »Sieh, Grumbach, dein falsches Herz« um den Mund, dann wurde der Körper in Stükke gerissen. Die anderen Delinquenten, die der Prozedur zusehen mußten, wurden anschließend gevierteilt, enthauptet oder gehängt. Die Massenexekution vor vollbesetzten Rängen zog sich über zwei Stunden hin. Wie der Chronist berichtet, wohnten »ein’ grausam große Welt Volkes von Fürsten, Grafen, Edelleuten, Kriegsvolk, Bürgern und Bauern dem Schauspiel bei«.

      »Fasching des Tötens« nennt der Strafrechtspsychologe Hans von Hentig diese Exzesse des Sadismus, bei denen durch Folter überführte Menschen aufs Rad gespannt, von Pferden in Stücke gerissen, zu Tode geschleift, mit der Garotte, dem spanischen Würgeeisen, erstickt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.

      Es waren nicht nur Auswüchse des Mittelalters; Verrohung und Geschmacklosigkeit zeigten sich bis weit in die Neuzeit hinein. »Der Schrecken des Galgens und des Verbrechens trat vor meinen Sinnen in den Hintergrund vor den Scheußlichkeiten, die ich sah, vor dieser Haltung, diesen Blicken, dieser Sprache der zusammengedrängten Zuschauer«, beschrieb der englische Dichter Charles Dickens als Augenzeuge eine öffentliche Hinrichtung in London vom 13. November 1849. »Als ich um Mitternacht ankam, ließ schon das schrille Geschrei und Geheul von Knaben und Mädchen, die die besten Plätze einnahmen, mein Blut stocken. Mit dem Fortgang der Nacht wuchsen Geheul, Kreischen und Gelächter. Man parodierte bekannte Negermelodien … Als der Tag graute, streiften mit aufreizender Frechheit bekannte Diebe, Dirnen übelster Art, Raufbolde, Säufer und Strolche jeden Kalibers umher. Prügeleien, Ohnmachten, Pfeifen, Imitationen aus dem ›Punch‹, rohe Späße, laszives Aufkreischen mit obszönen Gesten, wenn ohnmächtige Frauen von der Polizei fortgetragen wurden und ihre Kleider dabei in Unordnung gerieten, unterbrachen zum Jux die allgemeine Unterhaltung. Als die Sonne in aller Pracht aufstieg – und das tat sie –, vergoldete sie Tausende und Abertausende aufwärts gewandter Gesichter, die so unaussprechlich viehisch und blutdürstig nach oben starrten, daß der Mensch sich vor seiner eigenen Erscheinung schämen mußte …«

      Noch 1868 fand in Wien ein Galgenfest statt, bei dem nach dem Bericht eines Zeitgenossen gezecht, gejubelt, gesungen und von Verkäufern »Arme-Sünder-Würstel« und »Galgenbier« angeboten wurden. Österreich hat von da an – wie die meisten europäischen Länder – öffentliche Hinrichtungen verboten, aber vor dem Gefängnis in Versailles fand noch im Jahre 1939 eine öffentliche Exekution mit der Guillotine statt.

      Im Mittelalter wie in der Neuzeit war diesen widerlichen Schaustellungen die Ernüchterung gefolgt und mit ihr wenigstens eine Ahnung von Schuld, denn damals wie heute wußte man, wie erbärmlich es war, den Todeskampf mit Massenwollust zu feiern. Es widersprach allem, was der Gläubige in der Kirche von der Kanzel hörte; es widersprach jeder Moral, jeder Sittlichkeit, vom Geschmack nicht zu reden. Der Voyeurorgie folgte der Katzenjammer. Das schlechte Gewissen schrie nach Kompensation. Man brauchte einen Sündenbock und man hatte einen parat: den Henker.

      »Er hatte ein hohes Amt, er galt als unentbehrlich, aber seine Mitmenschen haben ihm seine Dienste übel gelohnt«, schreibt in seinem erschütternden Buch »Todesstrafen« Kurt Rossa. »Sein Weg durch die Geschichte ist eine via dolorosa ohne Beispiel. Überall hat man den Henker ärger als den schändlichsten Verbrecher geschurigelt und schikaniert. Er mußte sich besonders auffällig kleiden oder ein Abzeichen tragen, der römische ›carnifex‹ hatte wie ein Aussätziger kleine Glöckchen bei sich zu führen. Das Haus des Henkers stand in Griechenland, in Rom, im alten Frankreich und im mittelalterlichen Deutschland außerhalb der Städte, es wurde zuzeiten sogar grell angestrichen, damit kein Fremder es versehentlich beträte. Immer hatte er sich fernzuhalten von den Ehrbaren, er hatte einen besonderen Platz in der Wirtsstube, sofern ihm das Betreten eines Wirtshauses überhaupt gestattet war.

      Auch als Christenmensch war er nur ein Wesen zweiter Klasse. In der Kirche hatte er, getrennt von den übrigen, seinen eigenen Stuhl, ihm wurde mancherorts die kirchliche Trauung und selbst das Abendmahl verweigert. Der Scharfrichter zu Worms brauchte 1517 eine päpstliche Erlaubnis, um jährlich zweimal das Abendmahl feiern zu dürfen, allerdings nicht in Gemeinschaft mit der Gemeinde.

      Seine Unehrlichkeit war ansteckend wie eine Krankheit. Sein Weib und seine Kinder waren verachtet wie er, seine Töchter und Söhne mußten wieder in Scharfrichterfamilien einheiraten. Wer das Richtschwert, den Henkerskarren, den Galgen oder des Henkers Eigentum berührte, wurde ›infam‹ und mußte sich Reinigungsriten unterwerfen. Nicht einmal sein Vieh durfte bei den Tieren der anderen weiden. Die Selbstmörderecke des Friedhofs war seine Ruhestätte.«

      Die herkömmliche Verachtung hat sich erhalten, und gerade die Zeitgenossen, die am lautesten nach der Todesstrafe schrien, distanzierten sich am deutlichsten von ihrem Vollstrecker. Johann Reichhart ist zu seinen Lebzeiten niemals zur Ruhe gekommen. Schon 1945 im Interniertenlager bei Garmisch-Partenkirchen rückten die gleich ihm inhaftierten Richter der Urteile, die er vollzogen hatte, von ihm ab; die vorübergehend entkleideten Robenträger fanden es unzumutbar, mit ihrem Handlanger im gleichen Lager verwahrt zu werden, mit einem primitiven Erfüllungsgehilfen, der die Blutjustiz des Dritten Reiches geradezu symbolisierte.

      Die Logik war schlicht und schlecht: Nicht sie, die Richter, trugen Schuld daran, daß politische Gegner des Regimes, daß harmlose Witzeerzähler, Bibelforscher, Schwarzhörer, Schwarzschlächter und Schwarzhändler, daß arme Wichte und auch kleine Strolche unter das Fallbeil kamen, sondern ihr weisungsgebundener Handlanger, der rechtskräftige Urteile der »ordentlichen« Strafjustiz vollzogen hatte und dabei auf eine horrende Delinquentenzahl gekommen war. Freilich erreichte sie in zwölf Jahren noch nicht einmal die Mordproduktion eines einzigen Auschwitz-Tags – doch bei den Todesmühlen handelte es sich in den Augen der Richter um »unordentliche« Gerichtsbarkeit, gegen die sie machtlos waren, damals wie heute.

      Die Feme und Häme seiner Auftraggeber hetzte