daß er es kaum wagt, ihr die Hand zu geben, und wie er die weichen Finger in den seinen hält, da ist ihm, er halte einen jungen Vogel, dessen Brust er schlagen fühlt.
Auch Binia ist verlegen. Sie verdeckt es, indem sie hastig erzählt, sie sei vom Markt, ehe es eine Aufseherin bemerkte, unter dem, Vorwand, sie bedürfe neuer Schuhe, in eine Werkstätte geschlüpft, habe dort die Zeile geschrieben und nach der Heimkehr die Gärtnerin bestochen.
Nun lachte sie schelmisch auf, faßte Josi bei der Hand und zog den Willenlosen von der Klostermauer hinweg unter den Bäumen hindurch, bis sie an eine kleine stille Bucht kamen, wo eine Quelle in den See lief. Dort stand sie mit ihm still.
»Gelt, das ist schön hier, Josi,« sagte sie, »der See und die weißen Segel und der Duft um die Berge, aber im Kloster ist's häßlich!«
Traurig erwiderte Josi: »O Binia, ich gehe jetzt in die weite Welt – ich gehe nach Indien. Noch einmal aber habe ich dich sehen wollen. – Grad wie ein Engel bist du ja gegen mich gewesen im Teufelsgarten und weißt nicht, wie du mir dort in meiner unsäglichen Schmach wohlgethan hast! – Also lebe wohl, Bineli – ich wünsche dir tausendmal Glück und alles Gute!«
Er streckte ihr die Hand entgegen.
Binia machte ein sehr betrübtes und rührendes Schmollmündchen, das bebte, als wollte es weinen:
»Aber Josi.«
Da hörten sie aus der Ferne nach ihr rufen. Plötzlich blitzte es in ihren Augen auf, sie hob sich auf die Zehenspitzen, sie legte die Handmuschel an den Mund, als wollte sie laut Antwort geben, sie lächelte aber nur: »Ich komme nicht!«
Josi war ganz verwundert: »Binia!«
»O, Euphemia, die alte Gärtnerin, wird sich schon herauslügen, daß ihr nichts geschieht. Du glaubst gar nicht, Josi, wie hinter diesen Mauern alle gut lügen können. Ich allein kann's nicht – ich bin zu ungeschickt dazu.«
Binia machte ein halb lustiges, halb verzweifeltes Gesicht, hielt den Fingerknöchel an die weißen Zähne und schaute den Burschen mit ihren dunklen Lichtern ganz komisch an. – »Josi,« schmeichelte sie, »weil du da bist, mag ich nicht stillsitzen, mir zappeln die Füße, heute wollen mir zusammen durch Luft und Sonne laufen, bis das Abendrot scheint. Ich dürste nach ein bißchen Freiheit. Ich habe einen Brief vom Vater bekommen, daß mich morgen der Kreuzwirt von Hospel abholt, und ich wieder nach St. Peter zurückkehren kann. Da können mir, wenn ich ihnen auswische, die heiligen Frauen nicht mehr viel thun. O glaube mir, Josi, das sind furchtbar grausame Weiber!«
Ein Zittern lief durch Binias schlanke Gestalt.
»Komm, Josi, mir wandern, ich kann jetzt gewiß nicht grad wieder ins Kloster hinein!«
Sie zog ihn mit. – Die Liebe zu Binia und der Trotz gegen den Presi besiegten seine Vorsätze. Still wie Flüchtlinge gingen sie eine Weile durch Bäume und Gesträuch, dann dem See entlang, dann planlos bergauf. Sie entdeckten bald, daß man sie nicht verfolge, auf der Höhe stieß Binia einen Jauchzer aus und sie setzte sich.
»Josi, es ist so schön von dir, daß du gekommen bist. Niemand stört uns in dieser fremden, sonnigen Welt. Ach, wie garstig, man sieht deine Narbe immer noch!«
Mit feiner, liebkosender Hand glitt Binia darüber hin, er sah das Licht rosig durch ihr kleines Ohr schimmern, die Spitzen ihres dunklen Seidenhaares berührten sein Gesicht und der Pfirsichflaum der Wange streifte ihn.
Er verging fast vor Seligkeit, aber die jubelnden Stimmen des Glückes vermochten die Sorge nicht ganz zu übertönen. »Du, Binia,« hob er etwas beklommen wieder an, »es ist mir gar nicht recht.« –
»Was bist du für ein schöner Bursch geworden, Josi,« unterbrach sie ihn, »berichte mir von daheim – ich bin so neugierig.«
Während er erzählte, gingen die feinsten Spiele über ihr Gesicht, es wurde fröhlicher und fröhlicher – als er ihr schilderte, wie er Thöni von der Planke geholt hatte, klatschte sie in die Hände: »Josi, das ist herrlich – ich möchte dir gern etwas Liebes anthun, aber ich weiß nicht was!« Und mit demütiger Stimme: »Ich weiß nicht, warum ich dich so lieb habe, Josi.«
»Sieh, grad so geht es mir mit dir, Bini!«
»Das ist merkwürdig,« erwiderte sie träumerisch und ihre Stimme wurde wieder hoch und fein. »Am Wassertröstungsmorgen, als ich sah, wie deine Mutter wegen meines Vaters litt, da war's, als stände plötzlich in meiner Brust mit feurigen Buchstaben: ›Ich liebe Josi!‹ Und als der Vater mißverstand, was ich im Fieber redete, als er dich haßte, da wurde die Liebe nur größer; als er dich zu Bälzi als Knecht gab, da wuchs sie, als du Rebell wurdest, da starb ich fast, und als dich mein Vater schlug, da wußte ich's wohl: Jetzt rinnt das Blut Josis um mich, jetzt kann ich ihn nicht mehr lassen, selbst um meine Seligkeit nicht! Und so ist's mit mir: Würdest du sagen: ›Steige auf jenen Schneeberg‹, so würde ich steigen, bis ich vor Müdigkeit umsänke, und würdest du befehlen: ›Schwimme über diesen See‹, so würde ich mit meinen Armen rudern, bis – du ziehst so ein finsteres Gesicht, Josi – ich bin ganz unglücklich – du denkst gewiß, es sei schlecht von mir, daß ich mit dir gehe, obgleich es mein Vater nicht gern hat – aber ich habe dich halt so lieb!«
Sie senkte ihr Gesicht schalkhaft und schämig.
»O Binia,« antwortete er, »du hast recht – ich will mich mit dir an dem schönen Tag freuen – es ist vielleicht der einzige, den wir erleben.«
Sie gingen weithin über die sonnigen Hügel mit den prangenden Herbstfarben, aber eine leise jugendliche Scheu schritt noch zwischen ihnen, die manches, was sie sagen wollten, zurückhielt. Um so mehr redeten ihre Augen. Immer und immer wieder betrachtete eins verstohlen das andere.
Vor sich an einer Höhe sahen sie in die welkenden Bäume hineingespannt die Netze eines Vogelstellers. Neugierig wie Kinder liefen sie hinzu und beschauten die malerisch hängenden Garne. Ein halbes Dutzend Amseln hing mit todesbangen Blicken darin. Binia zog einen Vogel um den anderen vorsichtig heraus, betrachtete lächelnd jedes Tierchen, preßte ihm einen Kuß auf den Schnabel und gab ihm die Freiheit. Die Vögel flatterten erst ängstlich, spürten dann die Befreiung, flogen in die Höhe und freudiges Geschrei stieg aus dem reinen Blau auf die Erde zurück.
Josi staunte Binia nur an: »Du herrliches Kind! Wenn aber der Mann käme, dem diese Vögel gehören!«
»O, ich habe den Nonnen manchmal den Spaß verdorben, und sie haben die Thäterin nie erwischt. Ich hätte mich auch für ein glückliches Vogelherzchen die ganze Woche einsperren lassen. – – – Josi« – ihre Finger berührten seine Hand – »vielleicht bin ich auch einmal so ein armes Schelmchen – und dann kommt jemand Barmherziger und löst mich.«
Ein Strahl ihres dunklen Auges traf ihn, ihr Mund aber lächelte herzgewinnend.
»Bini, ich habe mir schon fast den Kopf zerbrochen, wie wir trotz dem großen Zorn deines Vaters zusammenkommen könnten,« stammelte Josi. »Und ich weiß es – es bleibt mir nichts anders übrig, als daß ich für unsere Liebe an die Weißen Bretter steige.«
Da lehnte sie ihr Köpfchen schluchzend an seine Brust: »Das willst du für mich thun, Josi! Nein – nein. – Das darfst du nicht. – Du würdest fallen, wie dein Vater gefallen ist. – Und denke an meinen Vater – ich habe ihn, wenn er auch manchmal wüst und böse ist, doch so stark lieb; ich möchte nicht, daß die Nachtbuben kämen, um dem Gemeinderat im Werben zu helfen, und die rasselnden Ketten um das Haus schleiften und riefen: ›Presi, gebt die Binia heraus!‹ Ich glaube, da würde er auch erst recht wild über dich.«
Sie sah ihn hilflos an.
»Binia, so thöricht bin ich nicht. Ich plane es anders! Kein Mensch weiß es, was ich thun will, dir aber, liebes Bineli, will ich es verraten. – In drei Jahren komme ich wieder heim, dann will ich St. Peter aus der Blutfron an den Weißen Brettern befreien. Um zu lernen, wie ich's angreifen muß, gehe ich mit George Lemmy nach Indien.«
»Josi! – Du willst St. Peter aus der Blutfron befreien.« – Ein überirdischer Glanz lag in ihren Augen und das Wort