Der Presi spricht es in einem Taumel des Glücks. Aber Binia weint bitterlich – sie schluchzt vor Leid: »O Vater, sobald Josi sein Werk vollendet hat, so wollen wir mit ihm von St. Peter fort in ein fernes Land ziehen, und dort will ich dein graues Haupt hüten und pflegen.«
Leidenschaftlich stößt sie es hervor.
»Ein sonderbarer Gedanke, Kind. Hat ihn dir Josi eingegeben?« fragt er ernst und erstaunt.
»Nein, Vater, ich mir selbst!« bebt ihr Mund.
»Was denkst du,« spricht er nach einigem Besinnen, »ich kann nicht fort von St. Peter. Wer so lange in St. Peter gelebt hat wie ich, muß in St. Peter sterben.« –
Da schaut sie ihn in unendlicher Hilflosigkeit an und geht.
»Sie ist ein merkwürdiges Kind, jetzt wie früher,« denkt der Presi, aber er ist selig über das Bekenntnis, das sie ihm abgelegt hat. Er baut Pläne des Glücks für Binia, für Josi, für sich. Er ist beinahe wieder der alte Feuerkopf.
Und er schüttelt den Kopf: »Wie ich so lange habe ein Narr sein und Josi widerstehen können!«
»Präsident,« meint Frau Cresenz, »wir sollten doch langsam auf unsere Vorbereitungen für den Sommer denken, wenn Ihr die Krone aufgegeben habt, so werden wir um so mehr zum Bären sehen müssen.« Er lacht sie nur seltsam an und sagt: »Ja, Präsidentin, ich gehe morgen nach Hospel hinaus zu Malermeister Serbiger. Er muß mir eine große Tafel malen, auf der steht: ›Pension und Hotel zum Bären in St. Peter sind geschlossen‹, und die Tafel lasse ich auf zwei hohe Pfähle am Eingang des Glotterwegs aufstellen. Auch schicke ich einen gedruckten Brief an alle früheren Gäste, daß ich das Fremdenwesen aus Altersrücksichten aufgegeben habe.«
Sprachlos schlägt Frau Cresenz die Hände über dem Kopf zusammen, dann aber jammert sie: »Wenn Ihr das thut, so gehe ich aus dem Haus – ich bin es nicht anders gewöhnt, als daß ich im Sommer eine Pension leite – und bedenkt doch, Präsident, wie man Euch, wenn Ihr jetzt dem Dorf so stark nachgebt, auslachen wird.«
»Gott's Donner, Präsidentin,« zürnt er, »ob ein paar Kälber lachen oder nicht, darauf kommt es mir nicht an, aber Euer Neffe, Herr Thöni, hat mir das Sommerleben verleidet – ich will jetzt ein wenig glücklich sein.« – – –
Frau Cresenz aber ist unglücklich – eines Tages erscheint der Kreuzwirt von Hospel im Bären, die Männer rechnen im Frieden die Reingewinne aus den Büchern des Gasthofes während der zehn letzten Jahre aus, ein Drittel der Summe zahlt der Presi Frau Cresenz in Banknoten vor und legt aus eigenen Stücken noch tausend Franken darauf: »Da, Präsidentin, ist Euer Anteil.«
Die Großmut in Dingen des Geldes gefällt dem Kreuzwirt. »Schwager,« sagt er, »es thut mir leid, daß es so ungeschickt hat gehen müssen. Wäre ich bei den Hospelern gewesen, die den Zigarren rauchenden Thöni hoch auf der Post über den Paß haben fahren sehen, hätte ich ihn heruntergelangt und ihm eine Tracht Ohrfeigen mit nach Amerika gegeben, dem Lausbuben, der seinen nächsten Verwandten nicht einmal ein Lebewohl und ›Es ist mir leid‹ gesagt hat.«
Binia, die den Rechnenden eben noch eine Erfrischung bringt, muß sich an der Stuhllehne des Vaters halten.
»Thöni über den Paß gefahren!« staunt sie. Ja, ist denn das schreckliche Erlebnis im Teufelsgarten, das ihr Tag und Nacht mit fürchterlicher Deutlichkeit vor den Sinnen steht, nur ein böser Traum?
Herzlich dankt sie der Stiefmutter, die nie hart gegen sie gewesen ist, und der Kreuzwirt und Frau Cresenz reiten gerade so vom Bären, wie sie vor elf Jahren zugeritten sind.
Eine ziemlich friedliche Ehe, die auf ein gemeinsames blühendes Geschäft aufgebaut worden ist, hat ein friedliches Ende gefunden.
Der Presi ist wieder da angekommen, wo er vor elf Jahren stand, der Bären ist wieder ein Dorfwirtshaus – mit Binia und einer Magd haust er allein.
Aber er ist es zufrieden, er spürt nichts von Heimweh nach dem lebhaften Treiben der früheren Sommer, nach dem kühlen Lächeln der Frau Cresenz, er lebt ganz in Binia, dem wiedergefundenen Kinde.
Und der Bären ist nicht öde. Aus der weiten Umgegend kommen Leute, die von dem Wunderwerk gehört haben, das an den Weißen Brettern im Glotterthal ausgeführt wird. Sie reden bei ihrem Schoppen Kluges und Thörichtes darüber. Thun sie das letztere, dann zuckt es um die Brauen des Presi: »Ta-ta-ta, wenn jemand von einer Sache nichts versteht, so soll er nicht darüber sprechen, letzte Woche sind die Ingenieure der Regierung dagewesen, sie sagen, das Werk sei vortrefflich.«
Auch die Dörfler kommen wieder in den Bären, wie eine ferne drückende Sage liegt der »Ahorn« hinter ihnen; sie begegnen dem Presi mit jener Hochachtung, die das beschämte Unrecht für den Gegner hat, der edel nachgiebt, sie freuen sich über den Sommer, der wie einst in friedlichen Prächten ins Thal zieht.
Der Garde und der Presi, die wieder versöhnten Freunde, sprechen mit wahrer Erhebung von Josis Werk.
In der größeren Wildleutfurre ist die Mauer schon erstellt, die Leitung darauf gelegt, das Schutzdach aus Holz und Stein gebaut, die Furre selbst hochhin ausgeebnet und in der kleineren Wildleutfurre geht die Arbeit auch bald zu Ende. An einem Kranseil, das vom Glotterweg bis in die entlegene Höhe der heligen Wasser reicht, steigen Hilfsarbeiter, schweben die Hölzer, die Deckplatten, die Zementsäcke zu Josi, dem Befreier, empor.
Dynamitfuhre um Dynamitfuhre kommt und Josi baut jetzt den Wasserweg durch die Weißen Bretter selbst. Er ist von der Sonne braun gesengt, er ist abgezehrt von der Arbeit, aber er liebt die Mühe und die große beständige Lebensgefahr, die sein Werk mit sich bringt. Wer um Sonnenaufgang von St. Peter nach Hospel geht, hört sein Hämmern in der fernen Höhe, wer gegen Sonnenuntergang von dort zurückkehrt, hört es noch. Wenn das Ave-Maria-Glöcklein von St. Peter verklungen ist, wenn das letzte Sonnenrot an den Firnen zergeht, dann hallen seine Sprengschüsse durch das Thal. Im Wiederhall ertönen die Bergwände; heraus, herein durch das Gebirge rollt das Echo, und wenn man es schon lange gestorben glaubt, erwacht es noch einmal grollend in einem fernen Schlund des Gebirges.
»Zum Wohl, Garde, trinken wir eins auf Josi!« lacht der Bärenwirt.
»Presi, jetzt werdet Ihr wohl keine bösen Träume mehr haben,« erwidert der Garde froh.
»Nein, ich fasse es nicht mehr, wie ich mich einmal über ein dummes Träumchen habe ängstigen können,« sagt der Presi, um den eine ganz neue Welt gesponnen ist. »Ich zähle im Kalender die Tage bis zu Allerheiligen, bis im Bären Hochzeitsleben jauchzt.«
Ein hoffnungsvolles Lächeln geht über das Gesicht des Presi. Wie der Garde aber nach Hause stoffelt, seufzt er und ist nachdenklich. Auch er zählt die Tage bis Allerheiligen, aber aus einem anderen Grund.
Mehr denn zehn Jahre hat der Presi gewütet in Gewaltsamkeit und Ungerechtigkeit wie ein Uebermensch. Eines Tages nun fällt ihm ein, glücklich zu sein. Aber steht die Vergangenheit nicht drohend hinter diesem Glück? Und um den Liebesbund Josis und Binias schwebt auch etwas so Uebermenschliches, um diese rührende Hingabe, um diese hohe Treue von langen Jahren her. Kommen wohl Josi und Binia, das herrliche Paar, wie noch keines im Bergland gewachsen ist, ein Held der That und eine Heldin der Treue, zum Ziel?
So fragt sich der Garde sorgenvoll und traut dem Dorffrieden nicht.
Josis Werk ist zu schwer, zu wuchtig für das kleine St. Peter. Wohl hat es, als die Regierung seinen Plan gutgeheißen hat, Josi zugejauchzt, und wenn einzelne Gegner wie der Glottermüller übrig blieben, so schwiegen sie. Aber seit dem Tag, da die von der Regierung gesandte Dynamitfuhre kam, regte sich im Volk wieder abergläubische Furcht. Alle, selbst die Frauen, eilten damals hinaus in den Teufelsgarten, um den Pulverwagen zu sehen. Das von vier Gendarmen bewachte Fuhrwerk, das eine schwarze Fahne mit der Aufschrift »Dynamit« trug, erschreckte sie aber. Es sei ein mächtiger Sarg gewesen, jammerten sie, umsonst erklärten die militärpflichtigen Männer, es sei ein Militärcaisson, die Vorstellung des Sarges ist geblieben. Und ein Sarg bedeutet Unglück.
Die Weiber wollten nicht mehr zugeben, daß die Männer, Brüder und Söhne die zugesagten Arbeiten