lädt einen Großangriff durch Lungenentzündung oder den Grippeteufel geradezu ein. Besitzt man aber eine starke Veranlagung, so kann man über feuchte Kälte, Schnupfen und stechenden Rheumatismus nur lachen.“ Das mutet schon etwas seltsam an: Klar, nimm dich in Acht vor hohen Füßen und verirrten Ellenbogen, aber sieh vorweg schon zu, dass du dich auch warm einpackst. In Ashcrofts Worten klingt Schwächlichkeit durch. Roose räumte mit all dem endgültig auf: Die Leute warfen ihm zwar so manches vor, Schwächlichkeit aber ganz sicher nicht.
Geboren am 26. November 1877 im nordwalisischen Holt als vierter Sohn eines Pfarrers, begab sich Roose im Alter von 17 Jahren nach Aberystwyth, um Medizin zu studieren. Dort wurde er Torwart der Universitätsmannschaft und fiel sofort durch seine besondere Spielweise auf: Er kam immer wieder aus seinem Tor und fungierte beinahe als Hilfsverteidiger. So etwas hatte es nicht mehr gegeben, seit in den 1860er Jahren einer der Verteidiger zum Torhüter geworden war. George Holley, sein Mannschaftskamerad bei Sunderland, sagte später: „Alle anderen wurden später nach seinem Vorbild geformt.“
Roose machte es sich auch zur Angewohnheit, den Ball bis zur Mittellinie zu prellen. Das bedeutete zugleich, dass er den Attacken gegnerischer Stürmer entging, die damals noch wesentlich härter waren und eher an Rugby als an modernen Fußball erinnerten. Von der Mittellinie aus schoss Roose dann auf das Tor des Gegners. Ihm kam dabei die Regel zugute, dass er den Ball überall in der eigenen Hälfte mit der Hand spielen durfte. Der Torhüter schlug also zurück: Erst 1892 waren die Regeln dahingehend geändert worden, dass Spieler den Torwart nur dann attackieren durften, „wenn er den Ball spielt oder während er einen Gegner behindert“. Vorher konnte einfach Jagd auf ihn gemacht werden, egal ob mit oder ohne Ball – ganz so, als ob man ihn, weil er den Ball mit der Hand spielen durfte, als Rugbyspieler einstufte und folgerichtig nach Rugbyregeln behandelte.
„Den Torhüter anzugehen, war eine durchaus gängige Angriffsform“, schrieb F. N. S. Creek in seiner Geschichte über den Corinthian Club. „Sie war zulässig, solange die Angreifer beim letzten Abspiel nicht im Abseits gestanden hatten. Folglich erfahren wir, dass ‚Prail nach einem feinen Ball in die Mitte ein herrliches Tor erzielte, nachdem Dewhurst zuvor den Torwart aus dem Weg geräumt hatte’. Einige Mannschaften, vor allem Preston North End, reizten diese Regel voll aus. Einer der Läufer wartete exakt auf den richtigen Zeitpunkt für den Pass und schoss den Ball dann durch die Luft in Richtung des Torwarts, der sofort von zwei Halbstürmern attackiert wurde. Der dritte versuchte, sich an den Verteidigern vorbeizustehlen und ins leere Tor einzuschieben. Eckbälle waren eine noch ernstere Sache. Der Torwart musste sich zwei Stürmern entziehen (die er dabei gelegentlich ‚zu Boden streckte’), und gleichzeitig wurde von ihm erwartet, dass er den Ball aus der Gefahrenzone bekam. Folgerichtig wurden viele Tore im ‚Gedränge’ erzielt, und da es damals noch keine Netze gab, waren viele davon auch noch zweifelhaft.“
Diese Körperbetontheit mag vielleicht erklären, warum es, grob gesagt, zwei Typen von Torhütern gab: die Stoiker, die still und leise die Prügel erduldeten, und die Extrovertierten. Roose gehörte ganz eindeutig zur zweiten Kategorie. Die Gefahren, die diese Position mit sich brachte, sind vielleicht auch der Grund dafür, weshalb Torhüter damals so abergläubisch waren. Liverpools großer Keeper Elisha Scott beispielsweise kam stets zwei Stunden vor Spielbeginn, zog sich alleine um und warf eine Stunde lang einen Ball gegen eine Mauer. Dann streifte er sich wenige Minuten vor dem Anpfiff, unabhängig vom Wetter, noch zwei Hemden und ein Extrapaar Socken über.
Ashcroft nannte den Nordiren Scott „einen der Unsterblichen“. Er schrieb: „Ein wenig grob aus Granit gehauen, war Scott nichts für Ästheten. Er war von eisernem Willen. Unnachgiebig, wie es für seine Heimatprovinz typisch ist, gab es für ihn nur eine Gewissheit – nämlich die, dass der Feind seine Verteidigung nicht durchbrechen durfte. Das gelang dem Feind auch eher selten. Recht häufig hieß es Scott gegen England oder Wales oder Schottland, und er hielt sie fern, komme, was wolle. Und in Liverpool war es das Gleiche. Scott war ein Spieler vom alten Schlag, der brav seine Aufgabe erfüllte und stets bereit war, sich für die Sache zu opfern. Und so entsagte er den feinen Sitten und den unziemlichen Träumen, der billigen Publicity und dem öffentlichen Beifall, und war die Konzentration selbst.“
Doch es gab auch solche, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit richtiggehend aufgingen und die es genossen, dass sich das Spiel ganz und gar um sie drehte – und dazu gehörte auch Leigh Richmond Roose. Ein anderes Beispiel ist „Happy“ Jack Hillman, der bei Burnley und Manchester City aktiv war. Er gewann mal eine Wette über fünf Pfund, dass er auch mit auf den Rücken gebundenem Arm zu null spielen könne.
Albert Iremonger war mit seinen 1,98 Metern wohl der größte Spieler in der englischen Profiliga vor dem Ersten Weltkrieg und außerdem ein geborener Streithahn. 1912 spielte er in einer Begegnung für Notts County gegen Arsenal auf Zeit, indem er sich auf den Ball setzte. Der Schiedsrichter versuchte, ihn zum Weiterspielen zu bewegen, und war bald so frustriert, dass er Iremonger mit einem Böller drohte. Als Iremonger sich weiterhin weigerte, wurde das Spiel abgebrochen. Außerdem war er regelmäßig in Diskussionen mit den Schiedsrichtern verwickelt. Seine Aufmüpfigkeit bescherte ihm 1925, nach 564 Einsätzen, schließlich die Entlassung bei Notts County. Mit seinen nun 42 Jahren ging er zu Lincoln City. Als Lincoln bei einem seiner ersten Einsätze einen Strafstoß bekam, wollte er diesen unbedingt selbst treten. Er nahm einen gewaltigen Anlauf und setzte den Ball so hart an die Latte, dass er bis zur Mittellinie zurückflog. Bei seinem Rettungsversuch drosch er den Ball am Ende schließlich ins eigene Tor.
Roose wurde, wenngleich in einem etwas kleineren Rahmen, in der Universitätsauswahl von Aberystwyth ebenfalls zu einer Attraktion. Er lief stets mit erhobenem Arm auf den Platz, um die Zuschauer zu grüßen. Danach schritt er sein Tor ab, während er vor sich hin murmelte, als ob er ein Mantra rezitierte. Das gehörte zu seinem Ritual vor dem Anpfiff. Bald kamen immer mehr Fans, um die Unimannschaft zu sehen, darunter eine nie dagewesene Anzahl Frauen, die von Rooses Ausstrahlung und Aussehen angezogen wurden.
Bald darauf brauchte Aberystwyth Town einen neuen Torhüter, nachdem man Jack Jones an Liverpool abgegeben hatte. Im Herbst 1898 holte man Roose. Er hinterließ Eindruck und blieb nach Abschluss seines Studiums noch ein weiteres Jahr. Sein guter Ruf wuchs dermaßen schnell, dass er schon im Februar 1900 in einem Länderspiel gegen Irland im walisischen Llandudno sein Debüt in der Nationalmannschaft gab. Wales gewann mit 2:0. Denkwürdig blieb das Spiel aber vor allem wegen einer Attacke Rooses Mitte der zweiten Halbzeit, als er Harry O’Reilly ins Aus schubste und ihn dabei gleich noch bewusstlos schlug. Roose ließ sich nichts gefallen und ließ andere spüren, was er als Torhüter selbst Dutzende Male hatte spüren müssen. So umstritten die Szene auch gewesen sein mochte, der Schiedsrichter jedenfalls gab noch nicht einmal einen Freistoß.
Die Saison war die erfolgreichste in der Geschichte von Aberystwyth. Man holte das Triple aus Towyn Cup, South Wales Cup und Welsh Cup. Doch Roose fühlte sich in dem kleinen Provinzstädtchen eingeengt und ging nach London. Dort wurde er Assistenzarzt am King’s College Hospital und begann, für London Welsh zu spielen. Wie bereits in Aberystwyth stiegen daraufhin die Zuschauerzahlen sprunghaft an, sein Ansehen wuchs, und er wurde Stammspieler der walisischen Nationalmannschaft. Mehrere Vereine versuchten, ihn zu verpflichten. Doch Roose sträubte sich dagegen, Profi zu werden. Das hätte nämlich bedeutet, dass er seine Karriere als Mediziner hätte aufgeben müssen.
Im darauffolgenden Sommer fand Stoke City eine Lösung. Man bot ihm einen Vertrag als Amateur und erklärte sich einverstanden, dass er in London blieb. Stoke zahlte Roose die Fahrten erster Klasse, Luxushotels und weitere Leistungen wie etwa Anzüge, Schuhe und einen Mietzuschuss. Im Grunde genommen war Roose damit Profi, und die FA-Regeln zum Amateurstatus wurden bis aufs Äußerste ausgereizt.
Doch nicht nur hier ging er bis an die Grenzen. Roose war durch und durch ein Showman. So bestellte er sich stets ein Hansom Cab, ein kleines Kutschentaxi, das ihn am Bahnhof in Stoke abholte, wenn er mit dem Zug aus London-Euston kam. Diese Droschke fuhr er dann selbst, mit Höchstgeschwindigkeit und etlichen Fans und Bewunderern im Schlepptau.
Für einen Mediziner war er erstaunlich abergläubisch. „Roose gehört zu den besten Torhütern, die wir haben“, hieß es in einem Artikel in Cricket and Football Field. „Doch ganz offensichtlich ist er ein wenig abergläubisch bei seiner Fußballkleidung.