für ihn nicht am geschicktesten wäre, den fadenscheinigen Flaus von Bogenbach wieder vom Nagel zu nehmen.
So redete Pius Heidvogel den Lebegern ganz klein und hässlich. Und nach der vierten Spalte redete er sich von hinnen.
Am späten Nachmittag machte sich Peter Lebegern auf den Weg in die Zeitungsredaktion. Er hatte vor, ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Das hatte die überragende Persönlichkeit Heidvogels verschuldet. Eine Stunde später war er ‚Redaktionsvolontär‘ bei den Neuesten Nachrichten, was soviel hiess als: unbezahlter Mitarbeiter. Nun — für bestimmte Leistungen sollte er sogar ein Honorar erhalten. Abends hatte er gleich eine Pantoffelarbeiterversammlung in der stinkenden Kneipe einer Winkelgasse zu besuchen und einen Bericht für die Zeitung darüber zu liefern. Am nächsten Tage sass er als Referent in einer Gerichtsverhandlung. Es handelte sich um betrügerischen Bankrott …… Auch andere Prozesse durchlebte er als Referent. Es gingen Türen für ihn auf vor der Welt.
Pius Heidvogel erkannte: er hatte diesen jungen Mann aus den Angeln gehoben. Hah! Der Mensch, der sechs Jahre lang zu einer sinnvollen Fahrt ins Land der Mitternachtsonne sich das Geld groschenweise erspart hatte, um glücklich zu sein, sich selbst zu gehören, die Welt auf der Sonnenseite zu studieren, Gott zu grüssen auf allen Steigen — der selbige Mensch war ein Ding geworden, an dem das Radwerk nun, trefflich geölt, surrte, surrte bis tief hinein in seinen Schlaf.
Pius Heidvogel war zufrieden mit sich und ihm. Pius, der Vorwärtswuchter.
Ein ungewöhnliches Pflichtbewusstsein hielt die Maschine Peter Lebegern in Gang. Die Erkenntnis, dass er etwas leistete, ja, dass er zu einträglichen Stellen in seinem Fache berufen sei, liess ihn allgemach innerlich wieder fröhlich werden … lieber Gott, soviel er dieser Art Frohmut Zeit gönnte, sich einmal auszuflattern an den spröden Scheiben des grossen Geschäftshauses und sich einzubilden, dies blinkende Scheinen sei die Sonne. Lieber Gott!
Jedennoch: auch Fröhlichkeit mit Dampfbetrieb hat ihren Wert. Peter Lebegern hatte gar keine Musse, sein Dasein und die Einzelzustände, die dies Dasein derzeit ausmachten, auf ihren absoluten Wert hin zu prüfen. Es ging ihm wie den Menschen gemeinhin: er war ein Sklave und glaubte an sein Herrentum … Wie lange, Peter Lebegern? Wie lange? … Es wurde erträgliche Gewohnheit, was ihm im Kommen und Gehen der Tage oblag. Das Gelingen, das in diese Tage fiel wie freundliche Blumen, empfand er als Glück. Er leistete jemandem etwas und nahm dafür — wegen des anerkannten Wertes dieser Leistungen — nun regelmässig Geld. Er gehörte allgemach anderen, half diesen an seinem Teile zu Reichtum, beschied sich, trieb dahin in sein Leben wie alle, alle, alle, und durfte sein Herz an dem dürftigen Stolz erheben, dass er unter den vielen Vielzuvielen zu den besten zählte.
O ja, auch das ist etwas. Aber es ist damit wie mit der kleinen Münze, die von Hand zu Hand läuft. Jeder hat davon und kann sich damit einen Teil seines Tages nach mässigem Gefallen gestalten. Glück, das zur Dirne geworden ist, denn in solch einer Aufmachung gehört es allen. Die Menschen haben darüber hinaus, wenn’s hoch kommt, noch ihre Sehnsucht nach etwas Einmaligem. Manche warten auf das Wunderbare. Die gelten als ungesunde Träumer. Und sind es auch. — Ein wachsinniger Mensch hat keine Zeit zum warten.
Peter Lebegern wartete eine Zeitlang weder auf dies noch auf jenes. Er tat sein gemessen Teil von Pflicht, war in eine seiner Stellung würdige möblierte Wohnung gezogen und lebte so etwa zwei Jahre lang in dem Irrtum: das sei es nun, was der liebe Gott mit ihm vorgehabt habe. — Lieber Peter Lebegern!
Natürlich hatte er eine Menge Menschen kennengelernt. Die betrieben das Dasein ungefähr nach gleichen Formeln. Sie standen alle in den Zeichen der Zeit. Diese Zeichen waren Automobil und Luftschiff. Alle hatten den mehr oder weniger heimlichen Wunsch, reich zu werden an Gut oder Ansehen. Und alle zermürbten ihre Nervenkraft im Dienste des Alltags. Sie dachten, sie hülfen mahlen. Und lagen zwischen den gewaltigen Mühlsteinen des Lebens.
Peter Lebegern ward diese Art Betrieb des Daseins im Laufe zweier Jahre dermassen gewöhnt, dass ihm darüber — und vor allem darüber hinaus — nicht allzuviel mehr einfiel. Es fiel ihm nicht ein, in welch ungeheure Würdelosigkeit er geraten war, er, der sich das Dasein hätte ganz anders gestalten müssen, wenn er sich nicht seit zwei Jahren aus den Händen gefallen wäre. Und es fiel ihm auch sonst nichts ein, was über die verantwortungsreiche Fülle seiner Pflichten ging. Er schrieb klug, fesselnd, klar. Aber zwischen den Zeilen lächelte es nicht mehr. Er arbeitete wie eine Präzisionsmaschine. Dass er einst leuchtende Gedanken und Träume von köstlicher Eigenart gehabt — ach, Peter Lebegern, diese Träume waren verblüht! Dass er einst den Wunsch und die Kräfte verspürt hatte, dichterisch zu gestalten, was er zutiefst erlebte, — ach, Peter Lebegern, zum Wünschen liess dir dein Tag kaum noch Zeit! Und die Kräfte zu dichterischer Gestaltung schliefen irgendwo in heimlichen Gründen, über denen es lag wie der Schnee des Winters … Ja.
Er lernte viele Menschen kennen. Er hatte mit ihnen Erlebnisse: Gegensätze, Zerwürfnisse, Freude. An etlichen fand er Geschmack. Aber zuletzt blieb es doch so mit ihm: seine Stellung gebot ihm, es aller Welt recht zu machen. Dafür sorgten Chefredakteur und Verleger. Einmal stiess er mit diesem scharf zusammen, weil er ein Urteil in einem Bericht über einen Ruderverein geschrieben hatte, das hart aber gerecht war. Daraufhin bestellten sämtliche Mitglieder des Vereins die ‚Neuesten Nachrichten‘ ab. Der Verleger raufte sich die Haare und behauptete, ein Mensch wie Peter Lebegern schreibe in vierundzwanzig Minuten zunichte, was seine Tüchtigkeit und Geschäftspraxis in dem Blatte während vierundzwanzig Jahren gebaut habe … Also!
„Es ist ein unerhört nüchternes und peinliches‘ Kapitel,“ dachte Lebegern, als er die Stiege zu seinem Redaktionszimmer emporstieg. Darüber hinaus fiel ihm auch diesmal nichts ein. Nicht einmal, dass er nun in der Lage sei, sich herzhaft einen Narren zu nennen, der mit dem Reichtume nicht zu wuchern verstand, den ihm sein Name in den Schoss geworfen hatte.
Und nicht wahr, der Fall war doch lehrreich genug? Es war ein so köstlicher Fall — Peter Lebegern, wenn er noch der alte Peter gewesen wäre, hätte daran in einer Stunde völlig genesen können. Hah, als Männlein von fünf Jahren war dieser Peter ein Philosoph gewesen. Sein Vater geriet vor ihm in vermessene Träume. Und als Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser war aus ihm ein Lebenskünstler geworden, der eine Krume Erde ein Weilchen in seinen Händen zu halten brauchte, und — es flog ein Vöglein daraus hervor. Als Schulmeister von Bogenbach hatte er auch den königlichen Mut, zu sagen: „Peter Lebegern, dein Schicksal bist du!“
Aber nun? Nun war Peter Lebegern unter die Menschen gegangen. — Oh.
Er lernte viele kennen. Darum: er war an seinem Verfalle nicht allein schuld.
Oder ist es nicht ein Verfall, wenn einer zwischen die Mühlsteine des Lebens gerät, dem der liebe Gott das Rüstzeug zum Glück in Fülle geschenkt hat?
Nun, Peter Lebegern sah und vernahm zwei Jahre nichts von der Welt, die einmal ihm gehört hatte und in der er hätte ein König heissen können … Nicht einmal das simple Bild von der grossen Mühle fiel ihm ein, in der alles Edelkorn — wie das stockige und faule — zerrieben wird. Es kann einer dabei um seine Freude kommen — und weiss es nicht. Es kann einer dabei um das klare Licht seiner Augen kommen — und bildet sich ein, er sähe nun schärfer als vordem. Es kann einem darüber sein Glück aus dem Herzen welken — aber weil er sein Auskommen an Gut und Bequemlichkeit hat, so täuscht er sich in die Meinung hinein: er sei mitsamt seinem Glück in ein Gewächshaus geraten und stehe nun über und über in Blüte. Darüber kann einer zu Tode kommen und bildet sich ein: jetzt, erst das sei das richtige Leben!
Natürlich hatte Peter auch sein hinterländisches Äussere städtisch gewandelt. Es war soweit mit ihm gekommen, dass er sich in keinem Stücke unterschied von einem leidlich eleganten Pflastertreter nach der Millionenschablone. — Brrr, Peter Lebegern!
Dieses Brrr! mag hier stehen in zwiefacher Bedeutung. Mit einem kraftvollen Brrr hält der Kutscher sein Pferd an. Bist du nun Kutscher oder Pferd, Peter Lebegern — halt an! … Es kann aber auch ein Ausdruck des Abscheus sein … Wenn du Ohren hast zu hören, Peter Lebegern, so höre!
Des weiteren wäre von den vielen Menschen, mit denen Lebegern in der Stadt bekannt wurde, nichts zu sagen.