aus unserer wohlverdienten Nachtruhe. Schlaftrunken steckte ich den Kopf aus der Luke und erkannte auf dem Nachbarschoner einen spanischen Seglerfreund.
Für die Segler von Las Palmas ist der Name LIBERIA ein vertrauter Begriff: in Las Palmas hatte ich mich auf meine beiden ersten Fahrten in Einbaum und Faltboot mehrere Monate lang sorgfältig vorbereitet, und die Segler hatten daran Anteil genommen, als sei ich einer der ihren.
„Ich dachte, Sie seien gestorben?“ empfing mich der Bekannte.
„Noch nicht ganz“, rief ich hinüber und rieb mir den Schlaf aus den Augen.
„Aber amerikanische Segler haben uns doch erzählt, daß Sie nach der Ankunft in diesem … diesem Kanu lange Zeit krank waren und dann verstorben sind …“
„Und jetzt bin ich gerade von den Toten auferstanden“, unterbrach ich ihn. „No Sefior, todo va bien! Mir ging es während meiner Faltbootüberquerung relativ gut, und krank war ich nach der Fahrt überhaupt nicht!“
Der Segler betrachtete mich kopfschüttelnd. Wie so viele andere konnte auch er es nicht fassen, daß ich ohne irgendwelchen körperlichen Schaden mit meinem fünf Meter langen Faltboot heil über den Atlantik gekommen war. Wie die anderen vergaß auch er, daß ich jahrelang trainiert hatte und erst losgefahren war, als ich von einem „kosmischen Sicherheitsgefühl“ erfüllt war und wußte, daß ich ankommen würde …
Kleopatra und die Silbadores
Niña hatte nur noch vier Tage Zeit, sich auf Gran Canaria umzusehen, dann waren ihr Urlaub und unsere ins Wasser gefallenen Flitterwochen beendet. Da sie die anderen Kanarischen Inseln nicht mehr kennenlernen konnte, bat sie mich, ihr davon zu erzählen.
„Weißt du, was La Gomera ist?“ fragte ich sie.
„Du dachtest wohl, ich würde sagen, das sei ein Tanz wie La Habanera? Irrtum! In deinem Handbuch über die Nordatlantischen Inseln habe ich gelesen, daß es ein rundes Inselchen im Westen von Tenerife ist!“
„Aber jetzt habe ich dich: kennst du Silbo?“
„Das hört sich wie ein Wort aus einem Kreuzworträtsel an!“
„Es ist eine Sprache, die gepfiffen wird. Die Bewohner von Gomera sprechen Spanisch, jedoch wenn die Bauern und Schäfer auf dem Felde oder im Gebirge arbeiten, bedienen sie sich dieser artikulierten Pfeifsprache. Pfeifen sie nur mit den Lippen, so kann man den Ton kaum mehr als einen Kilometer weit hören, pfeifen sie aber auf einem oder zwei Fingern, so ist das über eine weitaus größere Entfernung hinweg zu vernehmen. Der Rekord-‚Silbador‘ soll an einem windstillen Tage 14 Kilometer weit gehört worden sein! Auch wenn man die Zunge an die oberen Schneidezähne legt, kann man besonders laut pfeifen.“
„Aber diese Silbadores können sich doch nicht durch Pfeifen unterhalten?“ zweifelte Niña.
„Man sagt ihnen nach, daß sie alles pfeifen können, was man auf Spanisch sagen kann.“
„Das heißt mit anderen Worten: Silbo ersetzt auf dem Lande das Telefon.“
„So könnte man sagen. – Da fällt mir noch etwas über diese Insel ein: hast du schon mal von der Kleopatra von Gomera gehört?“
„Bis heut’ noch nicht, erzähl bitte!“
„Es gibt Geschichtsforscher, die dem Kolumbus galante Abenteuer mit einer Dona Beatrix von Bobadilla nachsagen, der einstigen Herrin von Gomera. Kolumbus hat nämlich auf allen seinen vier Fahrten Gomera besucht, manchmal sogar so lange, daß seine Matrosen ungeduldig wurden. Wozu zwar bei dem Sammelsurium von Seeleuten, aus dem die damaligen Besatzungen bestanden, nicht viel gehörte, aber daß dieser mystisch veranlagte Kolumbus außer seinen Fahrten auch Frauen im Kopf gehabt haben soll, erscheint vielen als recht zweifelhaft. Möglicherweise hat die klatschsüchtige Nachwelt den beiden ein Denkmal gesetzt, das sie gar nicht verdienen.“
„Und dann gibt es noch Hierro, die ‚Eiseninsel‘, nicht wahr?“ fragte Niña.
„Ja, aber sie hat nichts mit Eisen zu tun. Ihr Name ist eine Verbalhornung von herro, dem Wort für einen Wasserbehälter. Interessant ist die Insel für Nautiker. Warte, ich les’ dir etwas darüber vor … Hier steht’s: französische Geographen legten 1634, zur Zeit Ludwig XIII, durch die Punta Orchilla dieser Insel als dem westlichsten Punkt der altert Welt den Null-Meridian, der seit 1884 durch das englische Greenwich läuft. Die österreichischen Atlanten haben sich sogar erst 1918 auf den Null-Meridian der Greenwicher Sternwarte umgestellt.“
„Warst du schon einmal auf der Palmeninsel?“
„Leider nicht. La Palma ist die einzige Insel, die ich nicht kenne. Sie soll Madeira ähneln. Eigenartig ist, daß sie im Laufe der jüngsten Zeit immer weiter aus dem Meer gestiegen ist. Diese Hebung hält selbst heute noch an. Palma ist einst von einem der größten Vulkane der Erde aufgeschüttet worden. Noch 1949 zerstörten Ausbrüche ein ganzes Dorf.“
„Am bekanntesten ist bei uns doch die Insel Tenerife?“
„Sie ist die größte Insel des kanarischen Archipels, und ihre Hauptstadt Santa Cruz ist nicht nur Regierungssitz der Insel, sondern der ganzen Westprovinz, die aus Gomera, Hierro, La Palma und eben Tenerife besteht.“
„So gehören zur Ostprovinz die restlichen Inseln, also – warte mal –: Gran Canaria, Lanzarote und Fuerteventura?“
„Stimmt – wobei Gran Canaria mit seiner Hauptstadt Las Palmas das östliche Verwaltungszentrum bildet.“
„Und was muß ich über Lanzarote, die nördlichste Insel, wissen?“
„Sie wurde früher von Seefahrern aus Genua oder Mallorca überfallen, die die Bewohner wie wilde Tiere einfingen und als Sklaven ins Ausland verkauften. Später wurde sie dann als erste Insel ohne größere Kämpfe von dem Normannen Bethencourt für die kastilische Krone erworben. Berühmt ist übrigens dort das Feuergebirge, in dem es Erdlöcher gibt, über denen man Spiegeleier braten kann – so glühend ist die darunter liegende vulkanische Erdschicht. Regen ist auf Lanzarote sehr gefragt; zuweilen läßt er ein paar Jahre auf sich warten. Aber die Bauern wissen sich zu helfen. Sie haben eine Spezialmethode entwickelt, durch die sie aus der Luftfeuchtigkeit Wasser gewinnen: sie bedecken den Boden mit einer Schicht aus jüngerem Eruptionsgestein, und in diesem schwammartigen Gesteinsgebilde sammelt sich nachts der Tau und rinnt in den Boden. Durch diese Art der „künstlichen Bewässerung“ gedeihen Wein, Tomaten, Kartoffeln und Zwiebeln ganz gut auf Lanzarote.“
„Was hat es eigentlich mit den großen kanarischen Hunden auf sich, nach denen der Archipel wohl benannt ist, wenn ich mich recht erinnere – Islas Canarias, und canis ist doch das lateinische Wort für Hund?“
„Über die Hunde hat schon Plinius berichtet: Juba, dem König von Mauretanien, war bei einer Expedition nach Fuertaventura aufgefallen, daß dort viele große Hunde umherstreunten und nur wenige Menschen zu sehen waren. Heute aber gibt es keine wilden Hunde mehr auf den Inseln, man züchtet sie nur noch als Wachhunde, die Bardinos genannt werden.“
„Herzlichen Dank für die Geographiestunde; jetzt bin ich über die Inseln bestens unterrichtet und kann mir in Ruhe Gran Canaria ansehen“, meinte Niña.
Wir meldeten uns im Segelclub an, ließen uns bei der Polizei eine Aufenthaltsgenehmigung geben und bestiegen einen Guagua, einen jener archaischen Autobusse, die ebenso billig wie alt sind.
Las Palmas, die größte Stadt der Kanarischen Inseln, liegt sieben Kilometer südlich vom Hafen, mit dem sie zusammengewachsen ist. Aber schon hundert Meter hinter den grünen Gärten der Vorortshäuser türmen sich Sanddünen auf. Sie dringen fast in die Hinterhöfe ein. Hier wie in Maspalomas, der „Sahara von Gran Canaria“, meldet sich das nahe Afrika.
Von Schlangenfett, blauen Flecken und Schildläusen
Die Kathedrale von Las Palmas wird von großen, metallenen Hunden bewacht, deren Ahnherren